Unheilbar - Kapitel 2

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Panik erfüllt mich und lässt mich einen Satz nach hinten machen. Ich schreie, nicht weil soeben der Mann neben mir ermordet wurde, und das auch noch auf der Beerdigung meiner Eltern -na super so haben sie sich ihre Beerdigung auch bestimmt vorgestellt-, sondern weil ich mir sicher war, dass der Mörder mir innerhalb der nächsten fünf Sekunden sein Messer in meinen Körper rammen würde. Hektisch sehe ich mich um. Die Gäste haben sich alle verschreckt auf den Boden gelegt, wie kleine Katzenbabys, die gerade zum ersten mal ihr neues zu Hause betreten - schutzlos, hilflos, klein.

Nur Patrick bahnt sich einen Weg durch die Körper der anderen und steht im nächsten Augenblick schon schützend vor mir. Ich schiebe ihn so gut es geht und so weit er es zulässt zur Seite, um besser sehen zu können, mit wem wir es zu tun haben. Ich habe es schon immer gehasst nicht zu wissen was los  oder zu tun ist. Ein großer Mann, schwarz gekleidet, mit einem blutüberströmten Brötchenmesser in der Hand, stand über der auslaufenden Leiche meines ehemaligen Nebenmannes. Mich ansehend murmelte er: "Sunrose. Komm zu uns. Kämpfe an der Seite deiner Schwester für" "Polizei! Hände hoch. Lassen Sie die Waffe fallen!" "Ich habe keine Schwester", flüstere ich. Doch der Mörder ist schon zwei Meter von uns entfernt. Er flieht und wird entkommen. Die Polizei fährt ihm hinterher, doch wie ich unsere Bullen hier einschätze werden sie ihn nicht mehr kriegen, denn sie sind zu nichts zu gebrauchen. "Ist bei dir alles okay?" Patrick drückt mein Gesicht gegen seine warme, feste Brust. Sie hebt uns senkt sich regelmäßig, aber ich kann spüren wie sein Herz rast. "Ja, alles okay." Mehr bringe ich grad echt nicht raus. Ich sauge seinen Duft ein. Erst jetzt wird mir bewusst, wie sehr ich ihn vermisst hab. Die Momente, in denen er mich hielt, wenn die Welt zu zerbröseln scheint, die Momente, in denen ich mich mit jemandem gestritten hab, der mir wichtig war, oder wie jetzt, als ich gedacht habe sterben zu müssen. Sein vertrauter Geruch, seine Stärke und seine Angst um mich rührten etwas in mir, dass ich all die langen Tage verdrängt habe.

Ich liebe ihn immer noch.

"Patrick?" In seinen Augen liegt immer noch Furcht, aber nicht nur das, auch noch... ich weiß nicht recht - etwas vertrautes, dass mir das Gefühl von Geborgenheit gibt.

"Ja, kleine?" "Du weißt, dass ich es hasse, wenn du mich so nennst! Ich bin nicht klein. Nur... kleiner als du!", beschuldige ich ihn vorwurfsvoll und leicht frustriert. "Ja", lacht er. Sein schelmisches Grinsen ist bittersüß. Trotzdem entschließe ich mich dazu es ihm zu sagen. "Ich-" "Ihr zwei kommt mit aufs Revier!" "Was?! Nein, sie kommt mit zu mir und erholt sich", schaltet sich meine Tante ein. Die Gäste waren wohl mittlerweile nach Hause gegangen, denn niemand ist mehr zu sehen bis auf Patrick, meiner Tante, meinem Onkel und zwei Polizeiautos samt Polizisten, dafür ohne einen schwarzgekleideten Mann. "Aber... meine Eltern." Fassungslos über die geplatzte Beerdigung breche ich auf dem Boden zusammen und heule drauf los. Patrick hockt sich neben meinen sich windenden Körper. "Pssst. Nicht weinen, Sunrose. Deine Eltern würden nicht wollen, dass du auf ihrer Beerdigung weinst." Doch jetzt muss ich nur noch mehr heulen und schluchzen. Dort wo er grad noch gehockt hat, ist nun nur noch Leere und Kälte. "Sehen Sie was sie angerichtet haben?!" Zorn ballte sich in seiner Stimme. Ich öffne die Augen und sehe, wie Patrick dem Polizisten, der auf uns zukommt mit der Faust mitten ins Gesicht schlägt und bin sofort wieder auf den Beinen. "Halt!" schluchze ich. Ich will nicht, dass er wegen mir ins Gefängnis muss. Ich sollte vielleicht mal nachschlagen, wie lange man dafür sitzen muss, wenn man einen Polizisten verprügelt. "Nein", schreit er, "Sie können auch einfach gar nichts, oder? Anstelle sie in so einem Zustand mitzunehmen, hätten sie lieber den Mörder fassen sollen. Das würde hier allen mehr helfen. Sie sind dafür verantwortlich den Mann zu finden und ihn rechtmäßig zu bestrafen, der die Beerdigung ruiniert hat. Und wenn sie es nicht tun, oder wie immer es nicht auf die Reihe kriegen. Dann werde ich es tun und glauben Sie mir, wenn ich ihn in die Finger bekommen sollte, wird seine Strafe nicht so mild ausfallen",raunt er ihn an. In so einem Zustand, das saß. "HABEN-SIE-DAS-VERSTANDEN?", brüllt er. "Ä-äh ja", stottert Polizist Kühn sichtlich eingeschüchtert. Polizist Nummer zwei kommt näher und flüstert Kühn irgendwas zu. Kühn's Miene verfinstert sich. Und das letzte, was ich höre, bevor ich aufgrund von Beruhigungsmitteln das Bewusstsein verliere ist:

"Nehmt sie fest!"

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