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B L A D E

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B L A D E

"Wie geht es Ihnen, Mrs McKeith?" Mrs Lincoln lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück.

"Mir geht es so gut wie noch nie, und Ihnen?", antwortete ich sarkastisch. Die Arme verschränkte ich zuckersüss lächelnd vor der Brust.

Meine Therapeutin lehnte sich wieder seufzend vor und faltete ihre Hände ineinander. Ihre Fingernägel waren fein säuberlich gekürzt und rot lackiert.

"Ich verstehe dich nicht, Blade. Wieso bist du so abweisend und gefühlskalt?", fragte sie. Wieso fragte sie das noch?

"Wir dutzen uns plötzlich?", lenkte ich ab.

Ungeduldig tippte sie mit den Fingern auf dem Tisch.

"Du hast mir meine Frage nicht beantwortet."

"Sie ja auch nicht." Das >Sie< betonte ich besonders.

Entnervt atmete sie aus.

Gelangweilt von dem sinnlosen Gespräch inspizierte ich meine Finger. Lang und dünn bildeten sie das Ende meiner Hand. An meinem rechten Mittelfinger trug ich einen silbernen Ring. Die Initialien G.K. 24|12|15 waren an der Außenseite eingraviert.

Ich musste schlucken. Erinnerungen schossen auf mich ein und ich konnte ihnen nicht entfliehen.

Glückliche Tage am See. Lachend im Garten tobend. Gutenacht-Geschichten in meinem Bett. Versteckenspielen im nahe gelegenen Wald.

Ich schüttelte meinen Kopf um die Erinnerungen zu vertreiben. Sie gehörten weggesperrt.

Ich atmete tief einmal Mal aus und wieder ein, bevor ich meinen Blick hob.

"Ich muss jetzt gehen." Ich stand hastig auf, schulterte meinen Rucksack und verließ fluchtartig den kleinen Raum, welcher voll mit erdrückender Emotionen war.

"Wir sehen uns nächsten Dienstag!", schrie Mrs Lincoln mir nach. Sie hörte sich so gelassen an, als hätte sie gewusst, dass ich abhauen würde. Sie schien keineswegs verwundert.

>Du wirst immer in meinem Herzen bleiben, meine kleine Blade.<

Ich raufte mir Haare. Hör auf daran zu denken, verdammt noch mal!

Gedankenverloren  lief ich den Korridor entlang und rannte geradewegs in jemanden hinein. Ich wurde erschüttert und konnte mich gerade noch auf den Beinen halten.

"Pass doch auf wo du...", doch weiter kam ich nicht. Die hellgrünen Augen des Jungen schimmerten mir neugierig entgegen. Sie hatten einen gewissen Glanz, den ich bis dato noch nicht deuten konnte. Kleine Sommersprossen verteilten sich auf seinen sonnengebräunten Wangen. Seine braunen Locken wirkten im schwachen Licht der Neonröhren eher golden. Die Statur des Neuen war ein Traum: groß und muskulös. Sein V-Neck Shirt spannte sich um seine Oberarme.

"Worauf soll ich aufpassen?", fragte er belustigt.

"Wo du hinläufst", sagte ich verärgert, hob meine Tasche auf und wollte gehen, doch der Typ stellte sich mir in den Weg.

"Wie ist dein Name?"

"Das braucht dich nicht zu interessieren." Ich schubste ihn weg und ging den Gang runter. Was bildete der sich eigentlich ein, mir den Weg zu versperren? Hatte dieser eingebildete Arsch keine Augen im Kopf?

Wer war er eigentlich? Ich hatte ihn nur selten Mal flüchtig auf dem Korridor gesehen, doch das war's dann auch.

Wie dem auch sei - ich durchwühlte meinen Rucksack und fand meinen Ipod samt schwarzen Kopfhörern. Ich steckte sie mir in die Ohren und drehte Linkin Park auf volle Lautstärke.

Ich ging den endlosen Gang, der mit Trophäen geschmückt war, entlang zu meinem Spind. 2684. Ich stopfte meine Bücher in den Spind und nahm mir nur meine Geschichtssachen heraus. Ich knallte den kleinen Schrank so fest zu, sodass sich das Geräusch höchstwahrscheinlich ganzen Flur ausbreitete.
Plötzlich ging eine Raumtür auf. Die Tür von Mrs Lincoln. Sie steckte den Kopf heraus und sah mir vorwurfsvoll in die Augen. Ich zuckte die Schultern, zeigte auf meine Kopfhörern, aus denen mittlerweile Green Day seinen Frust heraus schrie. Ich drehte mich mit einer einzigen Bewegung um und ging in meinen üblich großen Schritten zum Schulparkplatz hinüber. Ich hatte die Schule so satt. Eigentlich sollte ich jetzt zu Geschichte, mit meinem heißen Lehrer Rax flirten und wie eine Streberin meine Aufgaben erledigen, doch ich hatte keine Lust.

Angekommen an meinem matt schwarzen Motorrad, einer Blade, setzte ich mir den Helm auf und stieg auf den Sitz. Mit einem geschmeidigen Schnurren heulte die Maschine auf und ich gab Gas.

Ich wollte so schnell wie möglich in den kleinen Buchladen ein paar Blocks weiter, also fuhr ich über ein paar rote Ampeln und hoffte, dass ich nicht geblitzt werden würde.
Doch bevor ich in fremde Geschichten eintauchen konnte, musste ich noch bei mir Zuhause vorbeischauen.

Schon aus der Ferne erkannte ich dieses mickrige Haus, was sich mein Zuhause nannte. Ich raste schnell darauf zu und fuhr in die Einfahrt auf. Ich stellte die Blade ab und ging auf das Haus zu.
Die Tür war nicht abgeschlossen und so konnte ich sie problemlos aufmachen. Der Geruch von Alkohol umfing mich und ich steuerte direkt das Wohnzimmer an, in welchem Dad den ganzen Tag verbrachte.

"Hallo, Dad!", sagte ich, doch bekam keine Antwort. Ich lugte um die Ecke und sah einen kaputten Mann auf der Couch lungern. Leere Flaschen türmten sich auf dem Couchtisch. Ich schüttelte angewidert den Kopf.

"Dad, hast du schon gegessen?", fragte ich leise. Wieder keine Antwort.

Ich ging zu ihm hinüber und rüttelte ihn, doch er reagierte nicht. Zusammengesackt lag er da. Doch ich hatte kein Mitleid. Sollte er doch seine Trauer wegsaufen...

Ich zuckte die Schultern, verließ rennend den Raum und verschwand in meinem Zimmer.

Dort angekommen schmiss ich meinen Rucksack aufs Bett und wechselte meine Kleidung.

Sport-Leggings und Oversize-Pulli zog ich mir über, band meine Haare zusammen und zog einzelne Strähnchen hinaus.

Eilig schnappte ich mir meine Schlüssel und machte mich auf den Weg in die Buchhandlung. Entspannung hatte ich jetzt bitter nötig.

 juicy dramaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt