Kapitel 1

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Kapitel 1

Der Mond stand hoch am Himmel, dunkel und ohne Kraft, so wie immer. Die schwarze Sichel stand inmitten von tausenden glitzernden Sternen. Die Symbole der Trauer des Herrn Maniors. Der Wind zerrte an dem Bäumen und heulte ein unheimliches Lied. Ein starker Zug machte sich in dem Haus breit und Kenke zitterte. Wie alle anderen, fürchtete auch er den Zorn der Herren. Hatten sie ihre Namen denn nicht immer in Ehren gehalten? Hatten sie ihnen denn nicht immer ihren Dank ausgesprochen? Warum hatte die Herrin Draganda ihnen die Sonne genommen? Kenke führ mit seinen Fingern durch seine seidigen braunen Haare. Keine zwei Tage war es her, da der Mond die Sonne verdeckte. Vielleicht ein Streit unter den Liebenden?

Kenkes Frau Neli schmiegte sich von hinten an ihn und versuchte ihren Ehemann zu wärmen. Sie zog die Decke um sich enger und starrte ebenfalls in die eisige Nacht. „Wie lange werden wir noch ohne Licht und Wärme überleben? Ohne Sonne und ohne wärmendes Feuer?“ Kenke seufzte schwer. „Wir werden keine Ernte mehr haben. Die Jagt wird uns erschwert und der Tagesablauf wird nie wieder so sein, wie wir ihn einst kannten. Der Oberst will, dass wir nicht verzagen und weiter kämpfen.“, antwortete er seiner Frau mit schwerem Herzen. „Vielleicht noch fünf Monate.“  Stille trat ein. Kenke wollte seiner Frau nicht die Hoffnung nehmen, doch ihrer aller Zukunft sah bitter aus. Neli senkte den Blick und betete zu den Herren. Sie bat um Beistand und, dass sie den Fluch der ewigen Nacht von ihnen nehmen würden. Doch es ließ sie das Gefühl nicht los, dass der Herr Manior ebenso litt wie sie. Neli glaubte nicht an eine Strafe der Herren.                             Plötzlich erhob sich ihr Mann und schritt auf die Tür zu. „Was hast du vor, Kenke?“ „Ich will zu den Herren sprechen. Herrin Anante hat sich noch nicht von uns abgewandt und wird mich auf meinem Weg beschützen.“ Er band sich die langen Haare zusammen und warf sich einen dicken Fellmantel über. „Doch wohin führt dein Weg?“ Kenke sah sie eindringlich mit seinen unendlich tiefen schwarzen Augen an, dann sprach er. „In den Bergen lebt das Volk der Anateli, die Diener der Herrin Anante. Sie hatten stets eine gute Verbindung zu unseren Herren. Ich werde so lange durch die Ländereien reisen, bis ich eine Antwort habe.“ Neli schmerzte es ihren Mann in dieser Zeit ziehen zu lassen, doch verstand sie seinen immerwährenden Wunsch zu helfen. Sie ging auf Kenke zu und küsste ihn zum Abschied. Kenke erwiderte zärtlich und löste sich wieder. Entschlossen öffnete er die Tür des Hauses und trat hinaus in die Kälte der Nacht. Der Wind schlich sich durch jede Lücke seines Mantels und drückte ihn den ganzen Weg über zurück. Es war kein langer Weg und es mangelte ihm nicht an Geld. Seine Verpflegung machte ihm keine Sorgen, nur das Schicksal Saluleys sollte nicht aussichtslos bleiben.

                                                                                              *

Seit auch Juliasa den Menschen den Rücken zugekehrt hatte, bot ihnen das Feuer nur noch geringe Wärme und blasses Licht. Die Magie und Kraft der Herrin, war aus allen Flammen Saluleys gewichen. So hielt Kenke nur eine winzige Leuchte in der Hand, die ihm einen kleinen Blick auf seine Umgebung verschaffte. Kenke kämpfte sich durch die Sturmböen und blickte dabei sehnsüchtig zu den Bergen im Süden. Zu seiner Rechten, der dunkle Fleck am Himmel. Die schwarze Sichel und manchmal die Gestalt einer schwarzen Scheibe. Der Wind Nomanes‘ heulte schaurig und strich über das graue Gras. Die Halme und Blätter tanzten unter den glitzernden Tränen, den Sternen. Kenkes Gesichtsmuskel wurden steif von der schmerzenden Kälte. Er hielt den Arm schützend vor seine Augen, so sah er nicht die junge Frau, die plötzlich vor ihm auftauchte.

Sie hatte die Arme weit ausgebreitet und lehnte sich ganz auf die Wogen des Windes, der sie trug. Kenke wollte einen Blick wagen und senkte seinen Arm. Die junge Frau war von ausgesprochener Schönheit. Lange sonnig blonde Haare bewegten sich mit dem Wind. Sie war schlank und sehr zierlich, mit vollen Lippen und leicht gebräunter Haut. Ihr Kleid flimmerte, wie die Sonne selbst. Kenke wollte auch in ihre Augen sehen, doch sie hatte sie verschlossen und genoss scheinbar das Unwetter und die Kälte. Kenke, vollkommen durchgefroren, spürte die Wärme, die von dem Körper der Frau ausging. „Verzeiht mir.“, sprach Kenke die Dame höflich an. Er sprach ruhig, dennoch laut genug, dass sie ihn trotz des Windes hören konnte. „Ist euch nicht sehr kalt?“

Die Frau lächelte leicht, das schönste Lächeln das Kenke je gesehen hatte. „Nein, mein Herr. Ich frage den Wind, denn ich brauche Antworten. Antworten auf viele Fragen, die mich sehr bedrücken.“ Nun öffnete sich die Augen und gab ihre goldenen Augen preis. Kenke lauschte der Frau bedacht, ganz fasziniert von dieser außergewöhnlichen Augenfarbe. „Doch dann lenkte etwas anderes meine Aufmerksamkeit auf sich. Seht dort!“ Sie wies mit ihrer zarten Hand gen Himmel, direkt auf den schwarzen Sichelmond. „Er leuchtet uns nicht, dennoch habe ich noch die so etwas Schönes gesehen.“ Kenke hätte schwören können, dass in diesem Moment der Mond für einen kurzen Augenblick aufleuchtete, kaum waren die Worte der Schönen gesprochen. Kenke sah noch einmal zurück zu der Frau. Ihre Art, ihre Augen und ihre Wärme waren nicht die eines gewöhnlichen Menschen. Wer war diese sonderbare Frau?

„Er ist schon seit einiger Zeit erloschen, genau wie die Sonne. Seither herrscht auf Saluley die Dunkelheit.“, erklärte Kenke der Frau. Die Frau murmelte leise etwas, dann fragte sie: „Wollt ihr mir nicht euren Namen verraten?“ „Mein Name ist Kenke, aus der Familie Harodin. Ich und meine Frau Neli wohnen in einem kleinen Haus, nicht weit von hier.“ Die junge Frau lies ihre Arme sinken und ging langsam und elegant einige Schritte auf ihn zu. „Leider kann ich euch meinen Namen nicht geben, ich kenne ihn nicht, nicht mehr.“ „Ihr habt euer Gedächtnis verloren?“, fragte Kenke betroffen. Das machte die Frau umso geheimnisvoller. Kenke fragte sich, ob er sie nicht mit zu sich nehmen sollte. Er bemerkte dabei ihre nackten Füße und ihr dünnes Kleid. Sicher hatte sie keine Unterkunft. Früher oder später würde die Kälte sicher siegen. „Wollt ihr nicht mit mir kommen und euch ausruhen?“, lud Kenke die Frau zu sich ein. Sie lächelte wieder ihr schönes Lächeln und nickte dankbar. Seine Reise in den Süden müsste er wohl vorerst verlegen. Etwas sagte ihm, dass diese Frau etwas Wichtiges zu bedeuten hatte.

Den ganzen Weg über starrte sie den Mond an. Kenke verstand nicht was ihn in ihren Augen so schön machte. Einst, ja einst, sollte er sie vor der Dunkelheit der Nacht beschützen. Er war der Beschützer, ausgesandt vom Herrn Manior. Doch etwas musste ihn erzürnt haben, denn nun wachte er nicht mehr über sie. Die Menschen verstanden nicht warum Draganda sie am Tag der Finsternis verlassen hatte. Der Tag an dem der Mond seine geliebte Sonne verdeckte. Ohne Sonne gab es kein Licht für den Mond und ohne das Licht gab es kein Leben.

Kenke und die fremde Frau erreichten sein Haus. Der Wind brauste noch immer um sie herum, so flohen sie schnell in den Schutz des Hauses. Neli hatte ihren Mann bei weitem nicht so früh zurück erwartet. „Was ist geschehen? Warum bist du schon-?“ Sie stoppte als sie die schöne Frau neben Kenke erblickte. „Diese Frau ist der Grund für meine Rückkehr. Sie war alleine und der Sturm gab nicht nach. Ich machte mir Sorgen, da sie außerdem ihr Gedächtnis verloren hat.“ Nelis Augen weiteten sich ein wenig. Misstrauisch presste sie ihre Lippen aufeinander. Kenke kannte diesen Ausdruck zu gut. Er wusste um ihr Misstrauen bei Fremden, doch konnte er sie nicht alleine zurück lassen. „Mein Name ist Neli, Kenkes Frau. Ihr seid unser Gast, bleibt solange ihr wollt.“, sagte Neli etwas kühl. Neli kam aus einer Familie, in der es sich einfach gehörte immer seine Höflichkeit zu bewahren, was auch komme. „Ich zeige euch ein Gästezimmer, folgt mir.“ Neli ging die hölzerne Treppe hoch. Die Fremde macht einen kleinen Knicks und folgte der Frau des Hauses. Kenke blieb allein im dunklen Flur zurück.

Doch schon nach kurzer Zeit kam seine Frau wieder die Treppe hinunter. Sofort fing Kenke an zu erklären: „Hör mir zu. Ich habe sie alleine gefunden und sie kam mir ein wenig verwirrt vor. Es ist nicht gut herum zu wandern, wenn man sein Gedächtnis verloren hat. Außerdem-… Was ist mit dir?“ Kenke legte seine Hand besorgt auf Nelis Schulter und sah sie prüfend an. „Ist dir nicht diese Wärme aufgefallen, die von ihr ausgeht?“ Kenke stutzte. „Ja… Sie kommt mir allgemein anders vor. Sie schien der Natur auch sehr verbunden. Sie sagte sie würde den Wind nach Antworten fragen und bewunderte die ganze Zeit über den Mond.“ „Ein merkwürdiges Mädchen.“, sagte Neli nachdenklich. „Morgen, morgen werden wir mit ihr reden. Vielleicht sollte ich sie auf meine Reise mitnehmen. Vielleicht können ihr die Diener der Herrin Anante helfen.“ Neli nickte. „Tu das!“ Sie küsste ihn auf die Stirn und wünschte ihm flüsternd eine gute Nacht, ehe sie im Schlafzimmer verschwand.

Die Legende der ersten SonnenfinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt