Kapitel 4

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Kapitel 4

Die drei Gefährten standen voller Ehrfurcht vor den gewaltigen Toren Ekryptos. Kein menschliches Wesen wäre in der Lage diese massiven Steinwände zu bewegen. So war es nicht verwunderlich, dass sich Kenke fragte, wie sie in diese Stadt gelangen sollten. Als Antwort auf diese Frage trat eine außergewöhnlich kleine Frau aus den Schatten. Eine Wächterin? Durch ihre dunkle Hautfarbe schien sie in dieser Nacht beinahe vollkommen unsichtbar. Sicheren Schrittes ging sie geradewegs auf Kenke zu. Kurz bevor sie zusammen stießen blieb sie stehen, legte zwei winzige Finger auf ihre Stirn und senkte ihren Kopf. Kenke begrüßte die zierliche Frau ebenfalls, jedoch so wie es bei ihm Brauch war, wenn man auf einen fremden Menschen traf.

Die Anateli waren Untertanen der Anante und hatten ihre eigenen Sitten. Für die Anateli war das Grundstück ihres Daseins der Geist. Anders als die Diener der Juliasa, die ihre Hand auf ihr Herz legten als Zeichen für das Feuerherz, zeigten die Anateli auf ihre Stirn, hinter der der Verstand ruhen sollte. Eine kleine Verbeugung war fast überall zugegen. Es erwies dem Gegenüber einen angebrachten Respekt.

Kenke und Selnor verhielten sich in diesem Moment, wie man es ihnen als Kinder beigebracht hatte. Die Ländereien des Windes symbolisierten die Verbindung. Kenke drückte die Fingerspitzen seiner Hände zusammen und bildete damit die Form eines Daches, eine Verbindung. Er hielt diese Verbindung vor sein Gesicht und verneigte sich, und Selnor tat es ihm gleich, hatte jedoch Schwierigkeiten, da sich die die junge Frau immer noch von hinten an ihn klammerte. Auch wenn er, auf eine gewisse Weise, Gefallen an einer derartigen Nähe hatte. Der Duft ihrer Haare, die Berührung mit der weichen Haut. Diese perfekte Frau versetzte ihn in einen Rausch. Perfektion, den einen betört es, den anderen verstört es.

„Euer Begehren?“, fragte die Anateli mit einer hohen Stimme. „Wir suchen Rat bei den Dienern der Anante. Diese junge Frau stellt für uns viele Fragen auf, Fragen um Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges!“ Die kleine Frau schien verstanden zu haben und führte sie durch das Tor. Auch in dieser Festung hatte das Feuer wohl an neuer Kraft gewonnen. Überall waren lodernde Fackeln angebracht, die geisterhafte Schatten an die kalten Steinwände warfen. Sie folgten der Frau bis zu einer endlos scheinenden Treppe, die steil nach oben zu einer Art Palast führte. Am Rande dieser Treppe standen Häuser. Die ganzen Wohngebiete bauten sich immer höher am Berg auf. Selnor, der bis zu diesem Zeitpunkt immer hinter Kenke gelaufen war, erkannte nun, dass er am Fuße eines Berges stand den sie wohl oder übel erklimmen mussten. Kenke spurtete schnell die ersten Stufen hinauf, um die dunkle Frau wieder einzuholen. Selnors gequälter Blick wanderte bis ganz zum Ende der Treppe, wo der Palast sich majestätisch erhob. Er stöhnte laut, packte die Schöne noch etwas fester und nahm Stufe für Stufe.

Kenke liefen Schweißtropfen am ganzen Leib hinunter. Sie veranstalteten offenbar ein Rennen über seinen ganzen Körper. Nicht mehr lange und der Berg wird mich in die Knie zwingen, dachte Kenke in seiner Kraftlosigkeit. Jeder Schritt wurde schmerzhafter und seine Füße immer schwerer, bis er schließlich stehen blieb. Die kleine Anateli war schon lange aus seinem Sichtfeld verschwunden, er vermutete, dass sie schon lange oben angekommen war. Keuchend warf er auch einen Blick über die Schulter. Selnor kroch auf allen vieren, während die Frau, die inzwischen wohl aufgewacht war, versuchte ihn ein bisschen anzuschieben. Kenke kam sich in diesem Moment furchtbar erbärmlich vor. Seinen Stolz musste er wohl irgendwo auf der zweihundertsten Stufe verloren haben. Widerwillig stolperte er ein Stück zurück und stütze seinen Freund ein wenig. Gemeinsam schleiften sie sich den beleuchteten Weg hinauf. Kenke bezweifelte, dass Selnor seine Umgebung noch war nahm. Außerdem wuchs ein gewisses Misstrauen in seinem Kopf heran. Er kam sich unbehaglich vor, als würden sie beobachtet. Möglicherweise ob sie die Treppe meistern könnten und somit würdig wären Antworten zu bekommen? Zusammen mit der Frau zog er den warmen Körper seines besten Freundes die Stufen hinauf. Er musste völlig erschöpft sein, denn sein Körper kochte.

Nach einer gefühlten Stunde waren die letzten Stufen in Sicht. Kenke sammelte seine gesamte Kraft noch einmal und ächzend brachen sie vor den Füßen einer Person zusammen. Verschwommen nahm er noch das Lächeln der Frau war, die sie am Tor Ekryptos empfangen hatte. Jemand packte ihn unter den Armen und brachte ihn an einen, für ihn unbekannten, Ort.

*

Es war tatsächlich ein Test, dacht die junge Frau. Man hatte ihr gesagt, dass der Weg zu Antworten immer eine Prüfung war und außerdem beschwerlich. Doch nun hatte man ihnen erlaubt der "Auserwählten" Fragen zu stellen und um Rat zu Fragen. Sie hatten es geschafft.

Ein wenig nervös saß die junge Frau neben ihren Freunden. Eigentlich hatte sie Kenke erst vor kurzem kennen gelernt, doch fühlte sie sich schon nach kurzer Zeit sehr wohl bei ihm. Er hatte eine Art, die ihre Verlorenheit mindern konnte, zumindest ein wenig. Selbst wenn er schlief, so wie in diesem Moment, blieb dieser Effekt bestehen.

„Er bewahrt dich vor dem Absturz in die Hilflosigkeit.“ Eine kindliche Mädchenstimme erklang aus einer hinteren Ecke des großen Raumes. Das Mädchen trat aus dem Schatten der Säule heraus und kniete sich ebenfalls neben die beiden schlafenden Männer. Die junge Frau starrte das Mädchen an. Sie war ein Kind, höchstens sieben Jahre alt, und benahm sich doch so erwachsen. Ein erfahrener und intelligenter Gesichtsausdruck ruhte auf ihrem Gesicht. Sie war in schlichten Erdtönen gekleidet und trug ein wunderschön geschwungenes und vergoldetes Diadem auf ihrem Kopf. Es trat majestätisch zwischen ihren krausen, schwarzen Haaren hervor.

Schnell wandte die Frau ihren Blick wieder ab, als sie bemerkte, dass sie das Mädchen so unhöflich angestarrt hatte. Plötzlich durchbrach das kleine Mädchen die Stille. „Es ist schon wundersam.“, sagte sie ruhig und leise mit ihrer blumigen Stimme. „Ihr kamt zu mir und sehntet euch nach Antworten. Doch jetzt scheint es, als würdet ihr mir Antworten liefern. Es ist eine Ehre mich in eurer Gegenwart aufhalten zu dürfen, Herrin der Sonne. Nun ist es auch sehr leicht zu verstehen warum der Mond an Kraft verlor, wenn seine Lebensquelle doch hier unten bei uns weilt. Weder wisst ihr wie ihr her kamt, noch warum. Doch ich verspreche euch, Draganda, einen Weg für euch zurück zu finden.“

*

"Ich bin die Sonne. Wie konnte er es wagen? Ich rufe dich Egondre! Niemals, niemals wirst du Frieden finden! Das Licht wird die Dunkelheit immer vertreiben! Wenn einst ich wieder da bin wo ich hingehöre, wirst du am eigenen Leibe erfahren wie es ist ein Mensch zu sein. Genau wie ich wirst du dich vergessen und Saluley niemals wieder von oben sehen! Du sollst mich jedoch immer sehen, wenn ich am Himmel stehe. Du sollst unter der Hitze leiden und keinen Schlaf in der Nacht finden. Wer unser Vertrauen missbraucht, soll nie mehr in unseren Kreis zurück kehren.

Doch ich muss dir danken, Juliasa. Du, meine Freundin, warst für mich da. Du hast mich gefunden und mich dir nahe gebracht. Ich bin dankbar, dass dein Herz wieder froh war nach unserer Begegnung. Auch werde ich deinen Wegweisungen folgen und heimkehren. Bis zu unserem Wiedersehen!

Manior… Für eine Zeit habe ich dich vergessen, doch nie warst du aus meinem Herzen verschwunden. Meine Liebe war nie fort, und wird sie umso stärker sein, wenn ich endlich wieder dein Gesicht sehe. Nicht mehr lange, hab nur Geduld. Ich bin schneller bei dir als du es merken wirst. Alles was ich tun muss, ist zu unserer Insel zu gelangen. Die verschleierte Insel in der Mitte es Meeres. Die Freunde, die ich hier auf Saluley fand, werden mir helfen. Sie brauchen ihre Sonne, so wie ich meinen Mond brauche! Warte bis zum vollen Mond! Ich verspreche dir, bei Vollmond werden drei Menschen die Insel betreten und nur zwei werden sie wieder verlassen!

Möge Wantores mich über sein Meer führen, sicher und wohlbehalten.

Und den Herrn Nomanes bitte ich um seinen wundervollen Wind. Einst hast du dich entschieden auf Saluley zu bleiben, darum weiß ich, dass ich nie allein bin!

Lass dein Herz immer Kraft schenken, meine Freundin.

Deine auserwählte sprach deine Worte, Anante. Durch sie bin ich wieder ich selbst!

Bis bald, Gatastros!"

Die Legende der ersten SonnenfinsternisWo Geschichten leben. Entdecke jetzt