Alle zusammen

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11 Sunny's Welt

Wir sahen alle gleich aus. Regenjacke mit Pulli drunter, einen hässlichen, billigen Rucksack auf dem Rücken, mit nassen Schuhen und roten Nasen. Es war kalt, aber nicht kalt genug für Schnee. Stattdessen nieselte es, trüb leuchtete die Bahnhofsuhr in den Samstagnachmittag.

Mein Herz trommelte wie wild, aber ich blieb ruhig, rauchte nur ein bisschen viel. Robin sah mich trotzdem mit diesem ‚Ich weiß, was in dir vorgeht'-Blick an.

In zwanzig Minuten kam unser Zug, der uns zu Vivi bringen sollte. Ich wunderte mich, dass ich mitkam. Ich mochte sie nicht mal wirklich. Und ich hatte ein schlechtes Gewissen, ein bisschen, weil ich diese Situation mit Robin so herausgeplaudert hatte.

Aber hey, eigentlich war es mir egal. Aber ich stand trotzdem hier, Ginger an der rechten und Robin an der linken Seite von mir, und das nur, weil Bone wiederkam. Und zwar ganz.

„Wann kommt der Penner denn", knurrte ich. „Er wollte schon vor ‚ner Viertelstunde da sein." „Sunny kann es kaum erwarten, Robin, merkst du's?" Gingers Stimme klang wie früher. Irgendwie hatte ich ihn vermisst, das konnte ich in dem Moment nicht mehr ganz so nachvollziehen. Und Robin lachte natürlich. Seit ein paar Wochen, seitdem Ginger wieder da war, kamen sie irgendwie immer mehr besser klar. Das war so unendlich zum kotzen, sie wuchsen zu so einem komischen Team zusammen, hatten Insider ohne Ende und es fiel mir zunehmend schwerer, gegen sie anzukommen. „Ha ha", schnaubte ich und sie kicherten wie kleine Mädchen. „Natürlich kann ich es nicht erwarten, der blöde Bastard war viel zu lange weg. Und außerdem verpassen wir den Scheißzug, wenn er nicht bald auftaucht." Ginger öffnete schon seinen Mund, um irgendeinen Kommentar abzugeben, als die Bahnhofstür aufschwang. Bone war die Wucht seiner Selbst, er war noch riesiger und raumfüllender als sonst, seine Haare waren tiefschwarz, das blau war fort. Aber er hatte sich rasiert und ein seltsam glattes Gesicht.

Er kam auf uns zu, immer noch die dunklen Augen ohne Glanz gelassen auf uns gerichtet. Ginger jauchzte und sprang auf ihn zu wie ein schlaksiger Hund. „Boniee", stieß er aus und fiel ihm um den Hals. Bone musste sogar ein wenig grinsen, klopfte auf seine Schulter und löste sich von ihm. Aber klar, nicht mit Ginger. Er tänzelte um ihn herum und begann, irgendwelche liedtexte zu trällern, um dabei hin und wieder ungekonnt ‚Freedom' einzubauen. Ich verdrehte die Augen, stieß Ginger weg und umarmte Bone kurz. „Wegen dir kommen wir fast zu spät", bekundete ich. Das ‚Hallo, wie geht's dir, wie ist es so, aus dem Knast raus zu sein' kann er sich ja denken. Ich steh halt nicht auf Smalltalk. „Mhhh, Sunny, mit Liebe", feixte Ginger. Robin und Bone begrüßten sich, es war alles ein bisschen komisch.

„Es ist schön, dass du wieder hier bist", sagte Robin irgendwann. „Jaa", erwiderte er, „es tut gut euch zu sehen. Im Freien."

Wir begannen zu reden und zu erzählen, ich fast kaum, Bone ein wenig, Ginger ganz viel. Robin stellte Fragen. Es war nervig, und es war schön, genervt zu sein, von diesem Gerede und dieser Situation, die mich ein bisschen an Vertrautheit erinnerte.

Der Zug fuhr ein und wir setzten uns in Bewegung.

Ginger schlief, Robin hörte Musik und ich trat gegen Bones Füße, wovon er sich nicht stören lies. „Hast du keine coolen Knasttattoos bekommen oder so?", stichelte ich. „Doch doch", erwiderte er. Ich lachte. „Zeig mal her."

„Welches willst du sehen? Das Arschgeweih oder das um meinen neuen fancy Bauchnabel?" „Die Weiber werdens lieben", grinste ich und er grinste mit mir. „Wie geht's dir?" Ich verdrehte meine Augen. „Ach, lass uns doch darüber nicht sprechen." „Warum denn nicht?"

Ich zuckte mit den Schultern. „Viel gibt's da irgendwie nicht. Meine Mutter will mich immer noch als Produkt verkaufen, Die Aufträge kommen nicht rein, vielleicht, weil ich zuviel Marihuana rauche und mich um nicht so viel kümmere. Ich wohne jetzt aber bei so einem Typ, das weißt du noch gar nicht. Ja, und deswegen ist alles halb so schlimm, ich habe wieder ein Bett und ja", Ich brach ab. Dass ich immer noch nicht wirklich aß, wusste er ja. „Jetzt also Gras? Was ist mit dem guten Wodka passiert?" Er hob die Augenbrauen und wir lachten.

„Bei welchem Typ wohnst du denn?" „Den magst du sowieso nicht", erwiderte ich. „Wie lange schon?" „Ach, ich wohne da erst seit ein paar Wochen."

Wir sahen aus dem Fenster und schwiegen. „Ist er dein Freund?" Ich musste lächeln. „Beschützerinstinkt oder stehst du seit neustem auf mich?" „Neugier", konterte er. „Er ist nicht mein Freund, er ist ein Windhund." Er grinste. „So wie du?" „Vielleicht könnte ich ihn irgendwann lieben, ja", überlegte ich lächelnd. „Wenn wir nicht beide so verdammt ignorant wären." Wir lachten. „Jetzt sag schon", brummte Bone, „wie heißt der Gute?" „Jasper", erwiderte ich. „Er ist ‚Schauspieler'", ich wackelte mit den Augenbrauen. „Oh, die Künstler. Wie hat er dann Geld für zwei?" Ich zuckte mit den Schultern. „Er ist anscheinend gut in dem, was er tut." „Man Man, Sunny, zurück zur Perspektivlosigkeit also?" Er meinte das witzig, aber es tat ein bisschen weh. „Immerhin bin ich frei. Gesellschaft fickt doch." Jetzt nickte er. „Wir werden wohl immer die Austeiger bleiben." „Komm schon Bone, erzähl mir doch nicht, dass du dir jetzt eine ehrliche Arbeit suchen wirst." Er fuhr sich durch die Haare und stieß dabei an Gingers Schulter, der sich daraufhin knurrend wegdrehte. „Du bist so groß geworden", bemerkte ich. „Wir werden alle älter", erwiderte er. „Ich weiß nicht, was ich jetzt mache. Erstmal machen mir diese Briefe ein paar Sorgen. Wir sollten uns überlegen, wer diese verschicken könnte und was damit gemeint ist. Ich will kein Drama machen oder so, aber so ganz geheuer ist mir das nicht. Falls es wirklich um uns geht, sollten wir uns alle Gedanken machen, was wir so in der Vergangenheit verbrochen haben und vorallem, wer es wissen könnte." Ich zuckte mit den Achseln. „Ich habe geklaut wie eine Verrückte, aber jetzt im Ernst, wen interessiert es? Ich habe auch viele Feinde, aber niemanden, der mir ernsthaft Schaden bereiten will." „Vielleicht irgendein Kerl, den du mal verletzt hast?", fragte er. Ich schüttelte den Kopf. „Klar, vielleicht. Aber wie hobbylos muss der denn sein?" Bone sah mich lange an. „Das ist nicht witzig, Sunny. Vielleicht hast du ‚nen perversen Stalker oder sowas. Du bist schön, vielleicht hat sich irgendwer auf dich fixiert." Ich lächelte geschmeichelt. „Süß von dir." Er verdrehte die Augen.

„Okay", warf ich ein, „Aber warum dann die verfallenen Gebäude? Macht das einen Sinn?" Bone schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht, nein. Aber wir sollten einfach jede Möglichkeit in Betracht ziehen." „Und was wären deine?", fragte ich neugierig. „Um meine habe ich mich gekümmert", sagte er plötzlich sehr hart und dann war das Gespräch beendet. Wir schwiegen lange, bis ich es nicht mehr aushielt. „Du Gangster", flüsterte ich und musste kichern. „Um meine habe ich mich gekümmert", äffte ich ihn in einer tiefen Stimme nach und setzte vor das ‚gekümmert' eine bedeutungsvolle Pause. Diesmal trat er mir gegen das Schienbein.


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Hey ihr lieben, 

Ich weiß, dass 4 Welten im Gegensatz zu Freebirds ein wenig unspektakulärer im Bezug auf die Handlungsstränge ist, dennoch - Wünsche, Anregungen, Kritik würden mich ein wenig weiter bringen. Ich freue mich darüber, ich freue mich wenn etwas in euren Köpfen ist - teilt es gerne mit mir. 

xx

Vier WeltenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt