VIER

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Das Gefühl, nichts zu wissen, ist eindeutig nervenaufreibender als zu viel zu wissen. Diese Erkenntnis habe ich erlangt, nachdem ich tagelang auf eine Antwort von Regin gehofft habe, die jedoch niemals gekommen ist. Die Beschreibung, ich wäre frustriert, ist noch weit unter dem, was tatsächlich in mir vorgeht. Von Unruhe oder Angst bis hin zu Wut ist die ganze Bandbreite an Emotionen in meinem Inneren vorhanden. Schon komisch, dass ich die Worte meines Erzfeindes so ernst nehme. Man sollte meinen, ich würde ihm kein Wort glauben, aber seine Augen haben mir verraten, dass er die Wahrheit sagt.

Ich weiß zu viel, um beruhigt meinen Alltag auszuleben, aber zu wenig, um wirklich panisch zu sein. Doch die Geheimniskrämerei und vor allem der Vorfall mit dem verschwundenen Mädchen – ich glaube dem Lehrer keine Sekunde lang, dass sie wegen eines Jobs so schnell verschwinden musste – lässt mich nun achtsamer durch die dunklen Gänge eilen, auch wenn ich jetzt keinen Angriff von Regins Seite mehr zu befürchten habe.

Seit ich ihm im Keller gesagt habe, was ich belauschen konnte, verhält er sich anders. Es ist nichts, was man merken würde, wenn man nicht wüsste, dass etwas nicht stimmt. Manchmal kann ich ihn im Unterricht dabei beobachten, wie er gedankenverloren aus dem Fenster sieht und seine Finger mit einem Stift spielen. Sein Verhalten hat eine verwirrende Wirkung auf mich, denn aus irgendeinem Grund verspüre ich Mitleid mit ihm, obwohl ich noch nicht einmal weiß, was ihm solche Sorge bereitet.

Nichtsdestotrotz hat der Waffenstillstand zwischen uns nicht viel geändert, bis auf den Umstand, dass wir uns nun völlig ignorieren. Zumindest Regin tut es, während ich immer wieder versuche, Kontakt aufzunehmen, um endlich Antworten zu bekommen.

Doch die Tage rinnen dahin und ich finde nichts heraus, was mir weiterhelfen könnte. Das Wissen fühlt sich an wie eine Bürde, ein Aufruf, mehr herauszufinden.

Aber es sollte mir erst mit einer weiteren Person möglich sein, endlich die Geheimnisse zu lüften.

† † †

Es ist ein Tag wie jeder andere. Die Sonne steht hoch am Himmel, als die beiden ankommen. Man hört sie schon von weitem. Ein lauter, hoher Schrei, der an den riesigen Wänden des Internats widerhallt und mich aufschrecken lässt. Schnell schlage ich die Lektüre zu, über die ich mich gebeugt habe, und renne mit dem Buch zum Eingang.

Ein Mädchen wehrt sich gegen den Griff eines starken Mannes, der sie unerbittlich weiter in die Eingangshalle zerrt und gar nicht darauf zu achten scheint, dass das Kind schreit. Sie kann nicht viel älter als zwölf sein und ihre Verteidigungsversuche sind nur sehr lahm.

Hinter ihr wird ein Junge hereingeführt. Das einzige Anzeichen, dass er sich unwohl fühlt, sind der gesenkte Kopf und die angespannten Schultern. Sein Blick klebt förmlich an seiner Schwester und bei jedem Aufschluchzen ihrerseits zuckt er zusammen, als würde es ihm körperliche Schmerzen bereiten, sie in einem solchen Zustand zu sehen. Er wehrt sich nicht und unternimmt auch sonst nichts, um dem Griff des Mannes zu entrinnen.

Ich bin halb die Stufen hinuntergekommen, als ich aus dem Augenwinkel den Direktor nahen sehe. Sonst hat sich zu meiner Überraschung kaum jemand hierher verirrt, die Halle ist beinahe verlassen und die Stille wird nur von den Schreien und dem Weinen des Mädchens durchschnitten.

Langsam lege ich den restlichen Weg zurück, denn die Qual, die aus der Stimme der Kleinen dringt, schneidet mir ins Herz. Vorsichtig nähere ich mich ihr, teils, um den Wachmann nicht unruhig werden zu lassen, teils, um das Mädchen nicht zu verschrecken. Mir ist nur allzu gut bewusst, dass es besser wäre, mich nicht mit diesen Leuten anzufreunden, weil sie mir im besten Fall nur noch mehr Ärger bescheren würden, im schlechtesten würde es mich ›verschwinden‹ lassen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Oct 03, 2016 ⏰

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The Delta-Turn *pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt