Die Ruhe vor der Nacht

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Obwohl man ihr mehr Decken gebracht hatte, konnte Marieka nicht aufhören zu zittern. Vielleicht war es die Müdigkeit, oder die Anstrengung der neuen Umgebung, aber am wahrscheinlichsten war es die Angst – davor, nach Sonnenuntergang von den Vampiren zu Tode verurteilt zu werden.

Elisabeta hatte Radu und den anderen verboten, mehr Worte als nötig darüber zu verlieren, auch wenn die Fragen von allen Seiten gekommen waren und so fühlte sich Marieka nur noch unsicherer, als würden die Vampire in versteckten Schatten lauern und wispernd ihre Klauen nach ihr ausstrecken, wenn sie ihnen den Rücken zuwandte.

Die meisten anderen, die mit ihr auf Schloss Alkony angekommen waren, hatten sich auf den Matten ausgerollt und holten den verpassten Schlaf der Nacht nach – oder versuchten es zumindest – aber Marieka selbst konnte kaum stillsitzen, geschweige denn liegen. Zwar waren die freundlichen Gesichter, die sie begrüßt hatten, fast alle wieder verschwunden um ihren üblichen Aufgaben nachzugehen, sodass keiner mehr ihre Fragen beantworten konnte, aber sie wollte nichts verpassen. Wer wusste schon, in welch winziger Beobachtung ihr Überleben lag?

Ihr Gewissen befahl ihr zu beten, aber selbst dazu fehlte ihr die Ruhe. Ein sicheres Zeichen, dass sie noch in der Nacht von Satan geholt werden würde, sie war sich sicher. Aber zu ihrer großen Überraschung bemerkte Marieka, dass sie es nicht einfach akzeptieren konnte – sie wollte überleben. Auch wenn ihre Chancen kläglich waren. Die Vampire würden sie niemals haben wollen, ein einfaches Bauernmädchen mit einem Gesicht, das jeder sofort wieder vergas. Selbst wenn sie es anders sähen, war sie verloren! Eine Dienerin der Teufelskreaturen, sie wollte gar nicht daran denken, welche Qualen sie dann nach dem Tod erwarteten ...

„Du solltest versuchen, etwas zu schlafen", sagte eine ruhige Stimme und Marieka sah erschrocken auf, wo Radu sich lautlos neben sie gestellt hatte. Er trug einen groben Holzkrug bei sich und lächelte schwach. „Sie rufen uns gewöhnlich nach Mitternacht, und du willst sicher all deine Sinne beieinander haben."

Sie schloss die Augen und wickelte die Decken fester um sich, als ein kalter Schauer sie bei seinen Worten überlief.

„Ich kann nicht", wisperte sie, ohne ihn erneut anzusehen.

Radu seufzte.

„Ja, das hatte ich befürchtet", sagte er. „Als ich gekommen bin, wollte ich den ganzen Tag versuchen, die Vampire eigenmächtig zu vernichten, bevor es so weit war."

Marieka schoss die Röte ins Gesicht darüber, wie tapfer er gewesen war im Vergleich zu ihr, deren Gedanken sich allein um die Hölle und Satan drehten, gelähmt von ihrer Angst.

„Wann bist du gekommen?", fragte sie schnell, bevor er versuchte, sich weiter darüber zu unterhalten.

Er sah überrascht aus. „Vor drei Monaten", sagte er dann. „Aber es fühlt sich viel länger an."

Sie nickte düster. Selbst die paar Stunden, die sie erst hier war, fühlten sich wie eine halbe Ewigkeit an. Ob es wohl daran lag, dass sie bald sterben würde und der Moment deshalb so quälend langsam herausgezögert wurde?

Radu musterte sie nachdenklich. „Komm", sagte er schließlich und berührte sie an der Schulter. Marieka spürte ihr Herz schneller schlagen. Hatte er Erbarmen mit ihr und zeigte ihr einen Ausweg?

„Wenn du nicht schlafen kannst, kannst du uns bei der Arbeit zur Hand gehen."

Oh. Natürlich würde er nichts machen, um ihr allein zu helfen. Es gab keinen Grund, warum man sie irgendjemandem vorziehen sollte, das wusste sie selbst nur allzu gut. Auch wenn sie sich der Hoffnung in leisen Sekunden zwischendurch dennoch nicht erwehren konnte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Sep 30, 2016 ⏰

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