3.Kapitel

199 17 6
                                    

3.Kapitel

Die Fahrt war zwar nicht lang, doch ich hasste es am Karlsplatz umzusteigen. Die Station war riesig und alles weit weg voneinander. Man ging immer durch ewiglange Tunnel und musste sich durch Massen schieben und Kinderwagen und Hundeleinen ausweichen. Doch nach zehn Minuten kam ich an. Der Eingang am Stadtpark war schön. In der Mitte floss der Wienfluss und auf beiden Seiten konnte man auf zwei Ebenen spazieren. Ziemlich mittig war der berühmte Teich, den man Ententeich nannte, weil dort immer sehr viele Enten – und im Sommer auch Schwäne - schwammen. Dort setzte ich mich auf eine Bank und streckte die Beine aus. Chris war noch nicht da, also holte ich die Schmuckbox raus und betrachtete sie. Eine rote Box mit einer dunkelroten Schleife. Als wäre jetzt Valentinstag.

Ich zog meine Handschuhe aus, nahm den Ring aus der Schachtel, trug ihn am Finger und bewunderte seine Schönheit. Insgeheim freute ich mich über dieses Geschenk, obwohl ich immer noch nicht wusste, was ich von der Tatsache halten sollte, dass ich dafür nicht hatte zahlen müssen. Und der Gedanke, Chris verheimlicht zu haben, bereitete mir ebenso Magenkrämpfe.

Die Peinlichkeit der vergangenen Stunde ließ die Röte in mein Gesicht aufsteigen, als ich plötzlich zwei starke Arme auf meinen Schultern spürte. Es war Chris, denn nur er würde so etwas tun. Ich legte meinen Kopf in den Nacken und schmunzelte.

„Hey."

Er begrüßte mich nur mit einem sanften Kuss. Ich spürte seine Hände an meinem Oberkörper hinuntergleiten. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und zog ihn näher an mich heran. Wer uns so sah, würde das für keine angenehme Position halten. Was auch nicht so falsch war, denn mein Hals begann etwas zu ziehen und ich musste mich wieder gerade hinsetzen.

Er löste sich von mir und setzte sich dann neben mich. Ich legte meine Beine auf seinen Schoß und er begann sie zu streicheln.

„Deine Beine sind ja ganz schön kalt", sagte Chris und versuchte sie mit seinen Berührungen zu wärmen.

„Ja, ich stehe schon lang in der Kälte."

Gedankenverloren spielte ich mit dem neuen Ring an meinem Finger.

„Schöner Ring! Er ist neu, oder?", fragte er neugierig.

Ich war überrascht, dass ihm sowas aufgefallen war.

„Ja, der ist neu. Hab' ihn vorhin an einem Stand am Weihnachtsmarkt gefunden."

Meine Stimme war etwas zittrig, doch er merkte nichts von der Unsicherheit. Es wäre absurd, ihm zu sagen, dass mir eine unbekannte Person ohne Grund diesen Ring geschenkt hatte. Wobei, wenn ich seinen Namen wusste, war er nicht mehr unbekannt, oder? Das Ganze schwirrte mir durch den Kopf, doch Chris schien es nicht zu merken.

„Der steht dir sehr gut. Vielleicht können wir ja mal gemeinsam zu dem Stand gehen und die anderen Sachen anschauen?"

Er wollte nur mehr davon erfahren. Ohne jegliche Hintergedanken, doch ich wollte nicht mit ihm hin. Ich wüsste nicht, wie ich vor Alex mit Chris auftauchen sollte. Schließlich habe ich Chris auch nicht erwähnt, sondern nur einen Freund...

„Nein, lieber nicht."

„Aber warum denn? Willst du mir was verheimlichen?", fragte Chris und lächelte mich schelmisch an.

Ich sah in seine grünen Augen, die mich an einen Kiefernwald erinnerten. Ich konnte keinerlei Eifersucht darin finden. Nur pure Liebe.

„Nein, nur der Verkäufer war extrem unhöflich, und ich will einfach nicht wieder hin. Du weißt schon..."

„Na gut. Dann suchen wir uns eben einen anderen Schmuckladen", sagte er und ich musste dabei schmunzeln.

Ich versank wieder in Gedanken und bemerkte nur flüchtig, dass Chris zu mir rüber rutschte. Ich sah ihn an und wie von selbst fanden meine Lippen schon wieder die seinen. Der Kuss begann sanft und zart, doch dann wurde er leidenschaftlicher. Ich biss ihm leicht auf die Unterlippe und hörte ihn leicht kichern. Er umschloss mich mit seinen starken Armen und zog mich an sich heran. Ich suchte nach Luft und in der Zeit hauchte ich ein „Ich habe dich so vermisst!" dazwischen. Ich spürte, wie er seine Hand auf meine Wange legte und meine Lippen weiter liebkoste.

Ich wollte ihn weiterküssen, weiterhin an diesen Moment denken, doch plötzlich löste sich Chris von mir. Auf einmal tauchte eine Leere in mir auf, die ich nicht schon wieder spüren wollte. Voll von Nichts. An der Stelle, wo seine Hände sich befanden, stach die kalte Luft durch meine Kleidung und ließ mich erzittern. Chris nahm meine Hand und mit der anderen führte er mein Kinn in seine Richtung, so dass ich ihm in die Augen sehen konnte. Und genau in dem Moment brach ich in Tränen aus.

„Fluffy ist tot!"

Endlich sprach ich es aus. Seit gestern hatte ich nicht mehr darüber gesprochen. Ich wollte darüber nicht mehr sprechen, doch jetzt war es raus. Jetzt wusste es auch Chris.

„Gestern, als ich in der Früh aufwachte, suchte ich nach ihm. Er schläft normalerweise immer neben Schneeball. Doch er war nirgendwo zu finden. Schließlich fand ich ihn im Bad unter dem Waschbecken liegend. Er war tot, Chris! Er war tot..."

Den letzten Satz sagte ich beinahe zu leise. Ich schluchzte die ganze Zeit beim Reden. Mein Herz war gebrochen. Die Tränen liefen in einem meine Wange hinunter. Chris nahm mich in den Arm und strich mir über die Haare.

„Er war ein gutes Kaninchen. Du hast ihn geliebt", entgegnete Chris einfühlsam.

„Er war schon ziemlich alt. Ich habe ihn als Geschenk für das erste Jahr am Gymnasium bekommen. Die Erinnerungen sind noch so klar. Als ob es gestern gewesen wär'. Ich war so aufgeregt, als ich den kleinen braun weißen Fluff-Ball mit den hängenden Ohren bekam. Er war das liebenswerteste Kaninchen auf der ganzen Welt gewesen und ich habe ihn verloren."

„Wie geht es Schneeball damit?", fragte Chris besorgt.

„Es geht ihr ganz okay, aber sie ist gestern durch die Wohnung gehüpft und hat nach ihm gesucht. Ach, Schneeball. Mein liebes Kaninchen. Jetzt bist du ganz allein in einer kleinen Wohnung mit mir."

Sie waren wie Geschwister, obwohl sie nicht von derselben Familie kamen. Die kleine Flocke musste jetzt allein klarkommen.

„Sie wird es schon schaffen. Schließlich hat sie ja eine tolle Mami wie dich."

Daraufhin sagte Chris nichts mehr. Er umarmte mich nur weiter und küsste mich auf den Kopf. Ich war ihm sehr dankbar, denn im Moment wollte ich nicht weiter darüber reden. Nie wieder. Stillschweigen. Für Fluffy.

Nach einigen Minuten der Stille holte Chris einen Behälter aus seiner Tasche raus und was ich in seinen Händen vorfand, war Mais. Trotz meiner düsteren Stimmung stahl sich ein Lächeln auf meine Lippen. Ich versuchte die Traurigkeit zu verdrängen. Schließlich wollte ich nicht meine Zeit mit Chris nur mit Trauer und Kummer verbringen.

„Ich dachte mir, warum tun wir den Enten bei dieser weihnachtlichen Kälte keinen Gefallen?", fragte er mich und schaute mich hoffnungsvoll an.

„Das ist, warum ich dich so sehr liebe."

Er sah mich erleichtert an und öffnete den Behälter.

„Weil ich immer dein wunderschönes Lächeln sehen will."

Er legte seine Lippen auf meine und küsste mich liebevoll. Ich setztemich auf seinen Schoß, um ihn besser küssen zu können. Doch wir hätten unsnicht all zu früh freuen sollen, denn der Behälter fiel auf dem Boden und somitauch der Mais. Keine Sekunde später stürmten alle Enten und Tauben auf ein unsein und wir brachen in herzhaftes Gelächter aus. Mein Herz fühlte sich etwasleichter an. Und den netten Verkäufer hatte ich auch fast vergessen. Aber nurfast.

Falling Snow - Ironie des Schicksals | LeseprobeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt