Augenblicklich kam Bewegung auf der Mauer auf. Die Brüder der Nachtwache rannten umher, während das Horn immer wieder geblasen wurde, zweimal, in regelmäßigen Abständen. Ich folgte Jon, der zur Rampe lief. Als ich nähertrat, stockte mir der Atem. Der Wald brannte an einigen Stellen - es war das größte Feuer, was ich je gesehen hatte. Doch nicht nur das bereitete mir Angst. Schwarze Punkte, zu einem fließenden Band zusammengeschmolzen, standen in einer Linie vor dem Wald.
Nicht nur das größte Feuern, sondern auch die größte Armee, die ich jemals gesehen hab', dachte ich.
Der Brüder der Nachtwache zündeten Fackeln entlang dem Rand der Mauer an.
»Wozu ist das?«, fragte ich meinen Bruder.
»Ich sagte Manke, wir hätten tausend kampffähige Männer - die haben wir jedoch nicht. Mit den Fackeln hat es den Anschein, als hätten wir mehr als 106«, erklärte Jon und wandte sich ab.
Einige Brüder rollten Fässer zu den Rampen, so dass ich auf dem schmalen Weg zur Seite weichen musste.
»Los, schneller!«, brüllte ein Mann mit einer Glatze.
Ich musterte ihn eindringlich. Irgendwie kam er mir bekannt vor, doch wusste ich nicht, woher.
»Das war das letzte Fass Öl, Ser Alliser«, hörte ich Jon sagen. Ich wandte mich um. Ser Alliser war ein Mann mit weißem Haar und einem strengen Gesicht.
»Hunderttausend sagt Ihr«, meinte Alliser Thorne.
»Ja, Ser.«
»Ihr könnt es ruhig sagen. Wir hätten den Tunnel versiegeln sollen, als wir's noch konnten - wie Ihr's empfohlen habt.«
»Eine schwierige Entscheidung, so oder so, Ser.«
»Wisst Ihr was Führerschaft bedeutet, Lord Schnee? Es bedeutet, dass man ständig in Frage gestellt wird, und zwar von jedem kleinen Schlauberger mit 'nem Mund. Aber wenn man beginnt, sich selbst in Frage zu stellen, ist es aus; für einem selbst, für die vielen kleinen Schlauberger, für alle eben. Das hier ist nicht das Ende, nicht für uns. Nicht, wenn ihr alle so lange eure Pflicht erfüllt, bis wir die da zum Rückzug zwingen - und dann dürft Ihr mich ruhig weiter hassen, und ich darf weiter bedauern, dass Eure Wildlingshure nicht treffsicherer war.«
Ich trat näher. »Ser, wenn Ihr erlaubt -«
Der Mann wandte sich mir zu. »Ihr solltet Euch in der Bibliothek verstecken, M'lady. Hier ist es nicht sicher für eine Frau.«
»Glücklicherweise unterliege ich nicht Euren Befehlen, Ser«, sagte ich mit ernster Miene. »Wir sehen uns in der Schlacht.« Ich machte auf dem Absatz kehrt und nahm mir einen Bogen und einen Köcher - der alte war mir von dem Deserteur im Fried genommen worden.
»Sienna ...«, vernahm ich Jons Stimme in meinem Rücken.
»Du kannst mir nichts befehlen, Jon«, sagte ich, während ich mir den Köcher umschnallte.
Mein Bruder packte mich an der Schulter und drehte mich grob zu ihm herum. »Ich werde nicht zulassen, dass dir etwas zustößt.«
»Dann lass es nicht zu«, gab ich zurück. Sofort riss ich mich von ihm los und ging zu den anderen Brüdern der Nachtwache auf den Wall. Kaum hatte ich mich zu Grenn und Edd gesellt, marschierte das Wildlingsheer los. Ich erkannte, wenn auch nur ganz klein, Mammuts, so wie in den Geschichten der Alten Nan, und Riesen. Das Brüllen der riesigen Tiere hallte bis zu uns hinauf. Ein Schauer lief mir dem Rücken hinunter und ich krallte meine zitternden Finger in die schwarze Wolle des Umhangs.
»Bei den Göttern«, murmelte Edd neben mir.
»Bogenschützen, einnocken. Alle anderen, halten«, befahl Ser Alliser mit lauter Stimme.
Die Bogenschützen legten einen brennenden Pfeil auf ihre Sehne und spannten diese. Edd und Grenn rollten neben mir eines der Fässer. Es entglitt ihnen und plump stürzte es hinab in die Tiefen.
»Ich sagte, einnocken und halten, ihr Trottel!«, schrie Ser Alliser. Die Schützen ließen ihren Bogen sinken. »Heißt einnocken, spannen?«
»Nein, Ser«, antworteten die Männer im Chor.
»Und, glaubt ihr, halten bedeutet fallenlassen?«
»Nein, Ser.«
»Habt ihr alle vor, heut Nacht zu sterben?«
»Nein, Ser.«
»Freut mich, das zu hören«, sagte Alliser Throne, ohne seine Lautstärke zu mindern. »Spannen!«
In diesem Moment erklang wieder das Horn - zweimal. Wir wandten uns dem Mann zu, der an jenem hier oben auf dem Wall stand.
»Nein, das kommt von unten«, erklärte dieser.
»Sie greifen das Südtor an!«, rief der Mann mit der Glatze.
»Jetzt?«, fragte Ser Alliser.
»Jetzt!«
Die Männer der Nachtwache sahen ihren Befehlshaber abwartend an.
»Ich werde da runtergehen«, meinte dieser. »Bruder Slynt, Ihr haltet die Mauer.«
»Was?« Der glatzköpfige Mann sah Ser Alliser unruhig hinterher, der sich bereits zum Gehen gewandt hatte.
»Worauf, zur Hölle, wartet hier?«, rief Ser Alliser, der sich noch einmal umdrehte. »Schießen!« Mit diesen Worten verschwand er endgültig.
»Ihr habt ihn ja gehört«, sagte der Mann namens Slynt. »Schießt!«
Die Männer hoben ihre Bögen und ließen Pfeile auf die Wildlinge herabregnen. Wenige wurden getroffen, wie ich erkannte - zu wenige.
Ich beobachtete, wie das Mammut mit dem Riesen darauf, einem zweiten Riesen, der daneben lief, und einigen Fußsoldaten auf die Mauer zumarschierten.
»Keine Disziplin, keine Ausdauer«, spie Slynt aus, doch hinter seiner Fassade versteckte sich Angst. »Eine Horde von Dieben - mehr ist das hier nicht. Ich war Kommandant der Stadtwache von Königsmund. Dort wurden Befehle noch befolgt.«
Erst jetzt fiel es mir wie ein Schleier von den Augen. Dieser Mann war damals, als ich mit meinen Schwestern und meinem Vater in der Hauptstadt gewesen war, der Kommandant der Stadtwache gewesen. Ich war nicht anwesend gewesen, doch ich hatte Geschichten gehört - Janos Slynt war einer der Männer gewesen, der meinen Vater verraten hatte. Liebend gern hätte ich diesen Mann nun dafür zur Rechenschaft gezogen, doch wenn ich es schon tun würde, würde ich ihn Qualen leiden lassen - und dazu war jetzt keine Zeit.
»Wir können sie nicht das Tor angreifen lassen!«, rief Jon aufgebracht.
»Das Gitter dieses Tores ist aus einer handbreit kaltgewalztem Stahl«, meinte Janos Slynt ruhig.
»Das Riesen auf Mammuts da unten!«, schrie mein Bruder. »Denkt Ihr, kaltgewalzter Stahl kann die aufhalten?«
»Riesen gibt es nicht«, erwiderte der ehemalige Kommandant der Stadtwache. Mir war schleierhaft, warum er hier war - tot nützte er mehr als lebendig. »Das sind Ammenmärchen.«
Sauer verließ Grenn seinen Posten und ging herüber zu Jon und Slynt. Ich sah zu Edd, der unruhig zurückblickte.
»Bruder Slynt, Meldung, dass Ser Alliser Euch unten benötigt«, sagte Grenn. »Ihr seid der erfahrenste Mann, den er hat. Er sagt, er braucht Euch.«
»Ich werde gebraucht«, stimmte Slynt zu und zog ab.
Grenn kam mit einem siegreichen Lächeln im Gesicht wieder zu uns herüber. Auffordernd sahen die Brüder nun Jon an - sie schienen ihm zu vertrauen.
»Schützen!«, brüllte mein Bruder. »Nockt eure Pfeile ein!«
»Pfeile einnocken!«, wurde der Befehl weitergegeben.
»Spannen!« Jon hob die Hand und die Bogenschützen ihre Bögen. »Schießen!« Der schwarzhaarige Mann ließ die Hand sinken und die Pfeile schossen los. Sie trafen ein paar Wildlinge, die auf die Mauer zurannten, doch einige überlebten und begannen, den eisernen Wall zu erklimmen.
»Die kommen nicht vor Sonnenaufgang an«, sprach Jon zuversichtlich auf uns ein.
»Woher weißt du das?«, fragte Grenn.
»Weil ich selbst schon mal hochgestiegen bin.«
»Glaub', die haben's eiliger, als du es hattest«, gab Edd zurück.
Einige Männer mit Bögen in der Hand wurden an Seilen hinuntergelassen, um Pfeile auf die Wildlinge hinunterzuschießen. Nun ergriff auch ich meinen Bogen. Den Pfeil zündete ich an und legte ihn auf die Sehne, als Jon den Befehl dazu gab. Wir schossen und unsere Pfeile jagten hinab auf die zweite Welle der Wildlinge.
Einer der Riesen blieb stehen und hob etwas hoch. Erst beim genaueren Hinsehen erkannte ich einen Bogen.
»Jon!«, schrie ich als Warnung, doch da hatte der Riese die Sehne schon losgelassen. Der Pfeil schlug in dem Holzdach über Jon ein, knapp verfehlte er ihn.
»Runter!«, befahl mein Bruder, doch da traf der nächste Pfeil bereits den Mann neben ihn und schleuderte diesen hunderte Meter durch die Luft.
Unzählige Wildlinge stürmten nun auf den verschlossenen Tunnel der Mauer hindurch.
»Jetzt!«, befahl Jon und die Ölfässer wurden freigelassen, so dass sie hinab in die Tiefen stürzten und Wildlinge unter sich begruben.
Ich blickte hinunter. Die Riesen befestigten Seile an dem Tor, die an der anderen Seite am Mammut festgebunden waren - sie versuchten das Tor damit zu öffnen. Ich sah, wie Jon mit Grenn sprach, und kurz darauf wandte dieser sich zum Gehen. Grenn rief einige Männer mit sich und verschwand.
»Öl!«, befahl Jon und ging wieder auf seinen Posten.
Die Fässer wurden angezündet und hinab in die Tiefen gelassen. Sie landeten unten vor dem Tor und explodierten. Das Mammut rannte panisch davon, gefolgt von einem Riesen. Ein Fass neben mir schien zu klemmen, es ließ sich nicht bewegen, so sehr der Bruder der Nachtwache auch daran herumstocherte.
»Aus dem Weg! Verschwindet!«, schrie er warnend.
Ich realisierte die Situation zu spät. Es explodierte, glücklicherweise stand ich nicht sehr nah daran, und ich wurde von den Beinen gerissen. Ich schrie, als ich stürzte. Meine Finger konnten sich noch ins Eis der Mauer krallen, doch spürte ich, wie mich die Kraft verließ.
»Jon!«, schrie ich voller Angst, und da stürzte ich.1473 Wörter
Ein langes Kapi noch zur später Stunde.
Cliffhanger ^^ muhahaha, ich bin böse, I know xD
Glaubt ihr, sie wird fallen und der Riese fängt sie auf? xD Bestiiiimmmt 😂
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Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4
FanfictionBuch 2 Tagelang ritt Sienna durch Westeros, auf den Weg nach Winterfell. Doch die Kälte, der Hunger und die Schlaflosigkeit wogen mehr als der Wille und erschwerten ihre Reise, so dass sie vom Ziel abkam und beinahe ohne Bewusstsein durch das Land i...