Kapitel 14

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Im Hof wurden die Leichen auf einen Haufen zusammengetragen. Der beißende Gestank des Todes hatte die Luft erfüllt. Ich kannte diesen Gestank. Damals auf dem Schlachtfeld nach Robbs Zug gegen die Lennisters hatte es genauso gerochen.
Ich hatte die Hände auf das hölzerne Geländer gelegt. Die Kälte kroch unter das Leder meiner Handschuhe, mehr denn je. Allmählich hatte ich mich wieder daran gewöhnt, an die Kälte, den Schnee, den Frost - und den Tod.
»Wir haben sie abgewehrt«, vernahm ich Sams Stimme.
Ich wandte mich um und erblickte Sam und Jon, die die Treppe hinunterliefen.
»Für eine Nacht«, sagte mein Bruder.
»Es war ein großer Sieg.«
»Ein großer Sieg?«, wiederholte Jon. »Manke hat unsere Wehrkraft geprüft, er wäre fast durchgebrochen. Und er hat noch mehr Riesen und noch mehr Mammuts, und er hat tausendmal so viele Männer.«
Mein Bruder blieb neben mir stehen und ich sah ihn zuversichtlich an. »Aber ihr habt es geschafft. Ihr habt die erste Welle zurückgedrängt. Er weiß jetzt, dass ihr wenige seid, aber er weiß auch, dass ihr nicht so einfach aufgebt.«
»Du hättest nicht dabei sein dürfen«, meinte Jon. »Es war zu gefährlich.« Ich öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch er kam mir zuvor. »Heute Nacht greifen sie wieder an - und dieses Mal bleibst du hinter dem Gemäuer, bei Goldy, und nicht hier oder oben auf dem Wall.« Goldy hatte es aus Mulwarft hierher geschafft – zusammen mit ihren Sohn.
Mein Bruder lief weiter, gefolgt von mir und Sam.
»Vielleicht können wir sie ein, zwei Tage abwehren, aber wir werden sie nie besiegen.«
»Wo gehen wir hin?«, fragte Sam.
»Ich geh Manke suchen«, gab Jon, ohne mit der Wimper zu zucken, zu.
»Du gehst ... Das kannst du nicht machen! Keiner hat dir den Befehl gegeben.«
Jon wandte sich uns zu. »Wer soll hier noch befehlen?«, sagte er. »Die Wildlingsarmee ist nur wegen Manke eine Armee. Er hat hundert verfeindete Stämme vereint. Ohne Manke verlieren sie ihren Anführer - sie haben kein Ziel mehr, sie bekriegen einander wieder und machen sich auf den Heimweg.« Jon lief weiter.
»Wenn du da hingehst, wird man dich töten«, meinte ich.
»Sie werden mich zuerst zu ihm bringen«, erwiderte mein Bruder. »Ich brauch' nicht viel Zeit.«
»Willst du ihn töten?«, rief Sam.
»Ich werd's versuchen.«
»Dann ist das auch dein Tod«, sagte ich.
»Wenn ich nicht gehe, bringen sie mich auch um, und alle anderen auch.«
»Die bringen dich nicht nur um«, meinte Sam, der stehengeblieben war. »Die brühen dich, die häuten dich - es wird Tage dauern.«
Jon wandte sich uns um. »Ihr habt recht. Ist 'n mieser Plan. Wie lautet euer Plan?«
Sam und ich schwiegen und Jon ging davon. Wir folgten ihm in den Tunnel, Sam ergriff eine Fackel, die uns ein wenig Licht spendete. Sofort fielen uns die Leichen ins Auge, die vor dem zerstörten Eisengittertor lagen. Grenn und die anderen hatten den Riesen aufhalten können, doch hatten sie selbst dafür ihr Leben gelassen. Jon hockte sich neben seinen Freund - es war nicht der erste; auch Pyp war bei dem Kampf gestorben, getroffen von einem Pfeil.
»Sie haben das Tor gehalten«, sagte Jon und schloss Grenns Augen. »Hol ein paar Brüder, Sam. Sie sollen dir helfen. Ihr müsst die Leichen verbrennen.«
Sam nickte nur neben mir mit dem Kopf. Seine Augen waren gefüllt mit Tränen.
Stumm passierten wir die Leichen. Am Ende des Tunnels blieben wir stehen, und schweigend starrte Jon das Tor vor sich an.
»Öffne das Außentor«, sagte er an Sam gewandt. »Dann schließ es wieder, sobald ich draußen bin.«
Zögernd wandte Sam sich ab und begann mit der Fackel unaufhörlich herumzuschwenken. Das Klappern von Spangen erklang und Jon nahm sein Schwert ab.
»Was tust du da?«, wollte Sam wissen.
»Ich hab' Mormont versprochen, es nie wieder zu verlieren«, meinte Jon und reichte das Schwert seinem Freund. »Falls ich nicht mehr zurückkommen sollte.«
Ein Ruck verlief durch das Tor und es öffnete sich.
»Und jetzt verlässt du mich?«, fragte ich meinen Bruder mit Tränen in den Augen. »Du bist der einzige, den ich noch hab'.«
Jon antwortete nicht, sondern nahm mich schweigend in den Arm. Ich vergrub meinen Kopf in seiner Brust, während er mich fest an sich drückte. Robb, mein Vater und meine Mutter waren tot, Bran und Rickon waren fort, Arya und Sansa ebenso. Jon war das Einzige an Familie, was mir noch blieb.
Mein Bruder löste sich von mir und wandte sich wieder dem Ausgang zu.
»Jon«, sagte Sam und sein Freund sah ihn an. »Komm wieder.«
Der Mann lächelte leicht. Als das Tor hochgefahren war, trat er der Gefahr entgegen. Mein Bruder verschwand im Nebel, dann schloss sich das Tor. Ich schluckte schwer und ließ den Kopf sinken.
»Wir sollten gehen, Sienna«, sagte Sam.
Ich nickte nur und folgte dem Mann durch den Tunnel, vorbei an den Leichen und hinaus auf den Hof, wo noch mehr lagen. Ich ließ Sam stehen und ging zu dem Zimmer, welches man mir zur Verfügung gestellt hatte. Dort verschloss ich die Tür. Sofort ergriff ich meine Waffen, die ich nach dem Kampf hier abgestellt hatte. Ich legte sie mir um und richtete meinen Umhang, dann trat ich wieder nach draußen.
Meine Augen suchten den Käfig, in welchen meine Wölfe wieder eingesperrt waren. Als niemand hinsah, öffnete ich ihn. Die vier sahen auf, und Ylenia, Nymeria und Lady setzten sich in Bewegung - Geist schien zu wissen, dass er nicht gemeint war. Ich verschloss den Käfig wieder, und als ich mich umwandte, schrak ich zusammen.
»Was tust du da?«, fragte Sam.
»Lass mich in Ruhe, Sam«, sagte ich nur und lief weiter zum Stall. Dort sattelte ich ein Pferd, bei jeder meiner Bewegungen wurde ich von Jons Freund beobachtet.
»Du willst gehen«, bemerkte er. »Du kannst nicht gehen!«
»Wieso nicht? Wer will mich aufhalten?«, gab ich zurück. »Ich bin eine Frau und kein Mitglied der Nachtwache. Jon hat mich verlassen. Niemand weiß, ob er zurückkommen wird. Nun gehe ich, denn alles, was mir bleibt, ist meine Rache.« Ich schwang mich in den Sattel. »Ich werde mich an den verbliebenen Lennistern rächen, für das, was sie meiner Familie angetan haben.«
»Nein, das darfst du nicht«, erwiderte Sam. »Das werd' ich nicht zulassen.« Er stellte sich vor mich.
»Geh mir aus dem Weg, Sam«, befahl ich.
»Nein, niemals!«
»Sam, geh beiseite!«, sagte ich mit warnender Stimme.
»Nein!«
Ich nahm die Zügel auf und gab meinem Pferd die Sporen. Wiehernd tat es einen Satz nach vorn und galoppierte los. Sam konnte noch gerade so aus dem Weg springen, sonst hätte das Tier ihn umgerannt. Ich ritt auf das beinahe vollständig zerstörte Tor der Schwarzen Festung zu. Die Männer auf dem Hof wandten sich zu mir um, Sam rief ihnen zu, sie sollten mich aufhalten. Doch es war zu spät. Ich erreichte das Tor. Splitternd zersprang es, als ich durch es hindurchritt. Die Wölfe folgten mir.
Und wieder ritt ich davon. Und wieder dürstete es mich nach Rache. Königsmund - der Ort, wo alles seinen Anfang hatte, der Ort, an dem die trügerischen Spiele ausgetragen wurden und sich verbreitet hatten. Nach drei Jahren würde ich zurückkehren, nach drei Jahren würde ich Cerseis Gesicht wiedersehen, und dieses Mal schwor ich mir, dass ich dieses Gesicht nicht verlassen würde, ohne dass es das Grauen gesehen hatte.

1190 Wörter

Das letzte Kapitel. Dieses Mal hat Sienna sich wieder etwas geschworen. Ob es diesmal wahr wird? Das werdet ihr sehen, wenn ich weiterschreibe ^^

Ich weiß, das Buch ist viel kürzer als das andere. Das liegt daran, dass Bran nicht oft in Staffel 3/4 aufgetreten ist. Jedoch schreibe ich die Geschichte in einem neuen Buch weiter, da das woanders spielt etc.

Ich werde noch eine Danksagung veröffentlichen, wo ich alles noch mal schreibe ;)

Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt