Ich spürte einen starken Griff um meinem Handgelenk. »Ich hab' Euch«, hörte ich Edd sagen.
Ich starrte hinab in die Tiefe. Wie lange würde der Fall wohl dauern?
»Seht nicht hinunter, M'lady. Seht mir in die Augen.«
Es war schwer, doch ich hob den Kopf. Jon tauchte neben Edd auf und half ihm, mich hochzuziehen. Zitternd hing ich in Jons Armen. Meine Hände krallten sich in seinen Umhang.
»Danke ...«, sagte ich mit zittriger Stimme an Edd gewandt. Der Mann nickte nur - auch ihm stand der Schock ins Gesicht geschrieben.
Der Hebel der großen Armbrust wurde umgelegt und der Bolzen traf den rennenden Riesen im Rücken. Tot fiel er zu Boden. Das laute Brüllen des zweiten Riesen erklang, und ich vergrub meinen Kopf in Jons Brust - ich wollte, dass es aufhörte, dass der ganze Krieg aufhörte, auf der ganzen Welt.
Erst jetzt wurde mir klar, dass ich immer noch ein naives Kind war. Ich hatte gedacht, ich wäre bereit, bereit für das wahre Leben - doch das war ich nicht. Ich hatte mich überschätzt, den Krieg überschätzt. Mein Vater hatte es gehasst, in Schlachten zu ziehen, Menschen das Leben zu nehmen - erst jetzt verstand ich ihn; und wenn ich geglaubt hatte, es damals schon getan zu haben, war es eine Lüge gewesen.
»Jon!«, erklang auf einmal Sams Stimme und mit mir im Arm wandte sich mein Bruder um.
»Was hast du hier oben zu suchen?«
»Die Wildlinge haben das Bollwerk überwunden«, erklärte Sam. »Ser Alliser ist verwundet. Die Festung wird nicht mehr lange halten.«
»Edd, du hältst die Mauer«, wies Jon an und ließ mich los. »Wenn sie die Mammuts wieder einsetzen, dann bewirf sie mit Feuer. Wenn die Kletterer zu hoch kommen, dann gib ihnen die Sense.« Mein Bruder beugte sich zu seinem Freund hinunter. »Pass auf meine Schwester auf.«
Ich sah meinem Bruder und Sam hinterher, als sie gingen.
»Kommt, Brüder, kämpft mit mir!«, hörte ich Jon noch rufen.
Allmählich hatte mein Körper und mein Herzschlag sich wieder beruhigt. Ich musterte meine Hände, dessen Haut von ledernen Handschuhen bedeckt war - sie zitterten noch. Ich sah auf und ballte meine Hand zur Faust. Die Götter hätten mich holen können, bereits unzählige Male, doch sie taten es nicht. Jetzt aufzugeben, war falsch. Richtig war, aufzustehen, aufzustehen und zu kämpfen.
Ich öffnete meine Hand und machte auf dem Absatz kehrt.
»M'lady?«, rief Edd mir fragend hinterher, doch ich ignorierte es.
Ich wartete, bis der Fahrstuhl wieder oben war, dann betrat ich ihn und fuhr hinunter. Dieses Mal ging es schneller; die Fahrt war nicht so quälend langsam wie beim ersten Mal. Ich umklammerte fest den Heft meines Schwertes. Als der Kasten hielt, zog ich es und verließ ihn. Das Szenarium, welches sich vor mir ereignete, war grauenvoll. Ich kannte verstümmelte Leichen - die hatte ich gesehen, als Robb mich nach einer Schlacht auf das Feld mitgenommen hatte -, doch kämpfende Soldaten, zu sehen, wie sie in diesem Augenblick starben, war eines der schlimmsten Dinge, die ich je gesehen hatte.
Mir blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, was schlimm war und was nicht, denn in diesem Moment wurde ich angegriffen. Ich konnte ein Schwert schwingen, oder besser: Ich hatte es einmal schwingen können. Doch mittlerweile war ich aus der Übung.
Der Mann, der mich angriff, war um einiges größer als ich. Er schlug mit seinem Schwert nach mir und ich stolperte nur unbeholfen nach hinten. Der Wildling holte zu einem weiteres Schlag aus, doch dieses Mal hatte ich keine Zeit zurückzuweichen. Er hätte mich getroffen, doch da schoss etwas Weißes hervor und riss den Mann zu Boden. Jemand hatte die Wölfe freigelassen, die sich nun mit voller Blutlust in den Kampf gestürzt hatten.
Ich nahm mein Schwert wieder richtig auf und schlug damit nach dem nächsten Wildling. Es traf ihn, wenn auch nur leicht, doch als er angreifen wollte, jagte ich es ihm mit voller Wucht in den Bauch. Der Mann sank sterbend auf die Knie, sein Mund war gefüllt mit Blut.
Ich sah mich um. Die Brüder der Nachtwache kämpften hart. Sie waren in der Unterzahl, weitaus, und es sah nicht nicht so aus, als würden sie gewinnen.
»Sienna, was tust du -«
Ich schnitt Sam das Wort ab, indem ich den Dolch schleuderte. Er raste an ihm vorbei und traf den Wildling in der Brust. Der Mann knurrte warnend, ich hatte ihn nicht sehr verletzt.
»Runter!«, befahl ich, und augenblicklich ließ sich Sam zu Boden fallen. Ich holte mit meinem Schwert aus und schlitzte dem Wildling den Bauch auf. Nymeria sprang herbei und setzte ihm gänzlich das Ende.
»Du darfst nicht hier sein. Wenn Jon davon erfährt -«
»- kann er es auch nicht mehr ändern«, unterbrach ich Sam.
Ich riss dem Mann die Armbrust aus der Hand und zielte damit auf den nächsten Wildling. Noch nie zuvor hatte ich solch eine Waffe benutzt. Sie war bereits geladen, und ich legte meinen Finger auf den Hebel und drückte ihn nach hinten. Es klackte, dann schoss der Bolzen los. Durch den Rückstoß, den ich nicht bedacht hatte, verlor ich mein eigentliches Ziel, doch traf der Bolzen glücklicherweise einen Wildling etwas weiter neben dem anderen.
»Danke«, sagte ich und gab Sam die Armbrust zurück.
Ich zog wieder mein Schwert und warf mich in den Kampf - Ylenia eskortierte mich. Plötzlich tauchte vor mir ein riesiger Mann auf; er war um einiges größer als ich. Wie gelähmt, stand ich da und starrte ihn an. Er grinste und lief mit wenigen Schritten auf mich zu. Ylenia knurrte neben mir verächtlich. Als er mich fast erreicht hatte, wollte mein Wolf angreifen, doch auf einmal ragte eine Schwertspitze aus dem Unterleib des Wildlings. Sie wurde herausgezogen, und bevor der Mann reagieren konnte, fiel sein Kopf von seinem Körper. Der Torso kippte zu Boden und ich erkannte Jon, der mich finster ansah.
»Was tust du hier?«, verlangte er zu wissen.
»Ich -« Weiter konnte ich nicht sprechen, denn da wurde ich auf die Wildlingsfrau aufmerksam, die mit ihrem Bogen auf Jon zielte. Mein Bruder wandte sich um und starrte die Frau an - es schien laut seiner Reaktion Ygritte zu sein. Gerade als er auf sie zugehen wollte, zuckte ihr Körper zusammen. Ein Pfeil hatte sie getroffen und langsam sank sie zu Boden. Sofort rannte Jon zu ihr. Er hielt sie in seinem Arm und sprach mit beruhigenden Worten auf sie ein.
Mit klopfendem Herzen sah ich die beiden an. Mein Bruder hatte den Kopf in den Fellen der Frau vergraben, in sie hinein weinend. Langsam ließ er den toten Körper zu Boden gleiten. Als er sich erhob, fiel sein Blick auf mich, ein schweigender Blick, aber dennoch wusste ich, was er dachte und was er fühlte.
Er lief an mir vorbei und ich wandte mich um. Alle Wildlinge waren besiegt worden, alle, bis auf einer mit rotem Haar und einem roten Bart. Er war von den Brüdern der Nachtwache eingekesselt, aber dennoch lief er brüllend umher, das Schwert blindlings schwingend.
»Tormund«, sagte Jon, seine Stimme war ruhig und leise. »Es ist vorbei. Hör schon auf.«
»So hört ein Mann auf«, knurrte der Wildling und schlug mit den Schwert nach einem Bruder der Nachtwache, welcher jedoch sogleich parierte. Jon nahm einem Mann die Armbrust ab und schoss dem Rothaarigen ins Bein. Stöhnend sank dieser zu Boden. Mein Bruder trat auf ihn zu und verpasste ihm dann einen Tritt ins Gesicht.
»Legt ihn in Ketten«, wies er an. »Wir verhören ihn später.«
»Ich hätte dich«, begann Tormund, als er davongezerrt wurde, »von der Mauer werfen sollen, Junge!«
Jon wandte ihm den Rücken zu. »Ja, das hättest du.«1243 Wörter
Das vorletzte Kapitel. Sienna lebt und sie wurde von keinem Riesen gerettet xD
Was, denkt ihr, geschieht im letzten Kapi?
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Valar Morghulis || Game of Thrones Staffel 3-4
FanfictionBuch 2 Tagelang ritt Sienna durch Westeros, auf den Weg nach Winterfell. Doch die Kälte, der Hunger und die Schlaflosigkeit wogen mehr als der Wille und erschwerten ihre Reise, so dass sie vom Ziel abkam und beinahe ohne Bewusstsein durch das Land i...