Kapitel 1

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Wincent PoV
Gerade bin ich auf dem Weg in die Schule. Zumindest auf Umwegen. Ich stehe immer eine Stunde vorher auf, damit ich noch zu meinem Lieblingsort laufen kann. Es ist ein kleiner Berg, von dem aus man über die ganze Stadt blicken kann. Man kommt dort aber nur hin, wenn man durch ein paar Büsche läuft. Ich hab den Platz mal entdeckt als ich draußen gespielt hatte. Seitdem bin ich so oft wie möglich dort. Immer wenn ich Zeit zum Nachdenken brauche oder einfach meine Ruhe haben möchte gehe ich dort hin. Leider habe ich nicht mehr oft diese Möglichkeit. Als ich angekommen bin setzte ich mich auf das bunte Laub. Es ist Herbst. Meine Lieblingsjahreszeit. Alles ist bunt und es ist nicht mehr so heiß. Gedankenverloren betrachte ich die Natur. Ich konnte meine Eltern dazu überreden, dass ich heute in die Schule laufe. Seit meiner Diagnose lassen sie mich kaum noch aus den Augen. Aber ich möchte meine Zeit bevor ich ins Krankenhaus komme genießen. Wer weiß wann ich dann wieder raus komme. Ein Blick auf mein Handy verrät mir, dass ich mich auf den Weg zur Schule machen muss. Schade. Ich wäre gerne noch länger hier geblieben. Auf dem Weg dort hin hörte ich Musik. Ich liebe Musik. Ich singe viel und spiele Gitarre und Keyboard. Ich wüsste nicht, was ich ohne die Musik tun würde. In der Schule gehe ich gleich ins Klassenzimmer. Da ich ziemlich schüchtern bin habe ich nicht viele Freunde. Naja, eigentlich habe ich nur zwei Freunde. Benni und Anouk. Benno kenne ich schon seit dem Kindergarten. Und Anouk ist zusammen mit ihrer Familie vor zwei Jahren aus Finnland hierher gezogen. Finnland. Ich würde so gerne mal nach Finnland. Aber meine Krankheit verhindert das leider. In drei Tagen muss ich ins Krankenhaus, was heißt, dass heute mein letzter Schultag sein wird. Auch wenn ich die Schule nie sehr gemocht hab, wie es bei eigentlich jedem ist werde ich sie vermissen. "Hey Wincent!", holt mich Benni aus meinen Gedanken. Er behandelt mich immer noch wie vorher, wofür ich ihm sehr dankbar bin. Es war meine größte Angst, dass er und Anouk mich anders behandeln würden nachdem ich ihnen von meiner Diagnose erzählt hatte. Sie haben mir versprochen mich so oft wie möglich zu besuchen. "Hey, ich hab dich was gefragt." "Was?" "Ob du schon aufgeregt bist wegen Montag." Schon verschlechterte sich meine Laune. "Ich will nicht darüber reden." Ich konnte es einfach nicht. Kein einziges Wort hatte ich bis jetzt darüber gesprochen. Meine Eltern machten sich schon Sorgen. Aber auch sie konnten mich nicht zum Reden bringen. "Wie du meinst. Hast du für Englisch gelernt?" "Nein. Du weißt doch, dass ich nicht lerne." "Stimmt. Du bist ja ein Streber, der schon alles weiß", lachte Benni. Das brachte mich auch wieder zum Lachen. Aber es stimmte nicht ganz. Ich könnte mir nur ziemlich viel merken ohne, dass ich dafür lernen musste. Und da Englisch sowieso mein Lieblingsfach ist hatte ich damit erst recht keine Probleme. "Hey Jungs", begrüßte uns im nächsten Moment Anouk. "Hallo Anouk, hast wenigstens du für Englisch gelernt? Wincent kann ja alles schon." "Ja hab ich. Das ist einfach viel zu viel. Ich hoffe ich schaff eine drei. Wie sieht's eigentlich mit unsrem Treffen morgen aus. Klappt das jetzt bei dir Wincent?" "Ja. Ich konnte meine Eltern dazu überreden. Ich muss sie aber abends und morgens anrufen, damit sie Bescheid wissen, dass es mir gut geht." "Immerhin darfst du." Bevor wir uns noch weiter unterhalten könnten kam der Lehrer und alle setzten sich auf ihre Plätze. In den nächsten zwei Stunde schrieben wir unsre Englisch-Schulaufgabe. Ich war schon eine halbe Stunde vorher fertig. Also legte ich meinen Kopf auf meine Arme und blickte aus dem Fenster. Ich war schon immer ziemlich verträumt und wenn ich dann auch noch aus dem Fenster schaute bekam ich gar nichts mehr mit. Deshalb überhörte ich auch die Pausenglocke. Erst als Anouk mich fragte ob wir drei rausgehen war ich wieder in der Realität. Ich stimmte ihr zu und draußen setzten wir uns auf eine etwas abgelegeneren Bank. Ich bin nicht so ein Fan von großen Menschenmassen. Wir unterhielten uns ein bisschen, als Benni mich anschaute. "Wincent, du blutest." Ich schaute auf meine Jacke und tatsächlich waren dort schon mehrere Blutflecken. "Nicht schon wieder", seufzte ich und nahm das Taschetuch, dass Anouk mir gab, dankend an. Ich drückte es mir an die Nase und versuchte damit das Blut zu stoppen. "Ähm, ich geh mal kurz auf die Toilette." Ich sah noch kurz ihre besorgten Blicke bevor ich schnell ins Bad ging.

Eine schlechte DiagnoseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt