Kapitel 1 - Der König der Räuber

2.4K 137 33
                                    


»Die Legenden der südlichen Dörfer des Van Alvarr Reiches erzählen von einem Räuber, der kaltblütiger war, als die Bestien, die des Nachts in den Wäldern umher schlichen. Ein Räuber, der ganz allein eine königliche Patrouille stürzen und all seine Mitglieder ermorden konnte. Er war gerissen. Er war schnell. Und er hinterließ keine Spuren. Er war wie ein Geist, den nur die tapfersten aller Ritter zu fangen versuchten. Doch sie kehrten immer mit leeren Hufen zurück.

Eirik, der König des Reiches Van Alvarr, fürchtete diesen Räuber mehr als die bevorstehende Revolte seines eigenen Volkes, das sich seiner grausamen Herrschaft zu erwehren versuchte. Doch seine Hufe waren ihm gebunden, da es keine Möglichkeit gab, Erren, den Räuberkönig aufzuhalten...«

Farah sah von ihrem Geschichtsbuch zu ihrem Hauslehrer, dem schneeweißen Hengst, Grindor auf. Das Rattern der von zehn fuchsfarbenen Pferden - Dienern ihres Königshauses - gezogenen Kutsche dröhnte in ihren Ohren. Sie legte ein höfliches Lächeln auf und richtete die Ohren interessiert nach vorn. Grindor starrte die junge Stute jedoch nur mit einem äußerst tadelnden Blick an.

Mylady, Geschichten dieser Art sind in Gegenwart des Königs von Van Alvarr nicht zu erwähnen! Ihr wollt die Gesellschaft doch nicht mit Euren Märchen gegen Euch aufbringen!«

Seufzend faltete die junge Fuchsstute ihr Geschichtsbuch zusammen, steckte es in ihre Reisetasche und sah aus dem Fenster der Kutsche. Grindor war manchmal wirklich ein wahrhaftiger Miesepeter. Er hatte ihr die Geschichten doch selbst erzählt. Und ein Funke Wahrheit steckte doch in jeder Legende.

Sie legte ihren Kopf lustlos auf der Fensterbank ab und musterte die vorbeiziehenden Bäume. Einer sah aus wie der andere. Deprimiert schloss sie die Augen. Sie wusste genau, dass sie nur auf dem Weg zu den Van Alvarrs waren, weil Eirik in Erwägung zog, eine Allianz mit ihrem Haus, dem Hause Keldor, einzugehen.

Mit angelegten Ohren blähte sie die Nüstern. Das würde nur auf eines hinaus laufen. Sie würde Prinz Aino Van Alvarr heiraten müssen. Ihr einziger Trost war dabei, dass der Prinz sie wahrscheinlich ebenso wenig zur Gemahlin haben wollte, wie sie ihn.

Das wusste ihr Vater natürlich ganz genau. Vielleicht war er deshalb schon einige Tage vor ihr zu den Van Alvarrs gereist.

Doch ihr Unmut ließ Farah schlucken. Sie wollte nicht im Hause der Van Alvarrs leben müssen. Sie war nicht die Älteste ihrer Schwestern, hatte also nicht die Pflichten einer Prinzessin, dennoch musste sie sich dem Willen ihres Vaters beugen, wenn es ihrem Volk zugutekam.

Aber Farah konnte sich nichts vormachen. Tief in ihr schlummerte der Wunsch, dass sie frei sein konnte, dass sie jemanden heiraten konnte, mit dem sie zusammen sein wollte. Und je weiter sie sich dem Reich der Van Alarrs näherten, desto stärker wurde ihr Wunsch, dass sie niemals dort ankommen würde.

Die Axt schlug tiefe Rillen in das feste Holz der jungen Fichte. Erren hielt das Werkzeug geschickt zwischen den Zähnen und schlug zu. Das Holz zerbarst und die Splitter rissen ihm kleine Wunden in den vernarbten Pelz. Er hatte die Axt seit Stunden in diesen einen Baum gehauen, ohne dass das Gehölz nachgegeben hatte, doch das störte ihn nicht. Er brauchte die Übung, wenn er weiterhin der gefürchtetste Räuber im Land bleiben wollte.

Zielen und schlagen, dachte er, fixierte die Stelle des Baumes, die auf der Höhe der Halsschlagader eines Pferdes lag und schlug mit einem Schrei, der eines Kriegers würdig war, so fest zu, wie er nur konnte.

Die Axt hatte sich nun bis tief ins Mark des Baumes gegraben und nur durch diesen einen, gezielten Hieb begann der Baum endlich zu knicken.

Zufrieden zog Erren die Axt mit einem Ruck aus dem Stamm heraus und löste das abgeknickte Ende des Baumes vollends ab. Die dichten Nadeln würde er zum Abdichten seines seit Tagen leckenden Höhlendaches verwenden.

Erren - König der Räuber (8 Kapitel Leseprobe)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt