Imagine

911 51 3
                                    

Meine Gedanken fanden immer wieder zurück zu ihm. Immer wieder stand ich auf, sah aus dem Fenster oder las in einem Buch, um mich irgendwie abzulenken, aber es half nie länger als ein paar Minuten.
Mir war klar, dass es mich kaputt machte, dass es mich innerlich auffraß, aber es gab keine Lösung, um es zu ändern.
Ich hatte die Leute immer belächelt, die sich abgeschottet hatten, nichts mehr aßen und tranken und nicht mal mehr schliefen. Ich hatte es für lächerlich und übertrieben gehalten.
Aber nun stand ich hier, spürte bei jeder Bewegung einen stechenden Schmerz, sah meine herausstehenden Knochen und die dunklen Ringe unter den Augen, wenn ich in den Spiegel schaute.
Und es kümmerte mich nicht.
Was brachte es mir, zu schlafen, zu essen, zu leben?
Das würde ihn auch nicht zurückbringen.
Es klingelte an der Tür.
Durch die vielen schlaflosen Nächte war mein ganzer Körper ausgelaugt und nicht mehr wirklich funktionsfähig. Auf mein Gehör konnte ich mich schon länger nicht verlassen, denn ich hörte dieses dauernde Piepsen, ab und an untermalt mit einem dumpfen Rauschen.
Aber als es wieder und wieder klingelte, merkte ich, dass ich es mir nicht einbildete.
Seit mehreren Wochen hatte ich niemanden mehr gesehen und hatte es auch nicht vor, aber weil das Klingeln nicht verstummte, machte ich mich mühsam auf den Weg.
Als ich die Haustür öffnete, sah ich seinen Bruder.
Sofort stiegen mir die Tränen in die Augen. Er sah ihm so unglaublich ähnlich.
"Das habe ich bei seinen Sachen gefunden." sagte er mit zittriger Stimme. Sein Blick war schmerzerfüllt, aber ich konnte das Mitleid sehen. Er bemittleidete mich.
Ich nahm den Umschlag entgegen, den er mir entgegenhielt, und betrachtete meinen Namen, der in schwungvollen Buchstaben darauf geschrieben stand.
"Danke."
Er sah mich an, als wollte er nachfragen, aber ich wand meinen Blick ab und wich ein Stück nach hinten. Ich spürte seine Blicke auf meinem ausgemergelten Körper und ich wusste genau, wie sehr er sich sorgte. Genau wie es sein Bruder getan hätte.
"Danke, bis dann." zwang ich mich zu sagen, ehe er es konnte und schloss die Tür.
Beim Anblick seiner sorgfältigen und eleganten Handschrift tat alles noch mehr weh.
Ich wollte den Brief nicht öffnen, ich wollte nicht wissen, wie er versucht hat, seine Abwesenheit zu entschuldigen. Das konnte er nicht.
Aber allem zum Trotz riss ich die Umschlaglasche auf und nahm das akkurat gefaltete Briefpapier heraus.

Es tut mir alles so Leid. Ich wünschte, ich könnte dir helfen, denn ich weiß genau wie schlecht es dir geht, wenn du diesen Brief ließt.
Ich hätte für dich da sein müssen, so wie du es für mich warst, und du weißt nicht wie weh es tut, zu wissen, dass ich das nicht können werde.
Wenn ich einen Wunsch hätte, dann der, dass du wieder glücklich wirst.
Ohne mich.
Du weißt, was ich meine.
Es ist mir unmöglich bei dir zu sein, wie sehr ich es mir auch wünsche.
Ich habe immer gesagt, ich glaube an Schicksal. Dass alles, was passiert, einen Sinn hat.
Aber weißt du was?
Jetzt glaube ich nicht mehr daran. Es ist nicht richtig uns zu trennen.
Wir sind füreinander geschaffen und jede einzelne Minute, die ich ohne dich verbracht habe, war nichts als vergeudete Zeit.
Deine Liebe zu bekommen war das beste Geschenk, das je ein Mensch bekommen hat und du hast mich zum glücklichsten Menschen der Welt gemacht.
Es ist nicht fair, diese Verbindung so früh zu trennen, aber ich bin so unendlich dankbar, dass ich dich überhaupt hatte.
Ich vergesse dich nicht, und du wirst mich nicht vergessen, aber verspricht mir, mir meinen Wunsch zu erfüllen. Werde glücklich und schenke anderen diese Liebe, die ich einst erfahren durfte.

Meine Augen waren glasig und die Worte verschwammen. Mein Herz pochte wild. Es war dasselbe Herzklopfen, dass ich hatte, als ich ihn zum ersten Mal sah.
Es fühlte sich an, als würde ich ganz langsam von innen auftauen. Mit der Wärme seiner Worte verschwand die verzweifelte Wut. Und ich spürte seine Liebe in jeder Faser meines Körpers und ich sah ganz plötzlich den Sinn.
Ich werde leben. Ich bin es ihm schuldig

Fußball Oneshot's BoyxboyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt