6 - Schnee des Südens

1.4K 88 11
                                    

Sooo erstmal an alle eine frohe Weihnacht und das hier ist eine Art Weihnachtsgeschichte. Meine Mutter hat sich gewünscht, dass ich ihr eine Geschichte zu Weihnachten schenke und das ist sie. Etwas länger als gewöhnlich aber immer noch eine Kurzgeschichte finde ich. Viel Spaß beim Lesen und ich hoffe ihr haltet bis zum Ende durch :)

 Schnee des Südens

Weit über den Feldern und Wäldern des Königreiches erstreckte sich eine dicke, kalte Wand aus frierenden Himmelstränen. Es war bereits später Nachmittag und wie auf einen Befehl zuarbeitend öffnete sich die weiße Decke und Gott begann zu weinen. Dicke Schneeflocken bahnten sich ihren Weg zu Boden und der gefrorene Boden erzitterte, als durch die bittere Kälte hindurch schmutzige Pferdehufe auf den harten Untergrund donnerten. Die Räder des Gefährtes kamen nicht selten zum Rutschen und der Kutscher verfluchte den Grafen, dass er ihnen keinen Schlitten zur Verfügung gestellt hatte. Sofort kreuzigte er sich bei diesen unwürdigen Gedanken und bat stumm um Verzeihung. Er hatte die Kutsche mitsamt seiner Insassen sicher zum Palast zu bringen und würde er diese Aufgabe nicht ordnungsgemäß erfüllen, so müsste er um seine Existenz bangen. Schließlich hatte er keine Fehler zu machen. Und auch wenn die junge Frau im Inneren so vermeintlich unbedeutend war, wie eine der unzähligen Kiesel auf dem langen Pfade zum Ziel, würde er sich so verhalten, wie es sein guter Benimm von ihm erwartete. Schon als sie eingestiegen war, hatte er ihr höflich die Tür aufgehalten und sich selbst verboten auf ihr außerordentlich pralles Hinterteil zu starren. Das mussten die Wurzeln sein, er hatte noch nie eine englische Lady mit solchen Rundungen gesehen. Er verbot sich desweiteren sie auch nur im Ansatz attraktiv zu finden, denn er war einer der wenigen, der die Wahrheit über sie wusste. Den Grund ihrer Anwesenheit am gräflichen Landsitz. Die Tochter der Magd hatte es ihm erzählt. Sie hatte das Mädchen dabei belauscht, wie es immer und immer wieder Abend für Abend im Stall bei den Gäulen gesessen hatte und ihr Herz ausgeschüttet hatte. Anfangs auf ihrer dreckigen Sprache, später dann auf Englisch. Schließlich wäre sie im Falle eines Verrates an den Grafen höher für den Gebrauch ihrer Mutterworte bestraft worden, als für die Preisgabe ihres Leides. Lange hatte die Lehrerin des Grafensohnes gebraucht, um ihr das königliche Gebären einzupauken, doch sie hatte Talent und wenn die Lehrerin ehrlich war, hatte sie noch nie eine Unterwürfige kennen gelernt, die so schnell die Fähigkeit zu sprechen erlernt hatte. Die richtige Sprache zu sprechen. Nun, um nicht zu lügen muss dazu wohl auch gesagt werden, dass die Paukerin noch niemals irgendwen Englisch beigebracht hatte. Sie hatte lediglich Bücher gelesen, in denen über die Ungebildetheit und die Unverständlichkeit der dummen ungesegneten Kinder Gottes gesprochen wurde. Man sagte ihnen nach, ihre grässliche Hautfarbe sei eine Bestrafung für Ungehorsam und dann zog sich diese Schmach durch die komplette niedere Sippe. So war es ja schließlich auch bei Hunden. Hatte die Mutterhündin Würmer, so konnte man diese auch bei den Welpen finden. Doch diese junge Frau war etwas Besonderes. Das wusste der Kutscher und daher war er erleichtert, als er endlich die Zugbrücke erreicht hatte und er seine Aufgabe erfüllt hatte. Denn als er den Hof passiert hatte, war sie nicht länger in seiner Verantwortung. In den weichen Schneetänzen standen mehrere Mägde herum und taten ihrer Arbeit nach. Der Kutscher öffnete der jungen Frau die Türe wie zuvor und wandte seinen Blick konsequent in eine andere Richtung. Erleichtert atmete er auf, als sofort eine Hofdame auf das Mädchen zukam und sie in die warmen festen Wände des alten Gemäuers geleitete. Nun konnte er sich lösen und wurde von seiner Frau, der Köchin und seinen kleinen Töchtern mit großer Freude in Empfang genommen und in die Küche gebracht, wo er sofort eine heiße Tasse Brühe schlürfte und spürte, wie die Wärme seine Glieder hinaufkroch.

Die Hofdame führte das Mädchen durch die großen Gänge. Brennende Fackeln und Kerzen kündigten die Nacht an und die dunkle Haut der Staunenden wurde mit einer Gänsehaut überzogen. Wahrlich, der Sitz des Grafen war schon beinahe erdrückend und mächtig gewesen, doch gegen das Schloss des Königs sah sie es in einem völlig neuen Licht. „Hier lang!“, wisperte die Dame und öffnete eine kleine Tür am Ende des Ganges. Die Kammer war gerade mal so groß, dass ein wohlbeleibter Koch sich einmal um die eigene Achse drehen konnte. Mehrere halbnackte Mädchen waren in diese Enge gedrängt und zogen sich rasch Kleidung über. Einige trugen über dem konventionellen Kleid noch eine frische Schürze, wenige andere trugen schlichte aber weitaus schönere Gewänder. Das Mädchen konnte sich nicht einordnen. Sie war weder eine begabte Köchin, noch eine Dienerin oder Gespielin der Königskinder. Die einzige Aufgabe, die sie beim Grafen hatte war eine, für die sie keine Kleidung bräuchte. Schmerzlich verzog sie das Gesicht und spürte, wie die Hofdame ihr ein Kleid wie die der Köchinnen gaben und schwarze Pantoffeln. Ihre nackten aber sauberen Füße waren viel zu klein, aber sie wagte es nicht zu fragen, ob sie andere bekommen könnte. Würde man sie dann schlagen? Sie wusste es nicht. Sie wurde so oft geschlagen. So oft, dass sie heute noch das schreckliche Hallen in ihrem Schädel und das Pochen an den Schläfen spürte. Beschämt entkleidete sie sich. Das einfach geschnittene Kleid hatte sie vom Grafen geschenkt bekommen und entsetzt musterte sie die Hofdame, die jegliche Kleidung der anderen in einen großen Sack warf und dann auch sie fordernd musterte. „Na los, mach schon, dummes Ding!“, fuhr sie das Mädchen entnervt an. „Bist du taub, du Tölpel? Jetzt spute dich!“ Sie zuckte zusammen und beeilte sich aus dem Kleid heraus zu kommen und das neue anzuziehen. Neugierig musterten die anderen Frauen und Mädchen ihren nackten Körper. Die grobe Leinenunterwäsche glich einer Windel und verdeckten das pralle Gesäß. Einige verkniffen sich ein hämisches Kichern. Wahrlich, das war keine Engländerin. Unbeholfen verstaute sie ihren mächtigen Busen im Ausschnitt des Stoffes. Sie hasste ihren Körper. Die Narben und dunklen Male durch die Verbrennungen störten sie nicht mal, aber sie hasste es so bepackt zu sein. Sie war gezwungen worden so viel zu essen, dass sie immer fetter geworden war. Der Graf hatte ihre Kurven immer geliebt, doch sie schämte sich dafür, Massen an Speisen in sich hineinzustopfen während ihre Familie im Süden hungern musste. Und trotz ihren Rundungen hatte sie wegen ihrer kleinen Größe etwas sehr zartes an sich. Auch das hatte der Graf gemocht. Als sie endlich fertig war klatschte die Dame in die Hände. „Husch husch, Mädchen! Jeder an seine Arbeit!“ Die Weiber flossen aus der kleinen Kammer und auch die kleine Südlerin folgte ihnen. Sie wusste nicht, wo sie hin sollte, als plötzlich eine barsche Stimme sie von hinten anfuhr. „Du, dummes Gör! Wo willst du hin?“ Ruckartig drehte sie sich um. Neben der Hofdame war eine alte Magd mit tiefen Furchen im Gesicht und einer schiefen großen Nase erschienen. Ihre Arme waren verschränkt und das ekelhafte Grün ihres Gewands unterstrich ihre Hässlichkeit. „Sprich! Wie ist dein Name.“ Die Hände des Mädchens zitterten. „M…Momo!“ Die Mundwinkel der Unschönen fielen noch tiefer. „Stotter nicht so dumm. Und was ist das für ein Name? So etwas Naives tragen nur die dreckigen Huren im Bordell. Bist du eine Dirne?“ Bei jedem Wort zuckte Momo zusammen. „Antworte gefälligst wenn ich mit dir rede.“ Momo wollte stark sein, doch ihre Augen brannten und eine tiefe Träne rollte ihre Wange herab. „Jetzt heul nicht auch noch!“, verdrehte die Alte die Augen. Doch Momo konnte nicht aufhören. Mit langen behaarten Schritten stand sie plötzlich vor Momo und ehe diese reagieren konnte brannte ihre Wange und sie plumpste auf den kalten Boden. „Du antwortest künftig auf meine Fragen.“, zischte die Hässliche. Momo nickte immer noch heulend und stand auf. Ohne ein weiteres Wort drehten sich die beiden Damen um und Momo folgte ihnen stolpernd und schluchzend. Man hörte es noch die ganze Nacht.

KurzgeschichtenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt