Kakashis Sicht:
Am nächsten Morgen besuchte ich Rio im Krankenhaus. Es ging ihr schon viel besser. Sie konnte sich sogar schon wieder bewegen und wurde auch sogleich von den Ärzten entlassen. Aber trotz alledem wirkte sie niedergeschlagen. Ich beschloss ihr Konoha zu zeigen, um sie etwas abzulenken. Als wir die Trainingsplätze erreichten, fiel mir wieder ihr seltsames Jutsu ein. Ich überlegte, ob ich sie darauf ansprechen sollte, ließ es dann aber doch.
„Wenn du möchtest, könnte ich dir meine Jutsus erklären..." Rio riss mich aus meinen Gedanken. Wusste sie etwa, dass ich gerade genau darüber nachgedacht hatte? Nein, dass konnte sie nicht. Woher auch? Oder etwa doch? Plötzlich lächelte sie und sagte mit sanfter Stimme: „Manchmal sagen Blicke wirklich mehr als Worte." Hatte ich das nicht gestern zu ihr gesagt? Scheinbar stimmte es tatsächlich.
Ich riss mich wieder von meinen Gedanken los und schaute Rio an. „Wenn es für dich okay ist...gerne."
Sie vergewisserte sich, ob auch keiner in der Nähe war. Dann begann sie zu erklären:
„In meinem Clan gibt es eine alte Legende. Sie besagt, dass es einst ein Wesen gab, welches unter dem Namen 'Shinseina ikimono' bekannt war. Der Ao-Clan hatte eine gute Bindung zu diesem mächtigen Ungetüm. Da die Kreatur einst von den Begründern des Clans wieder zum Leben erweckt wurde, schenkte sie ihnen sein 'drittes Auge', welches eine unglaubliche Macht besitzt. Keiner weiß genau, wie viel von dieser Geschichte wahr ist oder ob Shinseina ikimono überhaupt existiert. Eins ist aber sicher: Jedes Jahrhundert wird in meinem Clan ein Kind mit besonderen Fähigkeiten geboren. Die meisten dieser jungen Shinobi zerbrechen allerdings an diesem Schicksal, da die Kräfte schwer zu kontrollieren sind. Zusätzlich behandeln die Dorfbewohner sie abweisend, als wären sie selbsr das Monster. Diese Kinder mit dem sogenannten 'Shinseina ikimono no ai' bekommen in unserem Dorf sogar ein besonderes Training, das speziell auf ihre Fähigkeiten angepasst ist. Dadurch werden sie aber nur noch mehr isoliert. Bis jetzt gab es allerdings kaum erfolgreich Träger des Shinseina ikimono no ai, deshalb ist kaum etwas über seine genaue Kraft bekannt und es ist schwer ein entsprechendes Training zu entwickeln."
Gebannt lauschte ich ihren Erzählungen. Von dieser Sage hatte ich noch nie etwas gehört. Aber wollte sie mir nicht eigentlich ihr Jutsu erklären? „Warum erzählst du mir das alles?", fragte ich schließlich. In meiner Stimme lagen Grauen und Trauer, was vermutlich von dem Schicksal der jungen Ninjas herrührte.
Rio starrte mit einem düsteren Ausdruck vor sich hin. Dann riss sie sich zusammen und flüsterte kaum hörbar: „Weil es das Geheimnis meiner Jutsus ist..."
„Soll das etwa heißen...bist du etwa...eine Trägerin...des Shinseina ikimono no ai?!", rief ich voller Entsetzen.
Sie zeigte keine Reaktion, was meine Frage aber genauso klärte, wie jede andere Antwort. Es lief mir kalt den Rücken runter. Ich hatte damit gerechnet, dass Rio eine schwere Vergangenheit hinter sich hatte... Aber so? Ein solch grausames Schicksal hatte sie nicht verdient. Ich wusste nicht einmal, was ich sagen, geschweige denn tun sollte.
Aber ehe ich noch irgendetwas machen konnte, verschwand Rios trauriger Gesichtsausdruck und sie versteckte sich hinter einer Fassade aus Fröhlichkeit und Unbekümmertheit. „Tja, so ist das Leben. Man kann sich sein Schicksal schließlich nicht aussuchen, was? Ich werde damit klarkommen müssen. Ändern kann ich ja sowieso nichts." Ich merkte, wie ich begann sie zu bewundern. Es war unglaublich, wie sie es schaffte, ihre Trauer und Verzweiflung einfach hinter einer Maske aus Freude und Hoffnung zu verstecken. Woher nahm sie nur diese Kraft? In diesem Moment wurde mir klar, wie tief verletzt sie schon die ganze Zeit war. Ich realisierte, wie zerbrechlich dieses Mädchen vor mir sein musste.
„Hey, ich habe doch gerade gesagt, dass es mir gut geht." Gesagt? Vielleicht! Aber ich wusste genau, dass es nicht stimmte... Trotzdem riss ich mich zusammen und versuchte wieder ein Gespräch aufzunehmen, um die Stimmung zu lockern. „Und was ist das für ein Training?"
Rios Lippen formten sich zu einem Lächeln. „Mein Vater hat das Training auf die Manipulation der Chakraform konzentriert. Deshalb verwende ich ausschließlich solche Jutsus. Wenn man das Chakra mit dem Shinseina ikimono no ai kombiniert, ist es möglich ein Vielfaches der ursprünglichen Stärke zu erreichen, was du vielleicht bei unserem Kampf bemerkt hast."
„Ja, das habe ich zu spüren bekommen. Aber kostet diese Technik nicht extrem viel Energie? Du konntest nach der Attacke nicht mal mehr aufstehen..."
„Das tut mir leid..." Sie sah sichtlich betreten zu Boden. Dann fuhr sie fort: „Ich bin im Umgang mit dem Shinseina ikimono no ai leider nicht besonders gut... Deshalb verwende ich auch noch viel zu viel Chakra um es zu aktivieren. Meine Energie reicht gerade mal für ein bis zwei Angriffe."
Das war also die große Schwäche dieser Fähigkeit. Ich dachte kurz nach, dann fragte ich: „Beherrscht du denn noch mehr dieser Jutsus?"
Rio lachte kurz. Dann trat sie ein paar Schritte zurück, drehte sich zu einem großen Stein und streckte den linken Arm aus. „Natürlich.", bekam ich noch von ihr zu hören, bevor sich eine Chakraschnur zwischen ihrem gespreizten Zeige- und Mittelfinger bildete. Diese griff und spannte sie, ähnlich wie die Sehne einer Armbrust. Dann formte sie eine Art Chakrapfeil, mit dem sie auf den Felsen zielte. Kurz bevor sie diesen los ließ, färbte er sich lila und von Rio ging wieder diese merkwürdige, nahezu unheimliche Energie aus. Der Pfeil schoss mit einer unglaublichen Geschwindigkeit auf den Felsen zu und durchstieß ihn. Er hatte ein so hohes Tempo und eine so enorme Durchschlagskraft erreicht, dass sich um das Loch nicht einmal Risse bildeten.
Rio stand schwer atmend vor mir. Es hatte sie tatsächlich viel Energie gekostet.
„Das 'Shinseina ikimono no yajirushi ' ist, im Gegensatz zu den meisten meiner anderen Jutsus, eher für präzise Angriffe geeignet.", keuchte sie und bemühte sich dabei auf den Beinen zu bleiben.
„Du besitzt wirklich eine enorme Stärke, aber diese Fähigkeiten bringen auch ein großes Risiko mit sich. Es wäre vielleicht praktisch, dir einige leichtere Jutsus beizubringen, welche du auch ohne einen derartigen Energieaufwand einsetzen kannst.", schlug ich vor, während ich ihr entgegeneilte um sie zu stützen. Im letzten Moment konnte ich sie noch halten, bevor sie sich in meine Arme sinken ließ. Nachdem sie kurz für einige Sekunden weggetreten war, richtete sie sich wieder auf und löste sich von mir. Ich beobachtete sie genau, um sofort eingreifen zu können, falls sie wieder zusammenbrechen sollte.
„Ich danke dir vielmals...", murmelte Rio nach einer Weile drückender Stille und entschuldigte sich noch mehrmals für die Umstände und ihre Unaufmerksamkeit. Ich ging darauf ein und erklärte ihr, das es absolut kein Problem sei. Dann nahm ich sie wieder mit mir ins Dorf um etwas essen zu gehen, da es mittlerweile schon spät war.
Als wir einige Stunden später auf dem Balkon meiner Wohnung standen und uns über alles Mögliche unterhielten, fiel mir plötzlich wieder der Gürtel ein. Minato hatte doch gesagt, dass er eine besondere Bedeutung haben musste. Wahrscheinlich hatte er auch Recht, aber welche sollte das sein? Ich betrachtete ihn noch einmal ganz genau.
„Ist was?" Rio schaute mich wohl schon eine ganze Weile fragend an. Vermutlich hatte sie irgendetwas gesagt, aber ich war völlig abwesend und hatte es deshalb nicht mitbekommen.
„Ähh, ja, aber was hast du gerade gesagt?" „Ach, nichts wichtiges. Aber was ist denn jetzt?", erwiederte sie und wirkte dabei irgendwie enttäuscht und ein bisschen traurig. Mir war bewusst, dass es sehr wohl etwas wichtiges war. Aber was?
Jetzt konnte ich eh nichts mehr ändern. Sie würde es mir sowieso nicht sagen. Also hatte ich allen Grund, mir Vorwürfe zu machen, was ich auch tat. Dann ging ich auf ihre Frage ein: „Dein Gürtel - was hat er für eine Bedeutung?"
Rio guckte mich jetzt verwirrt an. „Bedeutung? Wie kommst du denn darauf?"
„Naja..." Ich wusste nicht so recht, wie ich es ihr sagen sollte... „Als ich dich nach Konoha gebracht hatte...Nun ja... Da wollte Minato ihn sich genauer anschauen... Und dann... hast du uns halt irgendwie angegriffen. Also...öm... Du hast Minatos komplettes Büro verwüstet. Und...ähh...er hat hinterher gesagt, dass du... Naja... Dass du bei dem Angriff gar nicht bei Bewusstsein warst... Aber du hast halt so'ne enorme Energie gehabt... Dann, am Ende bist du... Da bist du dann halt zusammengebrochen...", stammelte ich den Vorfall dann doch irgendwie zusammen. Rio schaute mich jetzt total geschockt und beschämt an. „Oh nein! Das wollte ich nicht. Das tut mir alles so schrecklich leid!" Sie sah aus als würde sie gleich in Tränen ausbrechen. „Hey, es ist doch nichts passiert. Außerdem konntest du doch überhaupt nichts dafür.", versuchte ich sie zu beruhigen und legte ihr dabei meine Hand auf die Schulter. Doch ehe ich mich versah warf sie sich auch schon in meine Arme und fing nur noch an zu weinen. Ich war völlig überfordert. Was sollte ich tun? Sie wegschieben? Nein, das konnte ich nicht machen. Alleine durfte ich sie jetzt nicht lassen, denn schließlich war ich Schuld an ihrem schlechten Gewissen. Ich hätte es ihr nicht sagen dürfen... Ich entschloss mich, sie in den Arm zu nehmen und festzuhalten, auch wenn es mir ein bisschen unangenehm war. Immerhin hatte ich sie gestern schon durch ganz Konoha getragen, da würde ich das jetzt auch hinbekommen. Irgendwie...
Nach einer Weile beruhigte sie sich dann und zog sich wieder zurück. Sie entschuldigte sich noch gefühlte tausend mal und bedankte sich dann bei mir, wobei ich nicht so recht wusste wofür... Das ich ihr ein schlechtes Gewissen gemacht hatte? Wohl kaum...
„Na schön. Ich werde dir das Geheimnis verraten.",erklärte sich Rio nach einer langen Pause bereit. „Dieser Gürtel ist ein Vermächtnis meines Clans. Von unseren Kunoichi wird er von Generation zu Generation weiter gegeben. Die Kraft all seiner bisherigen Trägerinnen ist in ihm eingeschlossen." Gebannt lauschte ich ihren Worten. „Ihr habt viele Traditionen, was ?", stellte ich beeindruckt fest. Rio nickte. „Allerdings bergen die meisten von ihnen auch Gefahren.",fügte sie noch hinzu. Das hatte ich ja bei dem Shinseina ikimono no ai mittlerweile mitbekommen. Aber was konnte ein Gürtel für Risiken aufweisen? Da ich es nicht wusste, fragte ich einfach nach. Daraufhin erklärte sie mir, dass das gebündelte Chakra ihrer Vorfahren sehr stark und schwer zu kontrollieren war, da man es mit seinem eigenen begrenzen musste. Im Grunde war es zwar versiegelt , aber trotzdem leicht zugänglich für seinen Anwender. Sobald man nicht aufpasste konnte etwas ähnliches, wie im Hokageturm passieren. In diesem Fall hatte sie jedoch noch extrem viel Glück, da der Gürtel auch das Chakra seines Trägers absorbieren konnte, wenn dieser die Kontrolle verlor. Wäre das passiert, hätte nicht nur Rio ihr Leben verloren. Nein, ganz Konoha hätte vermutlich massive Schäden erlitten.
Bei dieser Vorstellung lief es mir kalt den Rücken runter und ich bekam ein flaues Gefühl im Bauch. Mir war mittlerweile klar, dass ich Rio bei unserem Kampf unterschätzt hatte. Aber die wahren Ausmaße ihrer Stärke wurden mir genaugenommen erst jetzt klar. Langsam begann ich mich zu fragen, wie es mir überhaupt möglich gewesen war sie zu besiegen. Vermutlich hatte sie einfach nur einen schlechten Tag gehabt. Oder hatte es doch einen anderen Grund? Kurzerhand beschloss ich sie einfach zu fragen.
"Äh, Rio, mir wird gerade klar, wie stark du eigentlich bist und da stellt sich mir eine Frage, die ich einfach nicht beantworten kann." Rio schaute mich nun ziemlich neugierig an. "Naja, wenn du solche Möglichkeiten hast, warum hast du sie dann im Kampf gegen mich nicht eingesetzt? Es ist mir echt schleierhaft, warum du mich nicht einfach besiegt hast, wo dir das mit diesen Fähigkeiten doch eigentlich so leicht fallen müsste."
Rio sah jetzt nachdenklich und etwas betreten zu Boden. Dann antwortete sie fast schon ein bisschen abwesend: "Ich weiß es nicht. Eventuell hatte ich nicht genügend Selbstvertrauen und Angst, dass ich die Kontrolle verliere. Oder ich hatte einfach nur Angst vor mir selbsr. Vielleicht wollte ich dich auch gar nicht besiegen oder sie einfach nicht nutzen. Weißt du, ich habe zwar lange an diesen Techniken gearbeitet, sie bis jetzt aber nur selten eingesetzt. Und wenn ich es mir recht überlege, möchte ich sie auch nicht wirklich nutzen. Ich möchte viel lieber mit normalen Jutsus kämpfen. Welche die nicht ganz so zerstörerisch sind. Du bist doch ein guter Kämpfer. Kannst du mir nicht helfen?" Rio sah mich bittend, fast schon flehend an. Ich hatte sowieso schon mit dem Gedanken gespielt, ihr solche Jutsus beizubringen. Schließlich hatte sie noch einige Tage in Konoha, in denen ich mich um sie kümmern sollte. So lautete zumindest der Auftrag meines Senseis. Also stimmte ich zu. Morgen würden wir den Tag mit Training auf einem der Übungsplätze verbringen. Aber jetzt war es schon spät und ich hielt es für besser langsam schlafen zu gehen. Deshalb stellte ich Rio meine Couch als Bett zur verfügung und wir legten uns beide zur Ruhe.
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Hey,
das ist jetzt das dritte Kapitel.
Wenn es euch gefällt (oder auch nicht)
oder ihr Fehler (Rechtschreibung, Logik, Ausdruck) entdeckt,
würde ich mich sehr über eine entsprechende Rückmeldung freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
LadyPicasso
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Das dritte Auge
FanfictionDer (hoffentlich) allseits bekannte Konoha-Ninja Kakashi Hatake lernte auf einer Mission eine fremde Kunoichi kennen. Aufgrund einiger Geheimnisse, welche das Mädchen anscheinend verbarg, nahm er sie mit in sein Dorf. Dort gewann er nach und nach ih...