1. Vom mir, Veränderungen und einem Wal mit Augenklappe

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Es war an einem lauen Sommerabend. Der Euro stand gut, ich war jung und brauchte das Geld...

So sollte eigentlich jede gute Geschichte beginnen. Meine tut es jedoch nicht. Im Gegenteil sogar, sie beginnt eher recht unspektakulär wenn ich ehrlich bin. So unspektakulär, dass jeder normale Leser dieses Buch schon nach dem ersten Wort wütend zuschlägt, weil es so langweilig ist. Und das ist auch gut so, immerhin ist das hier ein Tagebuch und das soll ja auch keiner lesen außer mir. Nach reiflicher Überlegung bin ich also zu dem Schluss gekommen, dass nichts langweiliger und abschreckendere ist, als ein Buch mit einem Hallo zu beginnen.

Hallo.
Ich bin so ziemlich heute auf den Tag genau siebzehneinviertel Jahre alt. Nein stopp, zurück. Ich glaube, man fängt mit dem Namen an. Mein Name ist Bob. Okay zugegeben, das ist nicht mein wirklicher Name. Den mag ich nämlich nicht. Bob ist mein Lieblingsname, er erinnert mich immer an meinen besten Freund aus dem Kindergarten. Der hieß zwar Tom und nicht Bob aber ich finde, er sah aus wie ein Bob. Seid meiner Geburt war allen klar, dass ich etwas besonderes bin. Aber nicht so ein Harry-Potter-Superman-Besonders sondern ein Total-Uncool-Besonders. Meine Schwester sagt ich bin dumm. Aber das ist nicht so schlimm, sie darf das. Sie ist nämlich mein Zwilling. Und außerdem lacht sie dann immer und sagt, wenigstens bin ich ein hübscher Dummer. Wahrscheinlich will sie sich dabei nur selbst ein Kompliment machen. So durch die Blume quasi, immerhin schauen wir uns ziemlich ähnlich. Nur dass sie eben ein Mädchen ist. Und nicht dumm. Der Arzt sagt, ich bin behindert, dass irgendetwas mit meinem Kopf nicht stimmt. Aber der braucht gar nichts zu sagen, der ist selber behindert. Also der Arzt, nicht der Kopf. Er trägt nämlich eine Augenklappe. Und zwar nicht eine von der coolen, piratenmäßigen Sorte, sondern eine durchsichtige die über beide Augen geht. Weil er sonst so schlecht sieht. Sowas dämliches. Der Arzt hat auch einen Namen aber den benutze ich eigentlich nie, ich nenne ihn immer nur "den Arzt". Das regt ihn nämlich auf und das mag ich. Erst heute war ich wieder bei ihm und er ist auch der Grund, wieso ich diesen Schwachsinn hier schreibe. Ich glaube, unser Gespräch ist ungefähr so verlaufen:

»Hallo Ben«

Ich funkelte ich wütend an. Er wusste nur zu gut, dass ich es hasste, wenn er mich mit meinem richtigen Namen ansprach.

»Hallo Arzt«

Er seufzte langgezogen und blickte mich aus seinen graublauen Augen an. Sein Gesicht erinnerte mich immer an das eines Wals. Nicht, dass ich je einen davon in Echt gesehen hätte, aber genauso sollte ein Walgesicht aussehen. Gut, bis auf die buschigen Augenbrauen, den weißen, gezwirbelten Schnauzbart und die hässliche Augenklappe natürlich. Aber das erklärt sich ja von selbst, wie blöd sähe das denn aus...

»Ben, jetzt kennen wir uns schon seit fast zehn Jahren, meinst du nicht, es wäre langsam an der Zeit, dass du mich bei meinem Namen nennst?«

»Bob«, entgegnete ich.

»Bob?«

»Du nennst mich ja auch nicht Bob«

»Aber du heißt ja auch nicht Bob!«

Ich zog nur die Augenbrauen hoch.

»Das kannst du doch getrost mir überlassen«

Er seufzte wieder, dann runzelte er die Stirn. Er beugte sich über die vor ihm liegenden Blätter und starrte sie angestrengt an. Versuchte er sie Kraft seiner Gedanken zum Brennen zu bringen? Das wäre mal etwas Neues. Aber ich bezweifelte, dass er die dafür nötige mentale Stärke besäße. Schließlich blickte er wieder auf.

»Aber letzte Woche hießt du doch noch John?«

Bald hatte ich ihn soweit.

»Dann nenn mich eben John«

KaramellgedankenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt