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...mein Schatten. Und dieser Schatten, erschreckt mich zu Tode. Ich sehe  komisch aus, nicht wie in einem üblichen Schatten. Ich kann in mich hinein sehen,  also nicht bloß graue Umrisse, nein, ich kann, oh Gott, mein Gehirn sehen. Es sieht aus wie das Modell aus dem  Biounterricht. Ein bisschen wie eine Walnuss, sogar einzelne Adern sind zu sehen.
Creepy!
Außerdem sehe ich mein Herz. Es schlägt stetig.
Immerhin das funktioniert einwandfrei!
Total verwirrt und ängstlich drehe ich mich um und gehe weiter.
Dann werfe ich erneut einen Blick auf meinen Schatten. Es ist ein ganz normaler Schatten.
Fantasiere ich!?
Ich fühle meine Stirn, doch ich scheine kein Fieber zu haben.
Komisch!
Ich renne die letzten Meter nach Hause. Voller Angst, irgendetwas könnte passieren.
"Mama!",schreie ich, sobald ich die Türe aufgeschlossen habe.
"Was ist, Amy?!", ruft Mama zurück und kommt angerannt.
Ich falle ihr in die Arme und fange an zu weinen. 
Das ist alles zu viel! Ein bisschen Spannung und Action ist o.k. Ein bisschen sollte sogar sein, aber irgendwann ist es zu viel des Guten, irgendwann ist die Schmerzgrenze bei jedem erreicht. Meine ist jetzt erreicht.
Diese ganze Lucky-Scheiße, geht mir auf den Senkel, ich will doch nur normal sein.
So viele wünschen sich anders zu sein, aber ich nicht, ich habe es satt anders zu sein!
Ständig Angst haben zu müssen, dass hinter jedem Baum jemand lauert, der deinen Tod will, niemandem gegenüber ehrlich
sein zu können, einfach zum kotzen!
Nachdem ich Mamas Shirt nass geheult habe und ich halbwegs beruhigt bin, fragt Mama erneut:"Was ist passiert?!",
"Mein Schatten....",mehr bringe  ich nicht hervor und sehe sie verzweifelt an.
"Was war damit?!", fragt sie und kneift dann die Augen zusammen, sie überlegt.
"Das Zeichen!", stellt sie mit geruntzelter Stirn fest.
"Hä?!", mache ich.
Mama holt Luft, zieht mich aufs Sofa, lässt sich neben mich plumpsen und erklärt:"Jede Lucky erhält zwei Tage vor ihrer Wahl ein Zeichen, was die Wahl erleichtern soll. Ich sah damals einen Dachs und eine Schnecke, mit Sprechblasen über dem Kopf."
Ich schlucke und frage:"Was bedeutet es denn, wenn mein Schatten ein Gehirn und ein Herz hatte?!"
"Tut mir leid, Amy, keine Ahnung! Das musst du Oma oder Wanny fragen.", meint Mama und geht in die Küche um Essen zu kochen.
Anny und Oma, tja, dann rätsel
ich liebe allein dran herum.
Anny ist die Älteste Lucky und bildet sich mächtig was drauf ein. Und Oma, sie meint... ja, was meint sie? Ich glaube sie meint, sie könnte über mich bestimmen, weil ich ihre Enkelkind bin.
So ein Quatsch!
Ich schalte den Fernseher an und schaue irgendeine Talkshow, bis Mama ruft, das Essen ist fertig.
Käsecremesuppe, hmmmmm lecker!
Der Topf ist so schnell leer, dass man denken könnte wir hätten zu zehnt davon gegessen und nicht bloß zu zweit.
Nach dem Essen verschwinde ich auf mein Zimmer und kuschel mich in meinen Sitzsack.
Erst versuche ich etwas zu lesen, dann will ich Hausaufgaben machen, doch meine Gedanken kreisen immer wieder um die Wahl und den Schatten.
Was will mir das Zeichen sagen?
Soll ich mit dem Herz wählen? Oder mit dem Kopf?
Das ist alles so verwirrend!
Ich rufe Amina an, sie ist meine Cousine und hatte ihre Lucky-Wahl bereits vor einem Jahr.
"Hi Amy! Was gibt's?!"
"Ach, Amina, so viel gibt's!", ich seufzte und erzähle ihr von allem, wirklich von allem.
Als ich mit meinem Bericht fertig bin meine ich:"Erst die Wahl, dann Maja und der Kuss und dann auch noch diese ständige Angst und Leos komische Andeutungen. Das ist alles so kompliziert!"
"Amy, du machst dir viel zu viele Gedanken!", stellt Amina fest.
"Ja aber.....", ich werde von ihr unterbrochen:"Du musst einfach zu der Wahl gehen und das wählen, wovon du denkst, es macht Spaß, diese Kraft zu haben. Ich habe gewählt, das ich fliegen kann, es macht Spaß durch die Luft zu fliegen! Ob es nützlich ist, keine Ahnung, aber wen kümmert das? Wenn ich jetzt sterben sollte, wäre mir das glaube ich ziemlich gleich! Ich meine, ich habe alles erreicht, was ich erreichen wollte und wenn mir das Leben nicht mehr Tage zu gesteht, okay Bitte. Wenn ich noch länger bleiben darf, freue ich mich, aber wenn nicht,  dann nicht!"
Ich kann förmlich hören, wie sie lächelt.
"Willst du niemals heiraten oder Kinder bekommen?", frage ich.
"Doch, aber nur wenn es geht, wenn nicht dann nicht. Ich bin glücklich und das ist die Hauptsache. Wenn ich sterbe, sterbe ich glücklich!"
Amina ist so leicht glücklich zu machen, sie ist immer zufrieden, ich habe sie noch nie weinen sehen.
Sie unterbricht meinen Gedankengang:" Wir müssen vorsichtig sein, aber wir müssen auch Vertrauen zu anderen haben. Und vergiss nie: Du bist niemals alleine, Amy. Du hast immer alle weiblichen Luckys hinter dir. Egal was passiert!"
In diesen Worten schwingt so viel Magie mit, dass mir vor Geborgenheit und Rührung die Tränen kommen.
"Danke Amina, danke!", hauche ich und lege lächelnd auf.
Dann gehe ich schlafen, zum ersten Mal seit Wochen ohne Angst und Kummer.
Denn obwohl ich weiß, dass dort draußen jemand sitzt, der meinen Tod mehr will als alles andere, weiß ich auch, dass ich niemals alleine sein werde, auch wenn Maja und Leo mich verlassen sollten. In dem Moment in dem ich an die Beiden denke, klingelt mein Handy.
Leo
Hab dich lieb!  Schlaf schön!
Ich muss lächeln und schreibe zurück
Ich dich auch
Gute Nacht
Warum er wusste, dass ich schon im Bett liege, obwohl es erst halb acht ist, frage ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht.
Ein fataler Fehler, wie ich später feststellen muss.

Die Wahl der KraftWo Geschichten leben. Entdecke jetzt