Julien aus "Königreich zu verschenken"

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Autorin: „Julien, ich möchte, dass du einen Brief schreibst, was Liebe dir bedeutet."

Julien (schaut verblüfft aus der Wäsche): „Das ist ein Scherz, oder?"

Autorin: „Nein." (Ist irritiert, weil Julien losprustet und sich nach ein paar Sekunden lachend auf dem Boden wälzt.)

Autorin: „Julien, das ist mein voller Ernst. Du schreibst diesen Brief!"

Julien (wischt sich die Tränen aus den Augen): „Toller Scherz. Ich wäre beinahe darauf hereingefallen. Als ob ich Liebesbriefe schreiben würde!"

Autorin: „Keinen Liebesbrief, sondern ein Brief über die Liebe. Und nein, es ist kein Scherz. Wie oft soll ich es dir denn noch sagen?!"

Julien: „Das mache ich nicht, keine Chance!"

Autorin: „Doch!"

Julien (langsam genervt): „Nein!"

Autorin: „Oh doch, du wirst! Sonst nehme ich dir alle Autos, dein ganzes Geld und alle Pferde weg und verpasse dir einen hässlichen Ausschlag am ganzen Körper! Und denk nicht, dass ich das nicht kann. Ich bin die Autorin!"

Julien (ist bleich geworden): „Okay. Wo sind Stift und Papier?"



So eine verdammte Scheiße! Jetzt sitze ich hier und bin gezwungen, einen Brief zu schreiben. Ich komme mir vor, wie beim Aufsätze-Schreiben in der Schule!

Nur dass damals nicht Nicole mich erpresst hat, sondern mein Großvater. Und nun darf ich diesen Mist wieder machen, dabei gehe ich schon lange nicht mehr zur Schule. Ich bin 24, Herrgott noch mal! Man sollte doch meinen, dass ich alt genug bin, um selbst entscheiden zu können, was ich tun will und was nicht!

Aber nein, nur weil ich ein Prinz bin, geht das natürlich nicht.

Und nun das: Ein Aufsatz über die Liebe! Ausgerechnet! Auf so eine Schnapsidee kann auch nur eine Frau kommen. Schafft euch niemals eine Autorin an, sage ich euch!

Was ist die Liebe?

Eine Erfindung der Frauen und der Werbung. – So, fertig. Ging wider Erwarten doch ganz schnell.

...

Natürlich gefällt Nicole die Antwort nicht. Sie möchte eine ehrliche und persönliche Antwort von mir, was für mich Liebe ist. War das etwa nicht ehrlich?

Verdammt, jetzt kommt sie auch noch rübergeschlendert und will sehen, wie weit ich bin. Also muss ich doch noch etwas mehr schreiben.

Wie ihr schon mitbekommen habt, halte ich nichts von der Liebe. Was soll das sein? So ein warmes Gefühl im Herzen? Schmetterlinge im Magen? Leute, wenn ihr solche Symptome habt, gehört ihr meiner Meinung nach zum nächsten Arzt!

Ich glaube nicht an die Liebe, ich war nie verliebt. Liebe ist doch nichts anderes als die Rechtfertigung von verklemmten Moralaposteln, wenn sie mit jemand anders in die Kiste wollen. Können sie nicht ehrlich sagen: He, du, ich steh auf dich. Wollen wir Sex haben?

Hm, wenn ich mir den letzten Satz so durchlese, würde ich das auch nicht sagen. Etwas zivilisierter bin ich schon. Und außerdem wäre das verdammt langweilig.

Verführung ist ein Spiel, eine Kunst, keine plumpe Anmache. Ich selbst flirte gerne, ein dummer Spruch kommt mir aber nicht über die Lippen. Mir gefällt der Tanz, die verstohlenen Blicke, die Interesse bekunden, das zunächst aber noch geleugnet werden will. Das verführerische Lächeln, das so vieles andeutet. Die Komplimente.

Viele bezeichnen mich als einen Charmeur, wenn sie nett sind, oder als einen notorischen Frauenhelden. Das ist mir egal. Sollen sie doch reden, die neidischen alten Säcke!

Aber he, die Frauen lieben mich! Also lasst die anderen doch reden.

Da! Jetzt habe ich es selbst verwendet: „lieben mich". Irgendwie starrt es mich jetzt so vorwurfsvoll an, das verräterische Wort. Dabei meinte ich nicht lieben im romantischen Sinne, sondern ihr wisst schon. Es geht mehr um Attraktivität und Verführung.

Ich sage keiner der Frauen, mit denen ich zusammen bin, dass ich sie liebe oder dass es für länger ist. Ein Lügner bin ich nicht.

Es gibt natürlich ein paar, die die Regeln nicht verstehen und die mich „zähmen" wollen. Als würde einmal Sex einem Eheversprechen gleich kommen. Das wäre ja mal eine interessante Gesellschaft der Vielehe! Aber nein, so fortschrittlich ist unsere Welt natürlich nicht. Vermutlich weil dann ein paar Leute weniger Partner hätten als andere und dann wieder Eifersucht und Totschlag ausbrechen würden. Der Mensch ändert sich eben nicht.

Ganz ehrlich: Menschen sind doch auch nicht viel anders als Tiere. Und dort gibt es keine Liebe. Wenn man Glück hat, ziehen Mütter und Väter im Tierreich ihre Kleinen gemeinsam groß, für die Erhaltung der Art, und fressen sie nicht auf.

Nur die Menschen behaupten, dass es nicht Instinkte wären, sondern Liebe.

Ich kann nur immer wieder den Kopf schütteln. Manchmal verstehe ich die Menschen nicht.

Okay, streicht das Manchmal. Ich verstehe die Menschen nicht, passt schon ganz gut.

Nicole schaut schon auf die Uhr. Langsam sollte ich wohl zum Ende kommen.

Mist, ich bin ganz schön abgeschweift. Konzentration, Julien!

Was ist also Liebe? Liebe ist für mich ein Gefühl, das ich – soll ich „bislang" schreiben, um es für Nicole und die Leser etwas positiver darzustellen? – nicht kennen gelernt habe.

Liebe existiert als sexuelle Liebe zwischen zwei Erwachsenen oder als Liebe zwischen Eltern und Kindern.

Autsch! Jetzt kam Peter vorbei und hat mir eingeschnappt eine Kopfnuss verpasst. Vermutlich will er, dass ich die Liebe zwischen Geschwistern noch ergänze.

So! Da steht es nun. Zufrieden, Peter?

Liebe ist mir ein Rätsel. Ein Rätsel, von dem ich nicht weiß, ob ich es lösen will.


(Julien starrt überrascht den letzten Satz an, während die Autorin zufrieden nickt.)

Die Definition von LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt