Kapitel 25

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Mila's Sicht

"Ich will ein Benefizkonzert! Punkt!", schreie ich wütend. Mama berührt liebevoll meinen Arm, ihre Stirn ist von Sorgenfalten gezeichnet. "Mila, das macht dein Körper nicht mit. Bitte. Bitte sei vernünftig und ruhe dich aus, bis es dir besser geht." Ich befreie mich aus ihrem Griff und springe auf. "Ich bin nicht zu schwach, um anderen Kindern zu helfen! Denen in Afrika geht es noch schlechter als mir, Mann! Und du willst mich daran hindern, mir meinen letzten Wunsch zu erfüllen?!", rufe ich und funkel sie böse an. Lea stellt sich hinter mich, nimmt mich in Schutz, so wie immer. Manchmal habe ich das Gefühl, sie ist die einzige, die mich versteht. Mama räuspert sich und mit einem Mal sehe ich den Glanz von Tränen in ihren Augen. "Dein letzter Wunsch?", fragt sie mit brüchiger Stimme. Ich nicke langsam. "Mama, ich weiß doch selber, dass ich es nicht mehr lange mache. Aber ich will diese Welt nicht verlassen, ohne anderen geholfen zu haben", sage ich nun leiser, sanfter. Mama fasst sich an die Schläfe und steht auf, beginnt, auf und ab zu tigern, während sie tiefe Seufzer von sich gibt. "In Ordnung, ", sagt sie schließlich, "besprich es mit Christoph und den anderen. Mach dein Benefizkonzert, wenn du dich dann besser fühlst. Ich werde dich nicht aufhalten, das richtige zu tun." Ich jauchze auf und drücke ihr lauter kleiner Küsschen auf die Wange. "Danke! Danke, Mama, danke!" Sie lacht und streicht durch meine Haare. "Ich kümmere mich dann mal um das Abendessen. Ich bin in der Küche, wenn du was brauchst", sagt sie und schwebt aus dem Raum. Mama's Füße berühren kaum den Boden. Sie tanzte als junges Mädchen viel Ballett und das sieht man ihren Bewegungen heute noch an. Immer diese gerade Körperhaltung, wie sie diese Anmut und diesen Ehrgeiz ausstrahlt. Dieses weiche in ihrer Art. Aber auch der bannende Blick aus ihren wachen grauen Augen.

Plötzlich spüre ich dieses Ziehen in meiner Brust und mein Herz wird schwer wie Blei. Verdammt, was werde ich sie vermissen, was wird sie mir fehlen! Lea räuspert sich und ich drehe mich zu ihr um. "Ich gehe kurz Duschen", sagt sie leise und ich nicke. Ich brauche Zeit für mich und diese gibt sie mir. Sie wird mir ebenfalls fehlen. Was wird sie daran zerbrechen, wenn ich nicht mehr da bin. Und Papa... an Magda darf ich gar nicht denken. Meine geliebte kleine Schwester. Sie ist zu klein und zu jung, um das alles zu verstehen. Irgendwann wird sie nicht mehr wissen, dass sie einmal, in jungen Jahren, eine große Schwester hatte.

Ein Schluchzer dringt aus meinem Mund und plötzlich weiß ich, was zu tun ist. Ich muss Briefe schreiben. Briefe, in denen steht, wie sehr ich sie alle liebe und in denen steht, dass ich bis in alle Ewigkeit in ihren Herzen verweile. Briefe, die sie erst finden, wenn ich schon gestorben bin. Ich schlucke. Ich überlege, ob ich dafür Seidenpapier kaufen soll, aber der Collegeblock tut's auch. Ich setze mich an den Schreibtisch und reiße ein Blatt aus dem Block, nehme mir einen Stift. Dann lege ich die CD von unserem Chor ein und fange an.

Mama,

du warst immer für mich da, in guten wie in schlechten Zeiten. Als ich Krebs hatte, bist du mir mit einem guten Beispiel vorangegangen, anstatt weinend daran zu zerbrechen. Ich weiß, dass das Leben besonders jetzt gegen dich zu sein scheint, aber es wird der Tag kommen, an dem es wieder einen Sinn ergibt. Du darfst weinen, aber denke an Magda. Sie ist nicht traurig, weil ich ihr sagte, dass ich immer bei ihr bin. In ihrem Herzen. Und wenn sie an mich denkt, dann denke ich auch an sie, egal wo ich dann bin. Ich sagte ihr, ich würde auf der anderen Seite auf sie warten und sie vertraut mir. Sie ist ein Kind, sie hat einen guten Instinkt. Halte dich an ihr fest.
Bitte sorge dafür, dass es Lea gut geht. Sie macht eine schwere Zeit durch. Bitte pass auf, dass sie nichts unvernünftiges tut.
Ich liebe dich. Hier und jetzt. Und morgen und bis in alle Tage. Wisse es, auch wenn es unmöglich scheint. Ich bin bei euch, egal was kommt.
Nur wer vergessen wird, ist tot.
Vergiss mich nicht, so wie ich dich nicht vergesse.

In Liebe, Mila

Eine Träne rollt über meine Wange und tropft auf das Blatt. Ich habe Angst vor der Zukunft, denn ich habe eine, die, die der Tod mir bringen wird.

Ich zwinge mich dazu, mich zusammenzureißen und greife zum nächsten Blatt.

Papa,

Ich weiß, dass du traurig bist und ich weiß, dass du es nicht sein willst, aber es ist OK, wenn du weinst. Ich weiß, ich war immer das typische Mama-Kind und habe selten mit dir über vertrauliches gesprochen, aber ich hab dich trotzdem immer lieb gehabt. Du warst derjenige, der nie die richtigen Worte fand, aber du warst auch immer derjenige, der mich beschützt hat. Vor Drogen, Alkohol und Partys. Das werde ich immer an dir schätzen. Ich muss mich bei dir bedanken für die Kindheit wie ich sie hatte, es war die schönste, die ich haben konnte, auch wenn sie schnell vorbei war.
Aber ich bin hier, ich bin nicht weg.
Denke daran, wenn du mich vermisst.
Deine kleine große Mila

Meine Tränen vermischen sich mit der Tinte, aber der Brief bleibt nach wie vor lesbar. Ich sehe aus dem Fenster, während das Plätschern der Dusche meine Ohren besudelt. Auf den Bäumen liegt eine dünne Schicht Schnee. Nächster Brief.

Lea,

ich bin deine beste Freundin, egal was kommt. Gib nie auf, ich liebe dich. Du bist meine Schwester, meine Seelenverwandte, du bist die, die immer von mir beschützt werden musste.
Du wirst jemanden finden, eine Freundin. Hänge nicht an mir, mach was aus deinem Leben, du hast wenigstens eines.
Ich weiß dich sehr zu schätzen, für dich als das Mädchen an meiner Seite. Diese Seite wird immer dir gehören. Wir sehen uns, vergiss das nicht.
Kämpferin.
Kämpferherz.

Mila

Ich mache mir Sorgen um sie. Wer weiß, was sie tun wird, wenn die Trauer sie runterdrückt?

Ich reiße ein neues Blatt aus und beginne wieder.

Magda,

du, mein kleiner Schatz, mein Sonnenschein, du kostbarster Mensch dieser Welt. Auch wenn wir nie solche Bilderbuchgeschwister waren, wir lieben uns. Und dir brauche ich nicht mehr sagen, dass ich nicht weg bin, weil du weißt, dass ich bei euch weile. Denk dran, ich warte auf dich!
Aber jetzt bist du die Große im Haus und du musst Mama und Papa aufmuntern, denn du bist die einzige, die das kann.
Du bist ein kleiner Engel. Das wissen sie und das weißt du. Ich liebe und vermisse dich.

Deine große Schwester

Fertig. Im Badezimmer wird der Wasserhahn ausgedreht, ein Zeichen, dass Lea sehr bald zurück sein wird. Ich muss mich beeilen! Ich werfe den Block in die Schublade zurück und verstaue die Briefe in einer Box. Wohin soll ich sie tun, damit sie sie nach meinem Tod finden? Der Föhn erklingt und ich werde unruhig. In meinen Schrank? Nein, Mama könnte sie finden, wenn sie die Wäsche einräumt. Wenn ich die Box zu versteckt halte, werden sie die Briefe allerdings nie finden. Wohin also damit? Die Badezimmertür geht. Kurzerhand knöpfe ich meinen Kissenbezug auf und werfe die Box hinein.

Gerade noch rechtzeitig, denn keine zwei Sekunden später, erscheint Lea im Türrahmen. "Deine Mutter hat zum Essen gerufen", sagt sie und schüttelt die feuchten Haare. "Komme", erwidere ich.

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Wie findet ihr es? ;) Lasst es mich wissen und schreibt Kommis!
Jedenfalls wollte ich mal wieder etwas Gefühl hineinbringen. Bitte gebt mir eine Rückmeldung und bis zum nächsten Kapitel! :)
Alitschi ♥♥♥

Leukämie-mein Leben danachWo Geschichten leben. Entdecke jetzt