Sektor Intra
2099/ Tag 365
20:40 Uhr
Ich musste echt bescheuert genug sein, weil ich nicht hinein ging, aber schließlich wartete ich. Unser abgemachter Treffpunkt war vor dem Eingang des Conventus gewesen, nur leider kamen die Leute, die sich meine Freunde nannten, nicht. Stattdessen trudelten immer mehr Menschen in die Disco ein. Die meisten davon begrüßten mich, als ob sie mich schon ewig kannten. Hätte ich eine andere Laune gehabt, hätte ich mich auf den ein oder anderen Smalltalk sogar eingelassen. Aber so war es nicht.
Immer wieder ließ ich gestern Nacht Revue passieren und die Gedanken kehrten immer wieder zurück. Allmählich begann ich Angstzustände zu entwickeln.
So stand ich da. Fröstelnd vor einem der angesagten Clubs der Stadt.
Eines der loquitur intercoms holte mich wieder aus meinen Gedanken. Das bedeutete soviel wie sprechende Sprechanlagen. Mehr als unheimlich.
Vielleicht hätte ich mich woanders hinstellen sollen, dann hätte ich mich nicht so bedrängt gefühlt. Aber diesen Sprechanlagen nicht zu begegnen konnte man nicht vermeiden. Alles in der Stadt, unser System sollte perfekt sein, schien es auch. Geordnet. Gefangen. So sah das Leben aus. Perfektioniert. Fehler konnte man sich auf keinen Fall erlauben.
Perfekt fantasielos.
Ich wunderte mich über meine Gedanken. Noch gestern hatte ich mich voll und ganz auf deren Seite gestellt. Aber Cara hatte Recht. Ich wehrte mich gegen beide Seiten.
„Hallo Jillian Stephens. Heute ist Tag 365, 2099", erinnerte mich die loquitur intercoms schon zum wiederholten Mal.
„Ich weiß", knurrte ich.
„Notierte Ereignisse für heute: Silvester um 0:00 Uhr, Silvesterparty um 20:30 Uhr. Wir haben jetzt genau 20:49 Uhr"
„Das weiß ich ebenfalls", sagte ich.
Ich stand gerade, den Kopf leicht angehoben. So wie es die Elite machte, um auszudrücken, dass man nichts von den loquitur intercoms wissen wollte. Allerdings klappte dies bei mir nie.
Selbst im Aufzug befand sich solche sprechenden Sprechanlage. Kein Wunder, dass es Selbstmordversuche in Aufzügen gab in denen man Minuten fahren musste. Es blieben aber nur Versuche, da die Sprechanlagen die Notklinik, Polizei und Physiatrie alarmieren konnten. Keiner durfte ohne Erlaubnis der Regierung sterben.
Es dauerte lange, nein ewig, bis ich ein bekanntes Gesicht erblickte. Doch das hätte mir auch erspart bleiben können.
Es gibt Menschen, die man einfach überhaupt nicht leiden kann, ohne sie großartig zu kennen. Dann gab es da noch Variante zwei, in der die gehasste Person sich viel zu sehr um dein Leben kümmert. Bei mir waren beide mit einander gekoppelt. Irgendwie.
Carrie Allister.
Sie war groß, riesig. Sie überragte viele von uns und das war auch schon die erste Kriterium, die sie als Model erfüllen musste. Ihre pechschwarzen, glatten und schulterlangen Haare zogen mich in einen gewissen Bann. Ihr Gesicht beziehungsweise ihr ganzer Körper war makellos. Ein weiterer Grund, warum sie schon mit 18 groß im Modelgeschäft mit mischte. Darauf waren viele neidisch und die Industrie furchtbar stolz.
„Na, Jillian", holte sie mich aus den Gedanken. Dabei betonte sie meinen Namen so extrem, dass es sich anhörte, als ob sie ihn jeden Moment vor Ekel auf den Boden kotzen würde.
„Carrie", seufzte ich. Ich war nichts gegen sie, vor allem war ich allein. Und richtig Lust mich mit ihr auseinander zu setzten, hatte ich schon gar nicht.
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Gefolgt von Morgen
Science FictionSchon lang ist die Erde nicht mehr die, die sie einmal war. Wir haben uns und unsere Welt verändert. Unser System soll uns davor schützen. Schützen vor Veränderung, vor uns und unserer Humanität. Wir leben gespalten und unterdrückt in einer schwach...