Der Morgen vor der Beerdigung (2)

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Dunkle Schatten um die Augen.

Eingefallene Wangen.

Bleiche Haut.

Zerkaute, blasse Lippen.

Was mich aus meinem Spiegelbild heraus anblickte, hatte kaum eine Ähnlichkeit mehr zu meinem früheren Ich und das erschreckte mich zutiefst. Mein eigenes Spiegelbild wirkte vollkommen fremd auf mich.

Neben mir stand meine kleine Schwester und kämmte sich mit ruppigen Bewegungen ihre braunen Haare. Als ich aufgewacht war, hatte sie schon längst eine Runde durch das Bad gedreht und so sah der Unterschied zwischen uns noch härter aus. Ihr Augen strahlten unter ihren langen schwarzen Wimpern hervor und selbst der kleinste Hauch von Schatten unter ihren Augen, wurde von Make-Up versteckt. Sie sah hübsch aus. Glücklich.. würde ich sagen, wenn heute nicht dieser eine Tag wäre, den ich seit Josh's Tod versuche zu verdrängen. Seine Beerdigung.

Alle Menschen, denen Josh am Herzen lag, würden da sein.

Wie sollte ich nur mit all diesen Blicken umgehen?

Alle werden sie mich ansehen, als würde es ihnen von Herzen leidtun und als würden sie mich bemitleiden! Selbst Menschen, die ich wahrscheinlich nicht einmal kannte! Und dabei war Mitleid auch noch das Letzte was man in so einer Situation gebrauchen kann.

Seit Tagen bekam ich von meiner Familie nur Mitleid, Mitgefühl und Sorge geschenkt. Dabei kann einen so etwas doch nur runter ziehen. Es zeigt einem immer wieder, dass Etwas nicht okay ist. Warum begreift das niemand?!

„Jillian?“, unterbrach Lia meine Gedanken und sah mich mit einem herzzerreißend süßen Blick von unten an. (Und das obwohl sie nur wenige Zentimeter kleiner war als Ich)

„Würdest du mir meine Haare machen?“

Ihrem Blick hätte selbst der Teufel nicht widerstehen können, also fügte ich mich meinem Schicksal, nahm die Haarbürste und begann sanft ihre Haare zu entwirren.

„Ich mochte ihn, weißt du?“, begann sie plötzlich und blickte dabei mein Spiegelbild an, „Er war immer total nett und hat mir heimlich Süßigkeiten mitgebracht. Obwohl du immer meintest, ich solle weniger Schokolade essen.“ Sie kicherte und lächelte mich dann an. Ich konnte einfach nicht Anders, als zurück lächeln, obwohl mir eher nach einem Strick und einem Hocker war.

„Ach ja?“, presste ich mit rauer Stimme hervor und gab mir Mühe, mir nichts anmerken zu lassen. Lia nickte und ich musste mit einem bösen Blick ihren Kopf festhalten, woraufhin sie still hielt, aber ihren Mund leider nicht geschlossen.

„Einmal, da hatte er sich Nachts zu dir geschlichen, hab ich ihn im Flur erwischt. Das war der entscheidende Moment zur Einführung der Schokoladensteuer.“ Wieder lachte sie, aber trotzdem hielt sie still und blickte dann im Spiegelbild auf meine Hände.

„Kannst du sie mir flechten? In einen französischen Zopf?“

Nickend ließ ich ihre Haare los und machte mich im Bad auf die Suche nach einem Zopfgummi und einem Kamm. Währenddessen drehte sie sich auf dem Hocker, auf dem sie saß, so, dass sie mich die ganze Zeit über sehen konnte.

„Das war echt toll. Er hat mir immer so leckere Sachen mitgebracht!

Zum Beispiel Schokoladenchips.“

Mir fiel der Hocker und der Strick wieder ein.

„Viele unterschiedliche Pralinen.“

Vielleicht auch einfach auf die japanische Ehrenmord Methode?

„Einmal sogar ein Paket mit Trüffeln!“

Wenn ich mich mit einer Gang anlegen würde, bekäme ich davor sogar etwas Sport.

„Da waren Karamellstücken drin. Kennst du die?“

Reiß dich zusammen, schalte ich mich selbst. Das war eindeutig der falsche Tag für solche Gedanken. Ein Seufzend unterdrückend drehte ich sie wieder zum Spiegel und begann ihre Haare einzuteilen und dann einzuflechten.

Auf ihre Frage hin nickte ich, aber ich sah nicht auf. Von der Schokoladensteuer hatte mir Josh am selben Abend erzählt. An dem Abend wo er...

Demonstrativ den Kopf schüttelnd versuchte ich meine Gedanken umzulenken.

„Ich weiß überhaupt nicht was ich anziehen soll, Lia. Hast du einen Vorschlag? Du kennst meine Sachen ja besser als Ich.“

So oft wie sie sich etwas 'auslieh'.

„Das schwarze Kleid was Josh dir letzten Monat geschenkt hat! Darin siehst du richtig hübsch aus.“, antwortete sie sofort, als hätte sie darüber schon länger nachgedacht.

Also folgte ich ihrem Rat und als ich mit ihren Haaren fertig war, mir noch genug über Schokolade angehört hatte, zog ich mir das Kleid an. Lia hatte Recht. Es stand mir einfach perfekt. Enganliegend bis zur Mitte der Oberschenkel und geteilte Träger, die über Schulter und Arme gingen. Danach kämmte ich meine dunkelbraunen Haare, bis sie glatt lagen und legte etwas Schminke auf. Naja Etwas in diesem Falle subjektiv. In meinem Falle ist das Eyeliner, Mascara und Camouflage.

Als ich gerade die Treppen in's Untergeschoss herunterlaufen wollte hörte ich Stimmen aus dem Wohnzimmer und ihre Worte ließen mich innehalten.

"..besser als gestern?", konnte ich die Stimme meines Vater hören, worauf die meiner Tante folgte, die ebenfalls bei uns wohnte.

"Alles ist besser als gestern! Man konnte garnicht mehr zu dem Armen Mädchen durchdringen. Man konnte garnicht mir ihr reden und wenn sie geantwortet hat, dann immer nur so finsteres Zeug. Habt ihr mitbekommen, dass sie gestern Lia angeschrien hat?"

Oh mein Gott! Ich hatte Lia angeschrien? Ich konnte mich an kaum etwas erinnern. Die letzten Tage hatte ich auf die Minute gelebt und die vorherigen einfach wieder verdrängt und vergessen.

"Ja.. aber heute scheint sie wieder aufgewacht zu sein. Ich habe gehört, dass sie sich mit Lia wieder ganz normal unterhalten hat."., mischte sich die Stimme meiner Mutter ein.

"Sicher?" Kurze Stille. "Dann hoffen wir, dass sie nicht zurückfällt."

Darauf antwortete meiner Vater Etwas, das ich von hier nicht verstehen konnte, also ging ich automatisch einen Schritt weiter, wodurch der Boden knarrzte.

Wie klischeehaft!

"Jillian?"

Nun ja jetzt ist vorbei. Mit dem Hauch eines Lächelns auf den Lippen kam ich die Treppen runter.

"Können wir?"

"Aber klar!", ertönte es gleich dreifach.

Träume von den Toten, my Dear.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt