5. Nur noch ein Ausweg

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Christine

Gott sei Dank! Er war endlich von meiner Tür weg getreten. Ich wollte Erik weder sehen, noch mit ihm reden. Zur Zeit wollte ich mich am liebsten einfach in irgendeiner Ecke verkriechen...
Wie könnte ich mich nur aus dieser Situation befreien?
Den doch recht drastischen Weg mein Leben zu beenden, war ich diesmal nicht bereit zu gehen, denn das würde Erik gegenüber Resignation bedeuten, welche ich nicht bereit war ihm gegenüber zu zeigen. Ich musste einen anderen Weg finden, wobei mir nur einer in den Sinn kam, die Flucht. Würde ich fliehen und den Weg finden, schaffte ich es vielleicht endlich Erik vergessen zu können. Doch, wie sollte ich das anstellen?
Erik merkte es sofort, wenn mich irgendetwas beschäftigte, oder ich etwas plante. Ich musste daher unbedingt nur darüber nachdenken, wenn ich wirklich alleine war. Jedoch begleitete mich auch die ständige Angst, denn würde meine Flucht fehlschlagen und er mich wieder einfangen wüsste ich nicht, was er mit mir machen würde. Töten würde er mich garantiert nicht, dessen war ich mir sicher, dafür liebte er mich zu sehr. Wenn man es überhaupt Liebe nennen konnte. Für mich war es eine Illusion und Obsession, nicht mehr und nicht weniger. Und gerade das machte ihn nur umso gefährlicher. Deshalb musste ich mit äußerster Vorsicht planen, um die Chance, von ihm wieder gefangen zu werden, sehr niedrig zu halten, denn, fände er mich, würde er mich garantiert hier unten für immer einsperren.
Für immer...
Diese Worte hallten in meinem Kopf wieder, wie das Echo in einer endlosen Höhle. Ich musste es einfach schaffen.

Die nächsten zwei Tage verbrachte ich nur in meinem Zimmer. Ich überlegte mir einen Weg, wie ich es wohl am besten schaffen könnte so zu fliehen, dass Erik nicht auf meine Schliche kam.
Am Abend meldete sich auf einmal mein Hunger. Ich hatte seit einem Tag nichts mehr gegessen. Auch wenn ich es eigentlich eher vermeiden wollte, ging ich aus meinem Zimmer in Richtung Küche und zu meiner Überraschung, war Erik nicht da. Auf dem Tisch in der Küche fand ich einen Zettel auf dem stand:

»Meine liebe Christine,
Ich bin bis morgen früh abwesend, da ich noch etwas wichtiges zu erledigen habe. Und ich entschuldige mich nochmals für meinen Verrat.
Erik«

Meine Augen weiteten sich, aber nicht vor Schock, sondern vor Freude. Dies war meine Möglichkeit mich endlich von Erik zu befreien! Sofort lief ich in mein Zimmer und zog mir ein normales Kleid an. Ein paar Habseligkeiten nahm ich ebenfalls mit, jedoch nur ganz wenige. Ich rannte durch die Wohnung zum Ufer, wo das Boot lag. Ich entfernte das Seil, gab dem Boot einen kleinen Anstoß und setzte mich hinein. Ich war vielleicht nicht die stärkste Person, aber mein Wunsch nach Freiheit gab mir die Kraft so schnell zu rudern wie ich nur konnte. Am anderen Ufer angekommen, legte ich das Boot vorsichtig an das Ufer und schaute noch einmal zurück. Obwohl ich Eriks Haus eigentlich hassen müsste, hingen nicht nur negative Erinnerungen an dem Ort. Es war zu einem Ort geworden, an dem ich zumindest während unserer Gesangsstunden so etwas wie zu Hause empfand. Dies alles war jetzt jedoch vorbei. Ich wollte nur noch nach oben und allem voran wollte ich Raoul wiedersehen.
Schnell schüttelte ich den Kopf, drehte mich um und lief. Mit jedem meiner Schritte wuchs meine Freude. Ich konnte es kaum noch erwarten endlich wieder die Sonne zu spüren.
Als ich an der Treppe, welche in den hinteren Bereich der Bühne führte, ankam, blieb mir ein Kloß im Hals stecken. Die Treppe glich eher einer Leiter und wirkte so unstabil, dass ich mich etwas fürchtete diese hinaufzusteigen. Mein Wunsch nach Freiheit war aber größer als meine Angst und so fing ich an die "Treppe" hinaufzusteigen, was sich noch als Fehler hinausstellen sollte, denn bei der zehnten Stufe hörte ich nur noch ein Knacken und wusste, dass ich nun abstürzen würde. Mit einem dumpfen Knall, welcher in den Katakomben der Oper hundertfach widerhallte, landete ich unsanft auf meiner linken Hüfte und spürte, dass mein linkes Bein gebrochen war. Ich war verzweifelt... Es kam mir beinahe so vor, das Schicksal wolle mich daran hindern von Erik los zu kommen.
Ich ertastete vorsichtig mein Bein, zuckte jedoch gleich wieder zurück, denn es schmerzte ungeheuerlich.
Was sollte ich denn jetzt nur tun?
Versuchte ich weiter zu laufen, würde ich damit nur meine Schmerzen verschlimmern.
Aber tue ich nichts würde ich hier unten sterben.
In diesem einen Moment ertappte ich mich dabei an Erik zu denken, denn er wäre, zu meinem Bedauern, der einzige, der mir im Moment helfen könnte. Jedoch hatte ich auch Angst, furchtbare Angst, denn ich wollte mir nicht ausmalen, was Erik tun würde, fände er mich. Sein Temperament war unberechenbar und ich fürchtete er würde mich womöglich verletzen.
Trotz meiner Angst, war er im Moment die einzige Person, die mir helfen könnte, außer ein Arbeiter fände mich vielleicht vor ihm. Obwohl ich wusste, dass er mich hören könnte schrie ich regelrecht nach Hilfe.
"Hallo, ist da jemand? Bitte helfen Sie mir! Hilfe!! Hilfe!!!"
Das Widerhallen meines Rufens war das Einzige, was mir als Antwort diente.

Ein Leben In DunkelheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt