Kapitel 18

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Gemeinsam schlendern Louis und ich, Hand in Hand durch den Hyde Park und genießen die kühle Nachtluft, die uns um die Nase pustet. Ich versinke immer mehr in Gedanken und frage mich langsam, ob das wirklich eine so gute Idee war, mit Louis eine Beziehung einzugehen. Im Grunde genommen wussten wir kaum etwas übereinander. Beunruhigt über die Antwort, spreche ich meine Gedanken aus: „Louis?" „Hmm?", brummt er aufmerksam. „Glaubst du es ist eine gute Idee uns als Paar zu bezeichnen? Wir wissen nichts übereinander. Denkst du nicht, dass es dabei zu Problemen kommen kann?", frage ich unsicher und bleibe stehen. Auch Louis bleibt stehen. Selbst in der Dunkelheit kann ich erkennen, dass seine Stirn in Falten liegt. „Love, das ist doch nicht schlimm. Wir werden genug Zeit haben uns kennen zu lernen. Außerdem ist es doch so viel spannender, oder nicht?" Louis grinst mich schief an und küsst mich leicht auf die Stirn. Ich vergrabe meine Schneidezähne in meiner Unterlippe. So ganz begeistert bin ich von der Idee nach wie vor nicht. Jedoch will ich keinen Streit. Oder eine Auseinandersetzung. Ich lächle Louis kurz an, nehme dann wieder seine Hand und ziehe ihn weiter.
Etwas später kommen wir am Auto an. Müde lasse ich mich auf den Beifahrer sitz fallen. Ich lehne meinen Kopf an die kühle Fensterscheibe. Als sich Louis in den Verkehr einfädelt, schweifen meine Gedanken zu der bevorstehenden Beerdigung, zu der anstehenden Reise mit meinem Freund und an all die Sachen, die in der letzten Zeit passiert sind. Immer wieder fallen mir die Augen zu und als wir zuhause ankommen, wollte ich sofort ins Haus, doch Louis hielt mich auf: „Grace, kannst du dich noch erinnern als ich stockbesoffen und heulend zu dir und Harry in die Wohnung gekommen bin?" Verwirrt sehe ich ihn an, versuch ihm in die Augen zu sehen, doch er hält seinen Blick stets gesenkt. Ich lege vorsichtig meine Hand auf deinen Oberschenkel und sage: „Natürlich erinnere ich mich daran. Ich glaube dieser Anblick geht mir nicht mehr so schnell aus dem Kopf. Aber Darling du musst nicht darüber reden, wenn du nicht willst" „Will ich aber. Ich möchte, dass du weißt warum ich diesem Tag so drauf war. Und zwar habe ich in der Nacht davor einen Anruf bekommen. Es war ein Krankenhaus hier in London. Meine...", Louis holt tief Luft und erzählt mit zitternder Stimme weiter: „Meine Mutter leidet, litt, seit einem Jahr an Krebs. Ziemlich aggressiv und schwer zu behandeln. Tja naja und in dieser Nacht wurde sie erlöst. Alle waren bei ihr. Meine Schwestern, mein Bruder, mein Stiefvater. Einfach meine ganze Familie aus Doncaster. Außer ich. Lottie hat ein super Jobangebot ausgeschlagen, nur um meine jüngsten Geschwister zu erziehen, weil Mum zu schwach war. Ihr Freund hat alles wortlos hingenommen. Und ich habe mich in New York oder Los Angeles oder San Francisco verkrochen, weil ich sie nicht leiden sehen konnte." Louis schlägt frustriert gegen das Lenkrad, worauf laut die Hupe ertönt. Und im selben Moment fängt mein Freund das zweite Mal vor meinen Augen an bitterlich zu weinen. Ich versuche mein möglichstes ihn zu trösten, doch es klappt nicht. Wir verbringen weitere zehn Minuten im Auto, in denen Louis' Tränen immer weniger werden und seine Schluchzer leiser. „Sollen wir rein gehen? Es war ein langer Tag und er morgen wird vermutlich noch länger. Du musst schlafen Liebling", sage ich liebevoll nach weiteren fünf Minuten zu dem Braunhaarigen. Dieser nickt kurz und steigt dann aus. Ich tue dasselbe und folge ihm mit schnellen Schritten ins Haus und hoch zu unserer Wohnung. Anscheinend ist an dem Autoschlüssel ein Haustürschlüssel, denn als ich an der Wohnungstür ankomme steht diese schon offen. Ich gehe hinein und direkt ins Badezimmer um mich Bettfertig zu machen.
Als ich 15 Minuten später wieder hinaus trete und ich ins Gästezimmer zu Louis gehe ist dieser dort nicht. Während ich ins Wohnzimmer gehe, spähe ich noch flüchtig in mein Zimmer und die Küche. In beiden Räumen ist er nicht und so liegt die Vermutung nahe, dass er im Wohnzimmer ist.
Und tatsächlich sitzt Louis mit einer Flasche Bier in der Hand auf dem Sofa und starrt auf einen Punkt vor ihm. Ich stelle mich hinter ihn, küsse kurz sein Haar und sage leise: „Kommst du mit ins Bett? Ich lasse dich ungern hier alleine." Louis macht ein zustimmendes Geräusch und murmelt etwas von „Ich komme in 10 Minuten". Damit gebe ich mich zufrieden und stiefle müde in mein Zimmer.
Erschöpft von dem tag lasse ich mich auf mein Bett fallen und schließe meine Augen. Es fühlt sich an, als ob ich im gleichen Moment einschlafe.

Es ist dunkel. Stockdunkel. Doch plötzlich erhellt ein greller Schein das Zimmer und eine tiefe, aggressive Stimme brüllt: „Sie haben ihn umgebracht! Das Auto, das am Tatort gefunden wurde, war auf ihren Namen zugelassen und damit sind sie die Hauptverdächtige." „Was ist denn hier los? Ich verstehe nicht, worüber sie reden, Herr Gott nochmal!", kreischt meine Stimme zurück. Die Stimme des Mannes ist plötzlich bedrohlich leise: „Sie Miss McCarter, haben den Premierminister Großbritanniens umgebracht. Er fuhr am 3.Juli 2016 mit dem Fahrrad auf der Abingdon Street in Richtung 11 Downing Street. Ihr Auto kam aus der Great Peter Street geschossen, mit wohlbemerkt 100 Meilen die Stunde, und fuhren gegen Mr. Cameron. Er war sofort tot und sie, liebe Miss McCarter, begingen Fahrerflucht. Was möchten sie zu ihrer Verteidigung sagen?" „Ich habe kein Auto! Und nicht mal einen Führerschein! Was sie sich da aus der Nase ziehen ist totaler Bullshit!"

Mein Kopf wirbelt auf die rechte Seite.

Der liebe Herr Beamte hat mir eine Backpfeife gegeben.

Und noch einmal.

Ich werde verprügelt und ein junger Mann, der an der Tür stand und einfach zusah, hätte den älteren Locker von mir herunter zerren können, doch er tat nichts.

Ich schrecke hoch. Blitzschnell tastet meine Hand das restliche Bett nach Louis ab, doch er ist nicht da. Erschöpft stehe ich auf und mach ich auf den Weg ins Wohnzimmer.
Wie erwartet sitzt er dort auf dem Sofa, vor ihm zwei Flaschen Bier und in seiner Han deine Flasche Whisky. Leise tapse ich auf ihn zu und berühre ihn an den Schultern. Er zuckt unglaublich zusammen und dreht sich zu mir um. In seine Augen sind Tränen, doch er blinzelt sie schnell weg und sagt mit rauer Stimme: „Darling, es ist halb drei. Hast du bis jetzt auf mich gewartet?" Kopfschüttelnd erwidere ich: „Nein ich bin sofort eingeschlafen aber hatte einen Albtraum. Aber dir scheint es schlechter zu gehen als mir. Du weißt, dass du das alles ersetzen wirst?" Ich versuche, wie immer in unangenehmen Situationen, die Stimmung mit einem schlechten Witz auf zu lockern, doch leider klappt dies nicht. Louis stellt die Whiskyflasche auf den Tisch und schiebt mich in Richtung meines Zimmers: „Du musst jetzt schlafen, sonst bist u morgen total Müde. Ich komme mit und passe auf dich auf, dass die Albträume, die meine wunderschöne Freundin plagen, weg bleiben." Er drückt mir einen leichten Kuss auf die Stirn und drückt mich auf das Bett. Er legt sich daneben und schlingt seine Arme um meinen Bauch. Dieses Gefühl könnte gerne immer bleiben, jedoch kann ich nicht mehr schlafen. Ins geheim hoffe ich, dass Louis auch noch wach ist und frage leise: „Louis? Erzählst u mir etwas von deiner Mutter?" Lange bleibt es still, sodass ich denke, dass er schon schläft. Doch dann fängt er an zu reden: „Einmal als ich fünf oder sechs war, waren wir in Sheffield in einem Streichelzoo. Das war der beste Tag meines Lebens, das schwöre ich dir. Doch als wir auf einer Bank saßen und ein Eis gegessen haben ist ein Esel aus seinem Gehege ausgebrochen. Und er hatte mir meinen Sonnenhut geklaut. Mum war unglaublich... angefressen. Den Hut hatte mir meine Großmutter geschenkt und natürlich sollte er nicht kaputt gehen oder so. Also ist Mum durch den halben Streichelzoo hinter dem Esel hergerannt und versucht diesen blöden Sonnenhut wieder zu bekommen. Für mich war das alles ungeheuer lustig. Und abends waren wir dann noch in einem kleinen Diner und haben Pommes und Pizza und Chicken Wings gegessen. Dazu eine Erdbeer- und Schokomilchshake getrunken und alles war perfekt. Meine ganze Kindheit war perfekt. Nach und nach sind dann noch Lottie, Fizzi und Phoebe und Daisy dazugekommen und ich fand es wahninnig toll großer Bruder zu sein. Natürlich bin ich jetzt noch wahnsinnig glücklich aber es ist alles anders geworden."

Und in diesem Moment bin auch ich glücklich. Er sprach auf eine unglaublich besondere Weise über seine Mutter. Er liebte sie so sehr. Und ich konnte vermutlich nicht einmal annähernd den Scherz beurteilen den er empfand.
Jedoch schlafe ich in aller Seelenruhe ein und träumte dieses Mal von einem kleinen Louis der lachend in einem Streichelzoo sitzt und seine Mutter beobachtet, die einem Esel hinterher rennt.

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