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Day 01095


»Rakyro?«

Ihre Stimme klang so zart, so unschuldig. Fast täte mir leid, was ich gleich tun würde, aber auch nur fast. Das klappernde Geräusch des Schlüssels an der Metalltüre durchflutete die Stille und ich hätte schwören können, für einen Moment ihren rasenden Herzschlag gehört zu haben. Die Ärzte sahen mir nie ins Gesicht, erledigten ihre Arbeit so schnell wie sie konnten und sagten nie mehr zu mir, als meinen unbedeutenden Namen. Unter normalen Menschen, unter normaler, alltäglicher Gesellschaft hatte man mich öfter täglich gefragt, wie es mir denn gehen würde. Auf diese Frage hatte ich nie geantwortet, doch sie hatten wieder nachgefragt. Vielleicht, weil ihnen mein Wohlbefinden am Herzen gelegen hatte, wahrscheinlich gehörte dieses Interesse aber auch zu ihren Moralvorstellungen, zu ihrer kläglichen Menschlichkeit.

Sie wiederholte meinen Namen mehrmals, sodass ich nach dem 5. Mal aufhörte zu zählen und mich entnervt gegen die Wand hinter der Türe lehnte. Ich tat dies, seit ich hier war und niemals kam jemand darauf, wo ich denn steckte. Manchmal versteckte ich mich unter meinem Bett und legte Kopfkissen und Bettdecke so hin, dass es so aussah, als würde ich dort liegen. Dabei packte ich dann die Fußgelenke der Ärzte und hörte mir die panischen Schreie an. Heute hatte ich mich für den ausreichenden Platz hinter der Türe entschieden.

»Ralias Black, ich bitte Sie« , eine neue, kräftigere Stimme unterbrach die vergeblichen Bemühungen meiner Pflegerin, die erleichtert ausatmete. Die Art, wie die Mann meinen kompletten Namen aussprach und die Türe nach vorne zog, um mich wütend anzustarren, gefiel mir nicht. »Das ist nicht mein Name.«

Ich zog meine Augenbrauen wütend zusammen und schritt aus der Ecke hervor, um den Mann genauer zu mustern. Sein schmieriger, schwarzer Anzug klebte ihm perfekt am Körper und ließ ihn viel größer aussehen. Ich konnte ihm direkt in die dunkelbraunen, fast schwarzen Augen blicken und hob verwundert die Augenbrauen, als sich seine Mundwinkel zu einem riesigen, einladendem Lächeln verzogen und eine Reihe weißer, gerader Zähne entblößten.

Ohne ihn weiter zu beachten lehnte ich meinen Körper leicht seitlich und blickte über die Schulter zu meiner Pflegerin, grinste sie dabei an und leckte mir langsam über die Lippen. »Ich dachte, ich dürfte keinen Besuch bekommen?« Sie starrte mich einfach nur an. Ich seufzte. »Na, Sie wissen schon. Soziopathisches Zeug.«

Bevor ich noch etwas sagen konnte, hatte der seltsame Anzugträger sich zu der Blondine umgedreht, schenkte ihr selbstverständlich ein charmantes Lächeln und bat sie mit einer Geste das Zimmer doch bitte zu verlassen. Ich war mir nicht sicher, ob sie das überhaupt durfte, aber sie nickte nur flüchtig und schloss die Türe hinter sich, als sie im hellbelichteten Flur verschwand.

Neugierig legte ich den Kopf schief und musterte den Mann nochmal, wobei mir in seiner linken Hand ein kleines, graues Kästchen auffiel. Ich grinste. Entweder würde er unser hübsches kleines Gespräch aufnehmen oder es war ein Notfallknopf, den er betätigen konnte, wenn ich ihn angreifen sollte. Oder einfach beides.

»Hallo Rali-« Ich durchschnitt ihm das Wort, in dem ich anfing zu lachen und ihn sofort wieder ernst anstarrte, als er verstört dreinblickte. »Rakyro.«

Er schien zwar verwirrt, nickte aber und umklammerte das graue Teilchen fester. Irgendwie war es lächerlich. Ich war kein Serienkiller, oder so. »Nun, Rakyro, wieso möchten Sie so genannt werden?« Meinen Namen sprach er langsam und vorsichtig aus, als würde er stets darauf achten, ihn auch komplett korrekt auszusprechen. »Wird das eine Therapiestunde, Mister ..?«, mit einem schiefen Grinsen wartete ich auf die Antwort, die er mir geben sollte und seinen Namen beinhaltet. Doch ich wusste auch, dass er das nicht machen würde. Noch nie hatte mir jemand seinen Namen verraten, außer die Köchin, aber bei ihr klebte ein Namensschild an ihrem Kittel.

»Mein Name ist vollkommen irrelevant und Sie wissen, dass es mir nicht gestattet ist, Ihnen diesen auch zu nennen.« Seine Stimme war unglaublich fest und sachlich, doch seine Augen verrieten ihn, als ich einen großen Schritt auf ihn zumachte und nicht aufhörte zu grinsen. Es war.. befriedigend, die Angst in seinen Augen zu sehen. Oder war es Panik? Vollkommen irrelevant, genau wie sein Name, richtig?

Ich starrte ihn längere Zeit an und fuhr mit meiner linken Hand an dem Türrahmen auf und ab, bevor ich mir die Hand vor Augen führte und einen kleinen Holzsplitter weg schnipste, der geräuschlos auf dem kalten Boden landete. Seufzend wandte ich den Blick von ihm ab und schüttelte den Kopf, als er erleichtert ausatmete. So wie er aussah musste er ziemlich erfahren sein, was Fälle, was Menschen, wie mich angingen.

»Wieso sind Sie hier, mysteriöser Fremder?« Diesmal verzog ich nur amüsant das Gesicht, ohne ihn ganz offensichtlich anzugrinsen, denn es machte ihn unsicher. Es machte jeden unsicher. Als Kind sagte mir meine Mutter, ich sollte immer Lächeln, egal wie unfreundlich Menschen zu mir sein mögen und siehe da? Ich machte Ihnen Angst. Vielleicht war es nicht die Wirkung, die meine Mutter bezwecken wollte, doch das war egal. Es war alles vollkommen egal.

Nachdem er sich langsam wieder gefasst hatte, ließ er seine angespannten Arme fallen und verschränkte sie schließlich vor seiner Brust. Ich war mir sicher, dass er mir nur vor Augen führen wollte, dass er immer noch diesen Notfallknopf besaß. »Ich bin der neue Besitzer dieser Abteilung und habe somit auch eine neue Ordnung.« Oh, interessant. Bevor ich dazwischen reden konnte, redete er eilig weiter. »Ich möchte, dass Sie ab Morgen an den Gruppentherapien teilnehmen.«

Einen Moment lang war alles still, bis mein schallendes Gelächter die kompletten Flure erfüllte. Sein verstörter und zugleich entsetzter Blick half nicht gerade dabei, dass hier alles Ernster wirken zu lassen. »Wie wollen Sie das anstellen?«, lachte ich ihn aus und lief einmal um den Mann herum, der sich mit mir drehte und seine Arme wieder aus der Verschränkung befreite. »Ich werde Sie zwingen, wenn ich muss, Ralias.«

Wieder lachte ich, diesmal jedoch machte der Kerl einen Satz zur Seite, riss die Türe auf und schlug sie mit einem lauten Knall wieder zu. Aus Reflex hatte ich mich nach vorne geworfen und drückte meine Handflächen gewaltsam gegen das kleine Quadrat aus Panzerglas, dass uns einen Blick in die Flure ermöglichte. Frustriert schrie ich auf, ballte meine schwitzigen Hände zu Fäusten und schlug so lange auf die Türe ein, bis sich kleine Risse auf meinen Fingerknöcheln gebildet hatten.

»Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«, hörte ich noch die gedämpfte Stimme meiner Pflegerin und lehnte meinen Rücken an die Türe, auf die ich gerade eben noch eingeschlagen hatte. »Ja, ja, bringen Sie mich nur von diesem Verrückten weg«, murmelte der Anzugträger und ich rutschte mit meinem Rücken an der Türe hinunter, auf den Boden, auf dem ich sitzen blieb.

f e e d b a c k ?

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