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Day 01097

»Wieso hast du das getan?«

Ich schwieg.

»Was hat dich dazu getrieben, Rakyro?«

Ihre Augen waren so ruhig wie der Ozean, wenn kein einziges Lüftchen wehte. Als würde die Zeit stillstehen, die Wellen ruhig auf dem warmen Wasser schweben und sich die grelle Sonne darauf spiegeln. Ich beugte mich langsam vor und runzelte die Stirn. Es war kein volles Blau, aber auch kein intensives Grün. Es war die perfekte Mischung aus zweier Farben, die wunderbar miteinander harmonierten. Sie leuchteten voller Lebensfreude, obwohl sie nun schon seit zwei Tagen versuchte mit mir zu reden, bis jetzt aber keinen einzigen Ton aus mir herausbekommen hat. Keinen einzigen, aber sie gab nicht auf. Sie verzweifelte nicht, war optimistisch anstatt frustriert und das verwirrte mich. Sie verwirrte mich auf eine ganz eigenartige Art und Weise.

Je näher ich ihr mit meinem Gesicht kam, desto weiter rückte sie nach hinten. Ihre braunen Augenbrauen zog sie leicht zusammen und kratzte sich öfter am Nacken, wenn sie nicht wusste, was sie zu tun hatte. Aber wofür waren die ganzen Jahre gewesen? Ich will gar nicht wissen, wie lange sie die menschliche Psyche studiert hatte und jeden Tag dieselben Sätze zu jedem Patienten sagte. Aber ich würde ihr nicht zuhören. Ich würde ihr nicht antworten. Dafür war ich nicht hier. Ich war nur hier, weil man etwas vermutete, aber wen interessierte die Weise, wie ich leben wollte? Ich hatte nie jemanden verletzt, damit fing ich erst an, als sie mir einredeten, dass ich es tun würde.

»Sind deine Augen blau oder grün?«, fragte ich sie schließlich und ließ mich zurück in den seltsamen Sesselstuhl fallen, während sie mich entsetzt musterte. Es dauerte kurz, bis sie sich gefasst hatte, ihren Stift zückte und innerhalb zweier Sekunden etwas auf ihren Notizblock kritzelte. Anscheinend hatte sie nicht damit gerechnet, dass ich sprechen würde. Oder überhaupt sprechen konnte.

»Sie sind blau«, sagte sie schnell und wollte direkt weiterreden, um dem Thema zu entkommen, aber ich hob warnend meine Hand. »Bist du dir sicher?« Ich kniff die Augen zusammen, um die Farbe ihrer Augen besser identifizieren zu können, aber sie drehte lächelnd ihren Kopf zur Seite. »Nein, sie sind grün.«

Es dauerte nicht lange bis sie sich wieder zu mir drehte und flüchtig einen Blick auf die Uhr warf. »Bleiben wir dabei, dass sie Türkis sind?« Sie versuchte diese Diskussion zu beenden und ich ließ es zu. Ich hatte nicht vor, weiter auf dieses Thema einzugehen, denn sonst würde sie sich aufschreiben, dass ich entweder viel redete, oder Interesse an diesen Terminen zeigte. Keines der beiden traf auch nur im Geringsten zu.

Es vergingen viele Minuten, in denen wir uns einfach gegenseitig anstarrten. Während ich stets den Augenkontakt hielt, ließ sie ihren Blick schweifen, analysierte jeden Fleck meines Körpers, den sie zu sehen bekam. Ihre Blicke waren nicht unangenehm, es brachte mich eher zum Lächeln. Es war nicht auffällig, doch es fiel ihr auf. Keine Sekunde später schoss ihr Kopf in die Höhe und sie schrieb sich etwas in ihren Block, ohne mich dabei aus den Augen zu lassen. Mhm, interessant.

»Sie können mit mir reden, Ra-Rakyro«, verbesserte sie sich eilig und zupfte nachdenklich an ihrem Silberarmband, dass locker um ihr blasses Handgelenk hing. »Diese Sitzungen sind nur für Sie, ich werde lediglich die Ergebnisse ihres Zustandes an den leitenden Arzt weitergeben. Aus ihrer Lebensgeschichte werde ich nichts preisgeben.«

Langsam verengte ich meine Augen und legte den Kopf schief, diesmal fiel mein Lächeln aus. Nicht, weil ich diese Situation ernst nahm, sondern eher, weil ich mich konzentrierte. Und da Lächeln meine Gesichtsmuskulatur anspannte, lenkte es meinen Körper indirekt ab. Wie auch immer. Ich wusste anhand ihres Blickes sofort, was sie dachte. Mein Lächeln kehrte in der Form eines zufriedenen Grinsens zurück. »Sie denken, dass ein 16 Jähriger noch gar nicht so viel Lebenserfahrung hätte sammeln können, richtig?«

Sie blieb ruhig, rutschte aber unruhig auf ihrem Sitz herum und zog die Augenbrauen zweifelnd zusammen, was sie vollends verriet. »Nein, das denke ich-« Ich hob warnend meine Hand und unterbrach sie. »Doch doch, dass ist genau das, was sie denken.« Sie schwieg, anscheinend nicht wissend, ob sie mir widersprechen, oder einfach die Klappe halten sollte. »Sie denken, dass Kinder, Jugendliche hier nicht hingehören, ist das richtig?« Mein schallendes Lachen erfüllte den Raum. »Natürlich stimmt das!«

Ich nickte mehrmals hintereinander, beugte mich leicht vor und verschränkte meine Hände ineinander, um dem Drang zu widerstehen, glücklich in die Hände zu klatschen. Es machte mich unfassbar glücklich, die Gedankengänge der Menschen zu erraten. Man konnte den Glücklichkeitsfaktor mit einem Kind vergleichen, dass auf einem Trampolin herumsprang.

»Für Jugendliche ist es vielleicht eine Phase, den Tiefpunkt ihres bisherigen Lebens zu haben und sich das Leben nehmen zu wollen. Bin ich einer von ihnen?« Sie öffnete ihren Mund, schloss ihn aber sofort wieder, als sich mein Grinsen vergrößerte und schüttelte nur den Kopf.

Für einen weiteren Herzschlag verharrte ich in dieser Position, bis ich mich mit einem Ruck nach vorne schmiss, die junge Frau an den Schultern packte und ganz nah an mein Gesicht zog, sodass sie halb auf dem Schreibtisch lag. »Ich bringe viel lieber andere Menschen um, als mich selbst«, flüsterte ich durch ihr glattes Haar und berührte für einen kurzen Moment ihr Ohr mit meinen Lippen, bevor mich jeweils zwei starke Hände an den Schultern packten und gewaltsam aus dem Zimmer zogen.

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