Beinahe-Entführung

52 4 6
                                    


„Verdammt noch mal, das kann nicht dein Ernst sein!", rief ich völlig außer mir, während ich kopfüber über der Schulter meines besten Freundes hing und versuchte mich aus seinem festen Griff zu befreien. „Das grenzt schon fast an Entführung was du hier tust!"
Adrian der sich scheinbar köstlich über meinen Wutausbruch amüsierte, hüstelte amüsiert, während er mich weiter schnurstracks über den Parkplatz zu seinem Wagen trug.
Dabei hatte mein Tag so normal angefangen. Ich war aufgestanden und hatte mir gemütlich eine Tasse Tee und einen Toast mit Marmelade zum Frühstück gegönnt, bevor ich mich auf den Weg zu meiner Arbeit bei der kleinen Tageszeitung unserer Stadt gemacht hatte. Ich arbeitete dort seit etwa zwei Jahren als Redakteurin und liebte meinen Job von ganzem Herzen, auch wenn ich meist über kaum interessantere Dinge schrieb, als die Rettungsversuche der Feuerwehr eine entlaufene Katze aus einem Schacht zu retten, in den sie gefallen war. Trotzdem konnte ich mich nicht beschweren, ich hatte nette Kollegen und fühlte mich wohl mit dem was ich tat.

Fünf Minuten vor Feierabend hatte sich mein Tag jedoch drastisch zum Schlechteren gewandelt. Adrian kam lässig in mein Büro spaziert und hatte geduldig gewartet, bis ich meinen Artikel versendet und meinen Computer heruntergefahren hatte. Ich hatte mir darüber keine allzu großen Gedanken gemacht, es kam öfter vor, dass er mir einen Besuch abstattete, oder mich von der Arbeit abholte. Meistens gingen wir danach noch etwas zusammen essen.
„Was hältst du vom Vendome?", fragte er mich fast schon beiläufig, als ich mir gerade meinen Mantel überwarf. Verwirrt blickte ich zu ihm auf. „Das Vendome? Meinst du nicht das ist etwas protzig? Ich meine, ich liebe italienische Küche, aber das ist doch etwas zu viel des Guten. Dahin solltest du lieber Cathy mitnehmen". Mein bester Freund grinste nur spitzbübisch.
Langsam wurde ich misstrauisch. „Wieso bist du hier?", fragte ich mit einem schneidenden Tonfall und beäugte ihn aus zusammengekniffenen Augen.
„Schätzchen, frag nicht so viel. Beweg lieber deinen Hintern. Dein Date wartet". Er schmunzelte. Er wusste ganz genau, dass er mich damit zur Weißglut treiben würde.
„Ganz sicher nicht. Ich werde jetzt nach Hause fahren, du kannst nicht hierher kommen und mich zu einem Date mitschleppen, von dem ich nicht wusste, dass du es für heute angesetzt hast. Also wirklich, manchmal bist du echt unmög...." Weiter kam ich nicht, denn Adrian hatte mich an der Taille gepackt und mich wie einen Sack Kartoffeln über die Schulter geworfen.

So kam es, dass ich vor mich hin zeternd über Adrians Schulter hing, während er mich über den Parkplatz vor meiner Arbeit schleppte und mich schließlich auf den Beifahrersitz seines Autos verfrachtete. Schmollend verschränkte ich meine Arme vor der Brust und starrte ihn mit erhobenen Augenbrauen an. „Wieso jetzt?" Er lachte. „Weil du jetzt nicht abhauen und dich davor drücken kannst." Daraufhin griff er nach dem Gurt neben mir und schnallte mich an. Daraufhin gab er mir einen Kuss auf die Wange und warf die Autotür zu.
Kurz darauf waren wir auf dem Weg zum Restaurant und ich regte mich darüber auf, dass ich mal wieder kein Mitspracherecht zu haben schien und mir sogar verwehrt wurde mich vorher noch einmal umzuziehen. Adrian hatte mich nur schief angesehen und gesagt ich sähe gut aus, so wie ich war, woraufhin ich ein unweibliches Schnauben von mir gegeben hatte. So ein Idiot.

Meine Gedanken wanderten zu meinem Blind Date, das mir kurz bevor stand. Viel wusste ich nicht über den Typen. Lediglich, dass er Adrians Kollege war, das hieß er arbeitete ebenfalls in dem Spielwarenladen, in dem mein bester Freund sein Geld verdiente. Außerdem hatte dieser mir den Namen von dem Typen den ich treffen sollte verraten: Louis.
Eigentlich ein schöner Name, viel brachte mir das trotzdem nicht. Langsam begann die Nervosität an mir zu nagen. Was wenn der Abend ein völliger Reinfall werden würde? Wenn der Typ ein absoluter Idiot war?
Ich musste wohl angefangen haben, wie eine Verrückte am Saum meines Rockes zu nesteln, denn plötzlich merkte ich wie sich die Hand meines besten Freundes sanft auf meine legte. „Sei nicht so nervös Kleines", sprach er sanft auf mich ein. „Louis ist ein netter Kerl. Ich glaube du wirst eine Menge Spaß haben".

In diesem Moment lenkte er den Wagen auf den Parkplatz von dem von ihm vorhin angesprochenen Restaurant. Nachdem er den Wagen zum Stehen gebracht hatte, wandte er sich mir zu. „Bist du jetzt endlich bereit dazu auszusteigen, oder muss ich dich da rein tragen?" Bei den letzten Worten begann er zu Grinsen und ich verdrehte die Augen. Jedoch begann ich mich abzuschnallen und öffnete die Autotür. Ich wollte vor diesem Typen nicht wie der letze Vollidiot auftreten, weil Adrian mich ins Restaurant trug. Also warf ich meine Haare provozierend über die Schulter, nachdem ich ausgestiegen war und lächelte meinen Freund zuckersüß an. „Das wirst du übrigens noch bereuen, Mistkerl". Dieser lächelte mich mindestens genauso gekünstelt an, als er erwiderte „Ich hab dich auch lieb Josy. Viel Spaß" Dann zeigte er auf einen Typen der in der Nähe des Eingangs herumlungerte und gab mir somit zu verstehen, dass dieser mein Date war. Ich nickte ihm knapp zu und schloss die Beifahrertür. Ich beobachtete wie das Auto den Parkplatz verließ und wandte mich dann dem Restaurant zu. Ich holte einmal tief Luft. Auf in den Kampf.

Louis lehnte an der Mauer neben dem Eingang und tippte etwas auf seinem Handy, wodurch ich die Möglichkeit hatte ihn eingehend zu betrachten, ohne dass er mich bemerkte. Er hatte etwas längere, braune, verwuschelte Haare, die ihm ein leicht verwegenes Äußeres verliehen. Dieser Eindruck wurde durch die unzähligen Tattoos verstärkt, die ich auf seinen Armen und seiner Brust erahnen konnte. Ich musste zugeben, dass er verboten gut aussah. Seine Haltung hatte etwas Lässiges und er wirkte nicht aus der Ruhe zu bringen. Ich beendete meine erste Musterung und ging mit langsamen, bedächtigen Schritten auf ihn zu. Kurz vor ihm kam ich zum Stehen und sein wachsamer Blick traf mich, als er seine blauen Augen von seinem Handy löste. Ich räusperte mich.
„Hallo, ich bin Josy", sagte ich. „Ich glaube wir sind verabredet".

Seine Augen, deren Blau fast schon hypnotisierend auf mich wirkte, musterten mich, genau wie ich es eben mit ihm gemacht hatte, bevor er sich betont lässig vorstellte. Dann wanderte sein Blick erneut auf sein Handy und seine Finger flogen förmlich über das Display. Ich runzelte verwirrt die Stirn und starrte den Typen vor mir an. Sein mangelndes Interesse ließ mein Innerstes brodeln. Also räusperte ich mich ein weiteres Mal, diesmal jedoch lauter. Seufzend löste er seinen Blick von seinem Handy und steckte es sich in die Hosentasche. Dann wanderte sein Blick ein weiteres Mal an mir auf und ab, bevor er an meiner Oberweite hängen blieb. Meine Augen verengten sich zu Schlitzen und ich knirschte mit den Zähnen. Was war das denn für ein Vollidiot?
Im Inneren meines Kopfes hörte ich schon die anklagenden Stimmen meiner Freunde, wie sie mich dafür scholten, dass ich Louis vorschnell verurteilte und ihm nicht einmal eine Chance gab. Also gab ich mir selbst einen Ruck und versuchte meine Vorurteile beiseite zu drängen, nicht dass mich meine Freunde zu einem weiteren Date zwangen, mit dem Argument ich hätte es bei diesem nicht mal wirklich versucht. Denn das war es, was es unbedingt zu verhindern galt.

„Wollen wir vielleicht reingehen?", fragte ich ihn und klimperte ein paar Mal mit den Wimpern. Immerhin wollte ich bei ihm einen guten Eindruck hinterlassen. Er nickte, öffnete die Tür und deutete mir mit einer Hand den Vortritt an. Ein richtiger Gentleman also. Vielleicht hatte ich mich doch in ihm getäuscht. Doch meine Hoffnungen wurden kurz darauf leider vernichtet. „Süßer Hintern", vernahm ich seine raue Stimme hinter mir und hätte ihn am liebsten angefaucht, als mir klar wurde, dass er mich nur hatte vorgehen lassen um mich anzustarren. So ein Pavian. Ich seufzte, als ich das Restaurant betrat. Ich hatte das Gefühl, das würde ein verdammt langer Abend werden.


Turn my world upside downWo Geschichten leben. Entdecke jetzt