Kapitel 4 - Die Zeit vergeht

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 „Hey Spector, warte mal!", es ist jedes Mal dasselbe mit ihm. Immer wenn man ihm eine Aufgabe zuteilt, verschwindet er im nächsten Moment wieder um irgendeine Ecke. Ich rannte ihm nun schon seit drei Straßen hinterher und dennoch scheint es, als ob er sich immer weiter von mir entfernen würde. Würde er doch nur für einen kleinen Moment stehenbleiben. Und zur Bibliothek kann ich auch nicht allein hingehen. Erstens ich habe keine Genehmigung und zweitens weiß ich nicht mal was er mir zeigen sollte.

'Ich gebe auf', selbst wenn ich ihn irgendwann einhole, würde er mir sowieso nur die Hälfte verraten. Ich gehe besser zu Zara, sie hat mich immerhin zum Essen eingeladen.

Als ich bei ihr vor der Tür stand und klopfte, machte mir ein völlig fremder Mann auf. Er hatte pechschwarzes Haar und eine ebenso schwarze Uniform.

„Oh, Raymond da bist du ja. Das ist Marces, ein Berater und Lehrer an der Magischen Akademie. Ich dachte mir, du hast sicher viele Fragen, also habe ich ihn zum Essen eingeladen. Du wurdest doch aufgenommen oder?", hörte ich Zaras Stimme aus der Küche rufen.

Marces also, er stand noch immer vor mir und versperrte mir den Weg. Ich sah ihn an und reichte ihm meine Hand, um mich zu begrüßen: „Ich bin Raymond."

„Marces Envoy.", er reichte mir die Hand und bat mich hinein. Als ich an ihm vorbeiging, spürte ich nur einen eiskalten Blick, der mir bis in die Küche folgte.

„Hey Zara. Ja es gab zwar einige Bedenken aber der Direktor der Schule hat sie schnell geklärt und es wurde einstimmig entschieden. Abaddon fragte danach Spector, ob er mir in der Bibliothek etwas über die 13 Elemente beibringen würde aber du kennst in doch."

„Lass mich raten, er rannte die Treppe hinunter und verschwand in der Menschenmenge. Danach könnte man ihr stundenlang verfolgen, aber erwischt hat ihn noch keiner, selbst wenn die ganze Insel nach ihm sucht. Ach wie eh und je."

„Ja da hast du recht, wie immer war er schon wieder über alle Berge, wenn ich nur seine Stimme gehört habe. Gibt's was Neues von Madole?"

„Nein leider, sie ist immer noch verschwunden. Ich hoffe, dass wir sie bald finden werden", antwortete Zara mit einem traurigen Blick, Madole war immerhin ihr Flughörnchen, zumindest glaubte ich, das es eins war.

Ich half Zara den Tisch zu decken und setzte mich. Mir gegenüber saß Marces, der mir mit seinen dunkelbraunen Augen Löcher in den Kopf starrte.

Nach dem schweigsamen Essen setzten wir uns zusammen in das Wohnzimmer. Draußen begannen die ersten Schneeflocken zu fallen und Zara begann Holz in den Karmin zu legen. Ich sah zu Marces hinüber, der sich gerade ein Bild ansah.

Es wurde mollig warm im Haus, das Feuer brannte und knisterte, draußen wurde es dunkel. Es erinnerte mich an mein erstes Weihnachten, zumindest an das was davon noch übrig ist.

Es dauert nur noch einen Monat bis ich 18 Jahre alt bin, warum muss alles so schnell vergehen? Ich werde alles hier in Windward vermissen. Was wird aus Spector werden oder aus Zara. Warum muss Abschied so schwer sein? Seit ich hier angekommen bin, habe ich so vieles gelernt über dieses Land und all den fantastischen Dingen, die es hier zu entdecken gibt.

Als ich die schwebenden Berge und Felsen das erste Mal sah, fühlte ich mich frei. Sie schweben über einem tiefen Meer, das an schönen Tagen jedem so unbegreiflich klar erscheint, dass man glaubt sogar den Boden erkennen zu können. Die einzelnen fliegenden Inseln werden nur durch Brücken und Seilen zusammengehalten, jeden Morgen verdeckt dichter Nebel die Sicht auf das umliegende Festland und man hat das Gefühl davongeflogen zu sein, bis die Sonnen den Nebel langsam verschwinden lässt. Aber das schönste an Windward sind die Sonnenuntergänge im Herbst. Alle Bewohner versammeln sich am Hauptplatz und genießen die farbenfrohe Abenddämmerung. Was mir dabei aber noch besser gefällt, sind die besonderen Lichtspiele, die entstehen, wenn die Strahlen der Sonne den Körper der Venticustos durchqueren. Das Licht erstrahlt oft in allen Farben des Regenbogens. Was mich fasziniert ist, dass es auf Windward schneit.

Eigentlich wäre es doch auch unlogisch, dass es auf dem Meer schneien würde, denn Windward liegt doch auch über dem Meer... Mir werden auch die ganzen Feste fehlen, die man hier feiert. Zum Beispiel das Fest der Umkehrung, das den Tag bezeichnet, an dem der Wind nicht mehr von Osten sondern von Westen kommt und das hat zur Folge, dass der Wintereinbruch beginnt. Ich habe es auch immer geliebt Geburtstage zu feiern. Jeder brachte dir ein Zitat oder einen Spruch um dich zu erfreuen.

Doch am interessantesten fand ich immer schon die einzelnen Inseln denn jede von ihnen bot eine eigene Welt. Ich lebe zusammen mit Spector auf der königlichen Insel, dem Zentrum von Windward. Meine Lieblingsinsel aber ist die Insel der Zeit. Auf ihr fanden sich nicht nur unendlich viele Bücherläden, Antiquariate und Druckereien, sowie auch die örtliche Schule des Windes, sondern auch die große Bibliothek. Ich liebe es dort meine Zeit zu verbringen, allein wegen der Stille die dort herrscht. Sie bietet so viele Rückzugsorte, um seine Gedanken frei fließen zu lassen und einfach zu entspannen. Die Insel der Freude ist auch sehr unterhaltsam. Auf ihr kann man alle Geschäfte und Unterhaltungsarten finden. Von Opern, Theatern und Tanzstuben bis hin zu Untergrundbars, in denen Tag ein Tag aus einfach nur Musik gespielt wird. Ich und Spector verbachten oft ein paar Tage dort und wanderten von einer Vorstellung zu nächsten. Aber irgendwann werde ich wieder hierher zurückkommen, selbst wenn ich halbtot auf den Brücken umherwandere, dann bei einer Vorstellung in der Oper einschlafe obwohl sie noch nicht einmal begonnen hat und mit drei Lupen die Bücher aus der Bibliothek lese, aber niemanden fragen kann was dort steht, weil ich nichts mehr höre.

Zara stellte mir Kakao an den Tisch und setzte sich auf ihren Lesesessel. Ihr Blick wanderte aus dem Fenster hinaus, auf die leicht von Schnee bedeckten Häuser und die Kinder, die sich schon an einem Schneemann versuchten.

„Also Raymond, hast du Fragen an Prof. Envoy?", fragte mich Zara nach ein paar Minuten.

Ich richtete meinen Blick zu Marces und sah ihn fragend an, mir fiel nichts ein, keine einzige Frage schwirrte in meinem Kopf herum. 'Und jetzt? '

„Dir fällt nichts ein?", sprach Marces aus dem Nichts und riss mich aus meinen Gedanken.

Ich nickte und begann nervös zu werden.

Marces setzte ein leichtes Grinsen auf und begann mir über die Schule und die Schüler dort zu erzählen.

Die Zeit.

Nur sie kann Wunden heilen

Nur sie kann dir die Zukunft zeigen

Nur sie kann dir über deine Vergangenheit erzählen

Nur sie kann alles überdauern ohne selbst zu altern.


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