Das Internat

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"I need U Girl!" Sobald wir aufwachten, sangen Johanna und ich laut und falsch mit. Wir hatten uns nicht für ein Lied zum Wecken entscheiden können, also wechselten wir jeden Tag durch.


"Wollen die uns umbringen?", fragte meine Schwester wie jeden Morgen, als sie einen Blick auf die Uhr warf. Wie jeden Morgen seufzte ich, drehte mich um, knüllte mein Kissen zusammen und versuchte erneut die Augen zu schließen. Sieben Uhr in den Ferien war wirklich nicht zumutbar. Da meine Schwester und ich keine Eltern mehr hatten, wohnten wir in diesem Internat, das nicht nur für uns ebenso Waisenhaus war. Die jüngeren Kinder, die noch nicht zur Schule gingen, wohnten in einem Gebäude nebenan.

Jemand hämmerte gegen die Tür. In Sekundenschnelle war Johanna aufgesprungen und hatte die Tür aufgerisssen. Dann verdrehte sie die Augen und lehnte sich gegen den Türrahmen.
"Da wollte uns wohl jemand an die Uhrzeit erinnern", scherzte ich. Wir beide wussten, dass dem nicht so war.
Wir wohnten in diesem Internat, seit wir denken konnten. Länger jedenfalls als alle anderen, die hier waren. Und dennoch waren meine Schwester und ich die Außenseiter. Was übrigens nicht an unserem Musikgeschmack lag, obwohl sich die anderen auch darüber gerne lustig machten.
Vermutlich verhielten wir uns einfach anders. Die endlosen Jahre hier hatten uns unzertrennlich werden lassen. Dass wir uns an unsere Eltern nicht erinnern konnten trug dazu bei, dass wir sie auch nicht vermissen konnten. Wir kannten uns so gut, dass wir meistens genau wussten, was die andere dachte. Leider nicht besonders schlagfertig, hielten wir gegen die anderen Schüler immer zusammen. Und das mussten wir auch. Irgendwer schien mit Edding Opfer! auf unsere Stirn geschrieben haben. Sobald jemand Neues dazukam, wurde er sofort informiert. Die zwei sind verrückt, von denen hältst du dich besser fern. Oder aber du nutzt jede Sekunde, um sie zu nerven.

Irgendwann hatten wir uns dazu überwunden, aufzustehen. Wir hatten uns umgezogen und auf den Weg in den Speisesaal gemacht.
Es waren nur sehr wenige dort, aber es waren ja auch Ferien. Die meisten Schüler waren hier nur in der Schulzeit und hatten Familien, zu denen sie in den Ferien zurückkehren konnten. Alle anderen waren, wie meine Schwester und ich, Waisen.

Wir holten uns unser Essen und setzten uns an einen Tisch in der Ecke. Es war schon oft vorgekkommen, dass beim Essen Streit entstanden war, und die Schulleiterin war fast immer auf der Seite der anderen. Hauptsächlich weil sie es uns übel nahm, dass wir unser Zimmer ohne Erlaubnis mit Postern tapeziert hatten. Ich war mir vorher allerdings auch schon sicher gewesen, dass sie uns nicht hatte leiden können. Jetzt sah sie uns immer an, als sei der einzig richtige Ort für uns das Gefängnis.
So schnell wir konnten, schlangen wir unser Essen herunter. Aber als wir uns auf den Rückweg machen wollten, stellten sich uns einige Schüler in den Weg. Ich war noch müde und brauchte kurz, um sie zu erkennen.

"Claire, Charlotte. Was für eine Ehre", begrüßte Johanna sie. Die beiden waren entweder zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um den Sarkasmus zu bemerken, oder schlicht zu doof. Claire hatte steinreiche Eltern, die das Internat dafür bezahlten, dass sie auch in den Ferien dort bleiben konnte. In den ersten zwei Minuten hatte sie mir deshalb leid getan. Dann hatte sie angefangen, auf uns herumzuhacken. Über Charlotte wusste ich nichts als ihren Namen und dass sie immer wie ein Schatten hinter dem anderen Mädchen herlief.
"Was habt ihr denn heute vor?", flötete Claire mit einem Lächeln, als wolle sie ein Kind erstechen und würde ihm erklären, dass alles gut werden würde.
Ich seufzte. "Musik hören. Und jetzt wirst du lachen und fragen, ob wir denn dieses Scheiß-", ich machte Anführungszeichen in die Luft, "-KPop immer noch hören. Tun wir, danke der Nachfrage. Wenn du uns jetzt entschuldigst..." Ich versuchte, mich an den beiden vorbeizumogeln, wurde jedoch aufgehalten.
"Und die Schlitzaugen trösten euch über eure Eltern hinweg, oder wie?", fragte Claire süßlich. Die Schwarzhaarige hinter ihr grinste verächtlich und ich verspürte kurz den Drang, ihnen das Grinsen aus dem Gesicht zu schlagen. Aber da ich ja immer nett und ruhig war, beherrschte ich mich gerade noch so.
Nein, war ich nicht. Und ich hätte mich auch nicht beherrschen können, wenn nicht auf einmal die Schulleiterin zu uns getreten wäre. Sie zog eine Miene wie drei Tage Regenwetter, aber das tat sie immer. Johanna warf mir einen Blick zu und ich presste die Lippen zusammen. Wir wussten, dass uns nun eine Woche Spüldienst drohte, obwohl wir eigentlich nichts getan hatten. Was sie dann allerdings sagte, war beinahe erschütternd.

"Geht doch bitte wieder in eure Zimmer wenn ihr das Essen beendet habt, Mädchen. Ihr versperrt den Gang." Ich sah mich um. Weit und breit war niemand zu sehen, dem wir irgendetwas versperren konnten. Ein Blick zu meiner Schwester verriet mir, dass sie genau so überrascht war wie ich. Die Schulleiterin verzog die Lippen, als wolle sie sich an einem Lächeln versuchen. Es endete in einem weiteren gequälten Gesichtsausdruck und verschwand.
Claire und Charlotte zuzwinkernd, die aussahen wie vom Blitz getroffen, spazierten wir davon. Sobald außer Sichtweite, rannten wir in Höchstgeschwindigkeit zu unserem Zimmer und knallten die Tür zu.

Johanna sank keuchend auf ihr Bett. "Was war das denn bitte? Hat sie irgendwo Felix Felicis geklaut?"
"Als ob sie gegen Zauberer eine Chance hätte", hielt ich dagegen. "Vielleicht geht es ihr einfach nicht gut?"

Meine Schwester zuckte mit den Schultern. Sie nahm ihren Block, Stifte und den MP3- Player zur Hand. Auf Letzteren hatten wir unendlich lange sparen müssen, da wir vom Internat praktisch nichts bekamen und uns aber auch unbedingt alle Harry Potter- Bücher und Herr der Ringe hatten kaufen müssen. Und ein paar Mangas. Aber irgendwann hatte es für so ein Billigteil gereicht und seitdem hüteten wir unseren Besitz als ob unser Leben davon abhinge. Tat es eigentlich auch, viel Abwechslung gab es hier nämlich nicht. Ansonsten schmückten noch jeweils ein Poster von BTS und eines von Herr der Ringe unser Zimmer. Das war alles.

Wir kuschelten uns auf Johannas Bett zusammen, teilten uns die Kopfhörer und begannen zu schreiben. Da wir mit zwei Buchreihen nicht gerade viel Inspiration hatten, schrieben wir entweder Fanfictions über Harry Potter, Herr der Ringe oder BTS. Ich hatte schon ein paar mal versucht, eine eigene Geschichte zu schreiben, aber mir fiel einfach nichts ein.
Nach einiger Zeit tauschten wir die Blöcke und lasen das, was die andere geschrieben hatte. Das taten wir immer, auch wenn sich mit der Zeit alle Muster, Ideen und Storylines wiederholten. Irgendwann begann Johanna, mit ihrem Bleistift Zeichnungen in meinen Block zu kritzeln. Wortlos nahm ich ihn ihr ab und gab ihr den eigenen zurück. Nicht dass sie so schlecht zeichnete, aber sie heftete die meisten Blätter in einen Ordner, ganz egal was sonst daraufstand. So hatte ich teilweise meine besten Ideen nach stundenlanger verzweifelter Suche auf der Rückseite einer Zeichnung von Sebastian Michaelis gefunden.

Die Playlist schaltete gerade zu No more dream, als es laut an unserer Tür klopfte. Das war nicht verwunderlich, vor allem die Freunde von Charlotte und Claire taten das gerne, auch wenn es total kindisch war. Deswegen machten wir uns auch gar nicht erst die Mühe, aufzustehen. Erst als es ein zweites und dann auch ein drittes mal klopfte, sah ich auf. Dann ertönte draußen eine Stimme. Ich erkannte die der Schulleiterin und begann, mir ernsthaft Sorgen zu machen.
"Es tut mir leid, normalerweise sind sie immer hier. Ich kann einmal nach draußen schauen, aber vielleicht-" weiter kam sie nicht, denn ich hatte die Tür aufgerissen. Tatsächlich stand sie dort, die Augenbrauen missbilligend zusammengezogen als sie erkannte, dass wir sie ignoriert hatten.

"Tut mir leid", entschuldigte ich mich hastig, während jetzt auch meine Schwester neben mir stand. "Wir dachten, das wäre-" mitten im Satz stoppte ich. Mein Blick war zu der Person gewandert, mit der sie sich vorhin anscheinend unterhalten hatte. Er war hoch gewachsen, hatte eine halbmondförmige Brille auf der Nase sitzen und einen langen weißen Bart. Seine Kleidung kam mir seltsam vor, was mich selbst einen Moment irritierte, da er eigentlich ganz normal gekleidet war.
"Wenn Sie uns einen Moment allein lassen könnten", bat der Mann unsere Schulleiterin. Die nickte hastig, kniff die Lippen zusammen, warf uns einen flüchtigen Blick zu und verschwand eilig. Er sah ihr noch kurz belustigt nach, dann trat er in unser Zimmer und schloss die Tür.

Für einen kurzen Moment sagte niemand etwas. Der Mann ließ seinen Blick durch unser Zimmer schweifen und blieb bei den Büchern hängen. Seine Mundwinkel zuckten.
"Nun, ihr beiden, bevor wir miteinander reden sollte ich mich vielleicht erst einmal vorstellen. Obwohl das, wie ich sehe, eigentlich nicht nötig ist. Mein Name ist Albus Dumbledore."


Mit BTS in HogwartsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt