Kapitel 4

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Als die Tränen auch nach einer viertel Stunde nicht versiegt waren, legte sich Lilli zu Alice. Eigentlich hatte sie ihr tröstende Wörter zuflüstern wollen, doch plötzlich fing auch sie an zu Schluchzen.

Irgendwann riss Alice sich zusammen stand auf und wischte sich die Tränen von der Wange. « Hey Lilli, wir müssen stark sein. Lass uns jetzt mit der Erörterung beginnen». Lilli nickte, putzte sich die Nase und setzte sich an den Schreibtisch. Sie verbesserten Lillis Entwurf und gingen dann wieder zu den Erwachsenen. Zum Abschied umarmten sich alle und Alice flüsterte Lilli ins Ohr:« Du bist stark. Du schaffst das.»

Wochen vergingen und alles war wie immer. Alice stand auf, ging zur Schule, machte ihre Hausaufgaben und ging einmal die Woche zur Psychologin. Jeden Abend Musik in die  Ohren dröhnen und sich in den Schlaf heulen. Das war Alice's Routine und die wurde nur selten unterbrochen. In den Mittagspausen aß sie einen Sandwich und lernte. Sie saß zwar mit Em und ihren anderen alten Freunden an einem Tisch, aber keiner wagte es mehr mit ihr zu Reden und sie war froh darüber. Ein paar Wochen später, ein Tag nachdem Alice mal wieder eines dieser schrecklichen Essen bei den Tigers hinter sich gebracht hatte, wachte sie vor ihrem Wecker um sechs Uhr auf. Sie war hellwach und fühlte sich voller Energie. Sie hatte nicht vergessen, dass Leroy tod war und es war noch immer genauso schmerzhaft, es war auch keine seelische sondern körperliche Energie. Sie fühlte sich als könnte sie tausend Kilometer rennen und nicht müde werden. Doch das war ihr dann halt auch egal. Sie hörte noch kurz Musik, doch irgendwie konnte sie einfach nicht liegen bleiben. Also beschloss Alice duschen zu gehen und sich lange von dem heißen Wasser überschütten zu lassen. Nach einer Viertelstunde stellte sie das Wasser wieder ab, zog sich an und machte sich fertig. Doch dadurch das sie sich plötzlich so schnell bewegen konnte, hatte sie um halb sieben schon ihre Tasche gepackt und sich den Sandwich für die Mittagspause gemacht. Alice nahm sich Zeit beim Tee kochen, trotzdem war sie um zwanzig vor sieben mit allem fertig und hatte noch zwanzig Minuten bis sie los musste. In der Schule würde sie bestimmt nicht so lange warten, also guckte sie nochmal nach, ob sie alle ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Hatte sie. Alice seufzte und setzte sich im Wohnzimmer vor den Fernseher um sich abzulenken. Doch da kam nur Mist und ihre Gedanken schweiften ab. Wenn sie ihm damals nur gesagt hätte, das er den Helm anziehen und rechts ranfahren soll... Bestimmt wäre er noch am Leben. Sie musste immer wieder an den Unfall denken, an den Moment in dem sie registriert hatte, dass das ihr Ende war. Sie gab sich oft die Schuld für das was passiert war. Egal wie oft andere ihr gesagt hatten, dass sie keine Schuld trug, sie wusste, sie hätte es verhindern können. Die Wut auf sich war allerdings noch lange nicht so groß wie die Wut auf den unbekannten Autofahrer. Alice hatte der Polizei tausendmal mitgeteilt, dass sie sich noch an das Nummernschild erinnerte und wusste wie das Auto aussah, doch niemand wollte ihr Glauben. Sie hatte eine Gehirnerschütterung erlitten( eine der vielen Schaden des Unfalls) und somit dachten alle sie wäre nicht in der Lage sich zu Erinnern. Doch leider erinnerte sie sich an jedes Detail, an einfach alles, wobei sie wünschte es einfach zu Vergessen. Alice versuchte ihre Gedanken zu Stoppen in dem sie ihre Hände​ gegen die Stirn presste und schaltete den Fernseher aus. Sie musste hier raus, bevor sie völlig verrückt wurde. Also zog sie sich ihre Jacke und Schuhe an, warf sich den Rucksack über die Schulter und verabschiedete sich von ihrer gerade aufgewachten, übermüdeten Mutter.
Alice verließ das Haus, nicht auf ihre Mutter achtend, die sagte es wäre doch viel zu kalt draußen. Es war Ende November, die Adventszeit stand bevor. Ein weiteres   Weihnachten ohne Leroy. Schon das dritte. Diese Nacht war einiges an Schnee gefallen, was Alice allerdings nichts ausmachte. In ihrem Kaff war man so was gewöhnt. Hier fing der Winter schon Anfang November an und hörte erst im März auf. Ihre Füße versanken kaum im Boden, sie ging schnellen Schrittes. Da sie so früh losgelaufen war, hatte sie vor noch im Park vorbeizuschauen. Ein Feldweg führte dorthin und sie konnte das plötzliche Bedürfnis zu Rennen nicht unterdrücken. Sie war so schnell wie noch nie und sie fühlte sich total frei.
Im Park setzte sie sich auf eine Bank um Luft zu holen, doch komischerweise war sie noch gar nicht außer Atem. Der Schnee durchnässte ihre Hose, also stand sie auf und schlenderte durch den Park. Es war der einzige Park in dieser Gegend und er sah zu jeder Jahreszeit wunderschön aus. Alice liebte diesen Park. Sie ging oft hier Spazieren um den Kopf frei zu Bekommen und allein zu sein. Bei diesem Wetter war der Park wie ausgestorben und Alice ließ die Schönheit auf sich wirken. Die großen, kahlen Bäume waren mit Schnee bedeckt und Eiszapfen hingen hinunter. Der Weg schlängelte sich dazwischen hindurch und an manchen Stellen war es glatt. Sie ging am See vorbei, welcher den Parkausgang markierte. Er war zugefroren und die dicke Eisschicht war mit Schnee bedeckt. Früher waren sie und Em im Winter immer über das Eis geschlittert,manchmal hatten sie ihre Mütter sogar dazu überredet, Schlittschuhe mitzunehmen und illegal ( wie sie mittlerweile wussten) auf dem See Schlittschuh zu fahren. Doch diese Zeiten waren vorbei. Wenn Alice mit Emily redete, dann höchstens über belanglose Sachen oder da Em sie angesprochen hatte. Der Verlust ihrer Freundschaft war nur eines der Opfer gewesen die Alice bringen musste und sie redete sich ein das es so besser wäre. Mittlerweile war sie schnellen Schrittes unterwegs und kam bald an der Unfallstelle vorbei. Sie schluckte. Jeden morgen musste sie diesen Ort sehen, es führte kein Weg vorbei. Früher war sie hier immer zu Boden gesunken und hatte bitterlich geweint, diese Zeiten waren aber vorbei. Sie riss sich zusammen, wandte den Blick ab und rannte fast, so schnell wollte Alice weg. In der Schule angekommen stellte sie fest, das sie nur eine knappe halbe Stunde​ gebraucht hatte, und noch 25 Minuten Zeit hatte. Also beschloss Alice, an ihren geheimen Rückzugsort der Schule zu gehen. Sie hatte außer sich noch nie einen Menschen dort angetroffen, denn es war eine Nische durch die man auch nach draußen gelang und sie lag genau hinter dem Lehrerzimmer. Als sie heute am Lehrerzimmer vorbei kam, stand dort ein Junge mit der Direktorin. Was an sich  nicht ungewöhnlich war, doch eins war anders: Alice kannte den Jungen nicht.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Feb 09, 2017 ⏰

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