Kapitel 1

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Kapitel 1

Frühjahr 1912- Parrett Hall

Sie jagte im schnellen Galopp über die Felder. Nur noch die Hecke trennte sie von ihrem Elternhaus.

Elisabeth wusste, dass sie als Lady eigentlich ganz sittsam im Schritt, allerhöchstens im Trab über die Ländereien ihres Vaters reiten sollte. Doch sie hatte sich noch nie viel um die Etikette gekümmert. Sehr zum Leidwesen ihrer Gouvernanten.

Und so setzte sie mit Ihrer Schimmelstute in einem großen Satz über die Hecke.

Der kühle Wind umwehte ihre schlanke Gestalt. Ihre Wangen hatten einen rosigen Teint. Sie liebte es in der Früh, wenn alles noch schlief, auszureiten.

Nur dann fühlte sie sich frei. Frei von Zwang und Konventionen.

Und so galoppierte sie freudestrahlend die großzügige Auffahrt zum Anwesen hinauf.

Sie zügelte ihre Stute und ließ sie im Schritt zu den Stallungen gehen.

Ihr kam schon der alte Stallmeister Higgins entgegen.

„Guten Morgen Miss Ellie" grüßte er sie freundlich und half ihr beim absteigen.

„Guten Morgen Higgins. Baroness bekommt heute eine Schippe Hafer mehr. Sie ist wunderbar gesprungen und ich meinte manchmal, dass wir über die Felder geflogen sind, so schnell lief sie."

Higgins lächelte und tätschelte der Stute den Hals.

„Miss Charfield!" rief da schon aufgeregt ihre Zofe.

Elisabeth rollte mit den Augen, was Higgins nur noch breiter Lächeln ließ.

„Miss Charfield. Ihre Mutter... sie schickt... nach Ihnen!"

Atemlos kam die kleine Sophie Prankett auf sie zu.

„Himmel Sophie! Hol Luft! Du bist ja völlig aus der Puste!"

Belustigt sah Ellie ihrer Zofe ins Gesicht, das deutlich gerötet war unter der Anstrengung.

Sie war ein hübsches kleines Ding, wie Ellie fand.

Ihre Augen waren Babyblau und sie hatte eine kleine freche Stupsnase.

Sie mochte Sophie. Sie wahr ehrlich und sie log auch mal für sie, wenn sie mal wieder keine Lust auf eines der Dinner hatte, die ihre Mutter regelmäßig gab.

„Miss. Ihre Mutter verlangt nach Ihnen. Sie ist zusammen mit Ihrem Vater in der Bibliothek."

Ellie seufzte.

Das klang ja nach etwas wichtigem.

„Na dann wollen wir sie nicht warten lassen. Ihnen noch einen schönen Tag Higgins!"

Der Stallmeister tippte sich an die Mütze und führte den Schimmel in den Stall.

Mit schnellen Schritten eilte Ellie ins Haus und lief die Treppe nach oben vorbei an den zahlreichen Bildern ihrer Ahnen.

Sie klopfte an der Tür zur Bibliothek an und trat dann ein.

Ihre Mutter saß in einem Sessel am Kamin und ihr Vater stand mit einem Glas Scotch daneben. Einen Brief in der rechten Hand haltend.

„Mutter, Vater" Ellie knickste kurz und trat dann näher.

„Ihr wolltet mich sehen?"

Die blassgrünen Augen ihrer Mutter hafteten sich auf sie. Kühl musterten sie den Schlamm bespritzten Rocksaum ihres Reitkostüms.

Stilles Herz- Dem Schicksal entgegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt