Kapitel 26

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Kapitel 26

Diesen Eindruck hatte auch Harold. Er assistierte soeben seinem Offizierskollegen Herbert Pittman beim besetzten eines Rettungsbootes.

Lowes Augen schweiften über die wartende Menge. Immer wieder eilten einige Matrosen ziellos über das Bootsdeck.

Er erinnerte sich daran, dass in Belfast jedes Rettungsboot mit einer Liste versehen wurde, in der stand, welche Matrosen und Offiziere das steuern und Rudern des Bootes im Ernstfall übernehmen sollten.

Doch von dieser planmäßigen Ordnung war nun nichts mehr zu spüren. Beim Nachbarrettungsboot hatte man Schwierigkeiten, den Davit zu bedienen. Das Boot, das an dicken Seilen hing, bewegte sich nur unmerklich nach unten.

„Harry, wir können nicht mehr Leute in das Boot setzten! Es würde aufgrund des Gewichts kentern!" rief ihm Pittman zu.

Harold ließ seine Augen in das nur zur Hälfte besetzte Boot gleiten. Ängstlich sahen ihm einige Frauen entgegen.

Seine Gedanken wanderten zu Ellie. Er hoffte, dass sie in einem der Boote saß, die bereits abgefiert worden waren.

Er wollte sich nicht ausmalen, was wäre, wenn sie sich noch an Bord befände. Schnell schob Lowe diesen Gedanken weit in den hintersten Bereich seines Kopfes. Er konnte sich nicht vernünftig auf die ihm vorliegende Aufgabe konzentrieren, wenn er nebenbei noch in Gedanken bei Elisabeth war.

Und so nickte er Pittman zu, der darauf einige Matrosen ins Boot befehligte und ihnen auftrug, dass rudern zu übernehmen

„Geh du, Bert! Ich werde sehen, welches der Boote noch Hilfe beim abfieren braucht!"

An den Augen seinem Kollegen konnte Lowe sehen, dass er zweifel hatte. Das er wusste, dass es nur wenig Hoffnung auf Rettung gab. Dennoch nickte er wortlos und stieg ins Rettungsboot Nr. 5.

Harold stellte sich mittig zu den beiden Davits auf und hob die Arme in die waagerechte. Abwechselnd glitt sein Blick nach links oder rechts. Mit Armbewegungen teilte er den Matrosen, die die Davits bedienten mit, auf welcher Seite mehr oder weniger Seil gegeben werden musste, damit das Rettungsboot in der Waagerechten blieb.

Ismay irrte über Deck.

Überall auf dem breiten Bootsdeck sah er kleinere Menschengrübchen an der Rettungsbooten warten. Vornehmlich Passagiere der ersten sowie der zweiten Klasse. Doch vermehrt mischten sich auch Passagiere der dritten Klasse unter die wartenden.

Ismay zog die Brauen zusammen. Er kämpfte sich zur Brücke vor. Aber diese war verwaist. Ungläubig sah er sich um.

Wo war der Kapitän?

Er ging zu den Brückenfenstern und sah auf das Vorschiff. Der Bug neigte sich mittlerweile eindeutig nach unten. Das Wasser reichte nun schon weit über die Hälfte der Schiffshöhe heran. Ismay war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis die Wasser des Atlantiks das Vorschiff erreichen und dieses fluten würden.

Er wandte sich von den Fenstern ab und in diesem Moment trat Smith durch eine der Türen, von denen Ismay wusste, dass sie zum Funkraum führten.

„Kommt Hilfe?" wollte er atemlos wissen.

Smith sah ihn einen kurzen Augenblick nur niedergeschlagen an.

„Ja. Die Carpathia. Doch wird sie nicht rechtzeitig hier sein. Sie benötigt über 3 Stunden von ihrer jetzigen Position hierher." Gab er schließlich mit Grabesstimme von sich.

„Aber es kommt Hilfe. Immerhin!"

Ismay sah den Kapitän nur mit seinem Kopf schütteln und missmutig die Augen zukneifen.

Stilles Herz- Dem Schicksal entgegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt