Sie schwankt in Richtung Wohnzimmer, verschwindet dann aus meinem Blickfeld. Immer noch sehe ich doppelt und gräulich. Ich weiß genau das sie wieder zur Flasche greift.
„Du hast mir schon zwei mal ins Gesicht getreten." Ich lächele doch tut es verdammt weh.
Dennoch bin ich ihre Schläge und Tritte gewohnt. Viel schlimmer ist es wohl das ich sie immer noch liebe.
Wieder fällt mein Blick auf das Foto im Schrank das uns drei zeigt. Bei diesem unschuldigen Lächeln meiner kleinen Schwester verdreht sich mein Herz zu einem schmerzenden Klumpen, mein Lächeln erstarrt, weitere Tränen treten aus meinen Augen.
„Luisa, bitte verzeih mir", flüstere ich gequält. Ich wende mich ab, ich ertrug es nicht länger. „Ich war nicht schnell genug gewesen." Ich verkrieche mich in Schuldgefühlen, meine Mutter im Alkohol. So versucht jeder auf seine Weise mit dem Schmerz umzugehen. Ich bin Dreck. Sachte ziehe ich mich an der Wand hinauf, auf meine Beine, die mich bedingt tragen. Aber der Schwindel in meinem Kopf lässt allmählich nach also schaffe ich es einigermaßen gerade zu stehen. Der Geruch von Zigarettenqualm steigt mir in die Nase, ich folge in Richtung Wohnzimmer. Sie sitzt auf dem alten Sofa und raucht, wie immer. „Ich will dich hier nicht mehr sehen", fliegt mir ihre verbitterte Stimme entgegen als sie merkt das ich nicht gegangen bin. Ich sage gar nichts bleibe lieber still und sehe sie nur an. Ihre Augen wirken müde und abwesend, lassen keinen Zweifel daran, dass der Konsum von Alkohol und Zigaretten ihren Körper zerstören. „Tim prügelt dich windelweich", verzieht sie ihr Gesicht zu einer bedrohlichen Fratze, „wenn er dich hier erwischt."
Das hässliche Gesicht meines Stiefvaters drängt sich mir auf. Dieses miese Schwein. Sie hatte ihn eines Abends von einer Kneipentour nachhause geschleppt. Einige Zeit später zog er dann bei uns ein. Mein Körper verkrampft sich, abwehrend versuche ich die Nächte mit ihm abzuschütteln. Seine widerlichen Berührungen aus meinem Verstand tilgen. Meine Mutter glaubte mir natürlich kein Wort von dem was ich ihr berichtete, ich würde mir das nur ausdenken, um sie auseinander zu bringen. Andererseits habe ich wohl nicht anders verdient. Sie greift nach einer Flasche Whisky und trinkt, was sich noch darin befindet aus. Nur das harte Zeug. Natürlich. Es tut mir so weh sie so zu sehen. Ich sehne mich nach ihr, einfach wieder kuscheln, in den Arm genommen zu werden. Wie früher. Sie setzt die Flasche ab und lässt sie auf den Tisch vor sich fallen. Nach einer unerträglichen Ewigkeit beginne ich zu Wimmern. „Es tut mir leid Mama", flehe ich sie an, „es tut mir so leid."
Aber das genaue Gegenteil ist der Fall, wieder bekomme ich ihre Ablehnung zu spüren: „Du sollst verschwinden du Schlampe."
In mir zerbricht etwas. Die Kluft in meiner zerrütteten Seele bricht zusammen und ich werde in gähnende Leere geworfen, in der ich zerstört hinab falle. Ich falle immer weiter, bis ich dort unten ankomme und sterbe. Mir wird klar das es nichts mehr gibt was ich tun kann um sie wieder in die liebende Mutter von früher zu verwandeln. Ihr Hass auf mich ist einfach zu groß. Ich bin still, sage nichts, es gibt nichts mehr zu sagen um die Vergangenheit ungeschehen zu machen. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher als dies. Diesen einen Tag im November zu vergessen.
„Leb wohl Mama, ich hab dich lieb."
Ich wende mich wortlos von ihr ab und verlasse die Wohnung. Den Schlüssel zu unserer Haustür lasse ich beim rausgehen einfach fallen.
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Bitte liebe mich
Teen FictionEmma kämpft um die Liebe ihrer Mutter, doch wird diese nicht erwidert. Die Vergangenheit spaltet ihr Verhältnis zusehends, doch auch die Gegenwart hält nichts gutes bereit. Bis eines Tages Sophie in Emmas Leben tritt. Warnung: Diese Geschichte kann...