-Emma-
Ich lausche angespannt in die Dunkelheit hinein. Versuche mit meinen Ohren zu erahnen was sich außerhalb dieser Halle abspielt. Doch nichts gibt mir einen Anhaltspunkt, nichts das darauf hindeutet es wäre nur eine Frau die Selbstgespräche führt. Niemand würde mitten in der Nacht, in einem verlassenen Industriegebiet, einfach so vor sich hin quatschen. Sie ist definitiv nicht alleine, oder sie wäre absolut durchgeknallt und spricht im Wahn zu sich selbst. Da mir diese Überlegung zu abwegig ist spricht diese Frau zu jemandem, erzählt. Über sich. Was ihr wohl in der Vergangenheit widerfahren war, vermute ich. Aber warum?
„Als sie merkten das ich nicht davon zu beeindrucken war fesselten sie mich an einen Stuhl und schlugen mir Nägel in die Kniescheiben."
Wer auch immer die Fremde hinter dieser Wellblechwand ist, sie musste in der Vergangenheit schreckliches über sich ergehen lassen. Allein die Vorstellung an einen Stuhl gefesselt zu werden und zu spüren wie Nägel brutal in die Kniescheibe eindringen lässt mich erschaudern. Hilflos seinen Peinigern ausgeliefert zu sein. Meine Kehle wird enger, kann nichts dagegen tun, ich bin hilflos. Mir wird schlagartig die erste Nacht mit Tim in mein Gedächtnis gerufen, ich versuche mich dagegen zu wehren aber es will mir nicht gelingen. Ich spüre wie seine Finger über meinen Körper gleiten, wie sie sich immer weiter unter meine Kleidung ertasten. Gelähmt liege ich einfach nur da, liege in der Dunkelheit und ertrage dieses fremde Gefühl von einseitigem Verlangen nicht. Will es nicht. Zitternd ziehe ich die Jacke um meinen Körper und versuche damit dieses zurückliegende Anfassen das ich gerade spüre wegzuwischen. Doch es ist die Stimme der unbekannten Frau die mich aus meinen düsteren Gedanken reist, die dumpf aber lieblich an meine Ohren dringt. Jedoch spricht sie weiter von ihren schrecklichen Erlebnissen.
„Und dann, ja dann durfte ich mich mit einer Kreissäge unterhalten."
Diesmal klang sie zögernd und für einen Bruchteil einer Sekunde vernahm ich ein Zittern in ihrer Stimme, sie versuchte ihre Emotionen zurückzuhalten, doch war sie darüber gestolpert. Was auch immer mit dieser Frau geschehen war, an ihrer flimmernden Stimme vermutete ich jedoch, das sie die Vergangenheit noch immer gefangen hielt. „Und dann, ja dann durfte ich mich mit einer Kreissäge unterhalten", hallte dieser Satz in meinem Kopf wider, ließ mich nur zu einem Schluss kommen. Folter.
„Weißt du wie sich es anfühlt wenn ein schrillendes Sägeblatt deine Haare und Kopfhaut zerstört?"
Fuhr sie fort. Verblüfft stelle ich fest das sie ihre harte dennoch schöne Stimme wieder gefunden hat. Sie klingt wieder abgeklärt und gefasst, eine alltägliche Tonlage für eine schreckliche Begebenheit, wie mir nun einleuchtet. Diesmal versuche ich ein Bild in meinem Kopf zu unterdrücken, will mich nicht darauf einlassen. Stattdessen schließe ich meine Augen und versuche mir Sie vorzustellen, ein Gesicht das zu dieser wunderschönen Stimme passt. Nach einigen Momenten der Stille löse ich mich aus meiner zusammengekauerten Position und ziehe mich leise an dem Regal vor mir auf die Beine. Es lässt mir einfach keine Ruhe ich will sie sehen, ich will die Person hinter der Stimme sehen. In mir Kämpfen pro und kontra darum in welcher Situation ich platzen könnte wenn ich mich hinaus traute, wobei mein Verstand sich eher für pro entschied. Es ist ein unbekanntes Gefühl das ich noch nicht richtig einordnen kann, aber irgendwie vertraut in meiner Bauchgegend kribbelt. Gefühl gewinnt gegen Rationalität und ich lächle verhalten in die Dunkelheit hinein. Dann tapse ich auf Zehenspitzen durch die Halle. Sachte setze ich einen Fuß vor den anderen bis ich nach einer gefühlten Ewigkeit endlich die Tür der Halle erreiche. Ich zögere noch, greife dann doch zur Klinke und öffne die Tür. Von irgendwo dringt das Echo eines aufheulenden Motors zu mir, doch kann ich den Ursprung nicht eindeutig festlegen. Immer noch im Türrahmen stehend und der Lärm des Wagens in unterschiedlichen Lautstärken an den Lagerhallen abwehrend, rast ein schwarzes Cabriolet an mir vorbei. Die Frau am Steuer blickt in meine Richtung.
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Bitte liebe mich
Teen FictionEmma kämpft um die Liebe ihrer Mutter, doch wird diese nicht erwidert. Die Vergangenheit spaltet ihr Verhältnis zusehends, doch auch die Gegenwart hält nichts gutes bereit. Bis eines Tages Sophie in Emmas Leben tritt. Warnung: Diese Geschichte kann...