4. Kapitel

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Der Typ starrt mich an als wäre ich das letzte Stück Salamipizza. Schnell sehe ich auf meine Schuhspitzen um diesen durchdringenden Blick zu umgehen.

"Mr. Rion, es wirft kein gutes Licht auf Sie, wenn sie nach einer Woche bereits zu spät kommen.", mahnend fällt der Blick des Mannes auf die völlig verdreckten Stiefel des Neuankömmlings.

Wie durch Nebel nehme ich das Geschehen vor mir zur Kenntnis. Misstrauen steigt in mir auf. Die Tatsache, dass dieser Typ zufälligerweise beinahe zeitgleich mit mir auf diese Schule wechselt, lässt bei mir sämtliche Alarmglocken schrillen. "Nun ja, Mister White leider wurde ich aufgehalten.", provozierend langsam geht er an mir vorbei und lässt sich auf meinen Platz nieder.

"Soso aufgehalten also. Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass sie von einem Monster angegriffen wurden, denn dann muss ich Sie leider zum Schulpsychologen schicken.", Mr. White sieht den Neuen an, als würde er ihm am liebsten hochkant aus der Klasse werfen. Unbehaglich verlagere ich mein Gewicht auf das andere Bein und überlege angestrengt, wie sehr es auffallen würde, wenn ich jetzt einfach durch das nächste Fenster springen würde.

"Glauben Sie etwa nicht an das Übernatürliche, Mister?", dabei bilde ich mir ein, dass er in meine Richtung zu zwinkern scheint. Bin ich jetzt völlig verrückt geworden?

"I...ich...", und damit bin ich auch schon aus der Klasse gestürmt.

Im Nachhinein weiß ich nicht mehr wie ich die Mädchentoilette gefunden habe, so aufgewühlt bin ich. Doch wenigstens habe ich so die Möglichkeit meine wirren Gedanken zu ordnen, oder es zumindest zu versuchen. Wütend schlage ich auf das kleine Waschbecken ein und ignoriere den Schmerz, der dabei meine linke Hand hinaufschießt. Ich muss endlich aufhören mir diesem ganzen magischen Kram! Diese Entscheidung traf ich immerhin mit voller Absicht. Magie ist nicht länger Teil meines Lebens.

"Wow, was ist denn dir über die Leber gelaufen? Und ich dachte schon, ich hätte heute einen schlechten Tag.", das zweite Mal an diesem Tag hallt mein Kreischen von den Fließen des kleinen Raumes wider.

"Oh Gott, erschreck mich doch nicht so!", fauche ich Linn an, die meinem kleinen Ausbruch jedoch keine Beachtung schenkt und mich stattdessen lieber weiter so anstarrt, als wäre sie ein Forscher und ich eine vom Aussterben bedrohte Tierart.

"Tut mir leid, dass ich mich davor nicht angekündigt habe, Prinzessin.", ihre sarkastische Bemerkung bringt das Fass zum Überlaufen.

"Nenn. Mich. Nie. Wieder. Prinzessin.", im nächsten Moment passieren mehrere Dinge gleichzeitig.

Mit einem lauten Klirren verwandelt sich der Spiegel hinter mir in einen riesen Scherbenhaufen, wobei uns einzelne Splitter gefährlich nahe kommen. Linn öffnet erschrocken den Mund und weicht stolpernd einige Schritte zurück, während ihr Blick jedoch nicht auf das Chaos des herumfliegenden Glases gerichtet ist, sondern auf etwas hinter mir.

Kann dieser ganze Tag nicht einfach ganz schnell sein Ende finden?

Doch das Schicksal scheint mir heute wohl alles andere als wohlgesonnen zu sein.

"Aiden! Was machst du hier? Das ist die Mädchentoilette, falls du es noch nicht mitbekommen haben solltest und wie bist du Mr. White entwischt?", Linns Schock scheint sich schneller zu legen als mein eigener.

Mir war langweilig und da bin ich eben gegangen, sollte das etwa eine Erklärung sein?

Oh Mann, was habt ihr denn angestellt? Ich muss mein Timing wohl doch noch etwas verbessern, denn scheinbar hab ich das spannendste verpasst!

Ich bin versucht erneut aus dem Raum zu stürmen, schaffe es jedoch, meinen Posten zu halten. Stattdessen starre ich meinem Gegenüber mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Wut an.

Na toll. Linn sieht aus als würde sie jeden Augenblick umfallen wie ein Sack Kartoffeln. Verübeln kann ich es ihr aber nicht. Schließlich musste sie gerade mitansehen, wie sich mein kleiner Wutanfall in Form von Magie selbstständig gemacht hat. Auch wenn sie nicht direkt wissen wird was gerade wirklich geschehen ist, so macht ihr ihr Unterbewusstsein gerade klar, dass es höchste Zeit ist, das Weite zu suchen. Weit weg von mir. Seufz.

Cleo ist gestolpert und hat dabei den Spiegel runtergeworfen.

Überrascht sehe ich nach links.

Wieso lügt sie für mich? Sollte sie mich nicht spätestens jetzt als Freak bezeichnen und endlich das Weite suchen?

Wie dämlich muss man denn stolpern um einen so fest verankerten Spiegel von der Wand zu putzen?, Aiden scheint alles andere als überzeugt.

Äh, keine Ahnung. Ich bin eben ein echter Pechvogel., bringe ich zögernd hervor nachdem ich einen auffordernden Seitenblick von Linn kassiert habe.

Schweiß sammelt sich zwischen meinen Schulterblättern als ich Aidens misstrauischen Blick begegne. Den Göttern sei Dank, läutet just in diesem Moment die Glocke zur Pause.

Linn packt überraschend fest meinen Arm und zieht mich hinter sich her an Aiden vorbei. Ich bin wie benebelt. Erst nach und nach macht sich ein alt bekanntes Gefühl in meiner Magengegend breit.

So ungern ich es auch zugeben will, aber das Gefühl der Magie, die kurz durch meine Adern schoss bevor der Spiegel zersprang, löst eine ungeahnte Sehnsucht in mir aus. Für kurze Zeit fühlte ich mich wiederwie ich selbst.

Stop!, ermahne ich mich, bevor meine Gedanken noch schlimmere Ebenen erreichen können.

Okay, ich habe keine Ahnung, was da gerade los war und ich glaube, dass ich es auch gar nicht wissen will. Auf jeden Fall darf Aiden es auf gar keinen Fall erfahren! Er ist wie ein Piranha auf Crack, wenn es um das Verbreiten von Neuigkeiten geht. Wenn du also willst, dass niemand von dem Vorfall Wind bekommt, solltest du dafür sorgen, dass so etwas in Zukunft nicht mehr vorkommt.

Gestresst fahre ich mir durch das Haar. Panisch überlege ich, was ich sagen soll um nicht wie ein Alien zu wirken.

Es war ein Unfall und wird nicht mehr vorkommen. Ich bin einfach blöd hingefallen und dabei muss ich mich verhakt und den Spiegel mitgezogen haben.

Natürlich glaubt sie mir nicht. Dennoch erwidert sie nichts und starrt mich nur weiter nachdenklich an.

Du kommst mir einfach so bekannt vor., grübelt sie leise vor sich hin.

Vielleicht hast du mich ja schon Mal unter den Freundschaftsvorschlägen auf Facebook gesehen., versuche ich mich an einen Scherz und zucke halbherzig mit meinen Schultern.

Hm, vielleicht., ein leichtes Lächeln schleicht sich in ihr Gesicht.

Das Kind der Götter - OzeanblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt