8. Kapitel

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"Hat nur gesagt, dass ich schöne Haare hab", murmele ich als Antwort auf Linns Frage.

Ihr Misstrauen ist deutlich zu spüren.

"Du hast ja auch echt schöne Haare"

Dankbar lächele ich Aiden an, als er versucht die angespannte Situation zu entschärfen. Dennoch scheinen sich Linns Blicke in meinen Schädel zu bohren.

"Kommt, es ist gleich Mitternacht. Wir sollten uns zu den Anderen ans große Feuer gesellen", ohne auf uns zu warten marschiert der Blonde auf das besagte Lagerfeuer zu. Beinahe im Laufschritt folge ich ihm.

Zum Glück verwickelt Aiden, kaum am Ziel, Linn in ein Gespräch über die Traditionen Schottlands, sodass ich endlich in Ruhe über das eben Geschehene nachdenken kann.

Seufzend lasse ich mich auf einen der gefällten Bäume nieder, die ihre Plätze rund um das Lagerfeuer gefunden haben. Der kühle, nach Moos und gebratenem Fleisch duftende Wind scheint mir die Bilder von gerade förmlich vor mein geistiges Auge zu wehen.

Ich kann mir unmöglich eingebildet haben, was das Mädchen zu mir gesagt hatte. Und vor allem, wie sie mich genannt hatte. Prinzessin. Das war keine übliche Anrede gegenüber einer Fremden.

Was mich jedoch am Meisten verwirrte, waren diese Augen. Als wollte mich irgendjemand daran erinnern, was ich verloren hatte. Mein schlechtes Gewissen meldete sich. Hatte ich nicht vorgehabt Cyrian zu retten? Und stattdessen habe ich die letzten Wochen mit Schule und Partymachen verschwendet. Dabei hätte ich meine Nachforschungen weiter vorantreiben müssen. Ich blöde Kuh!

Plötzlich reißt mich eine tiefe Stimme aus meiner innerlichen Schimpftirade. Überrascht hebe ich den Kopf und erblicke einen alten Mann der scheinbar vollkommen in Trance vor das Feuer getreten war und in einer mir Fremden Sprache zu sprechen begonnen hatte.

"Das ist Gälisch. Glaube ich zumindest, denn alles kann ich auch nicht verstehen", angestrengt legt Linn ihre Stirn in Falten, als sie dem Gemurmel des Mannes zu folgen versucht. Ihr Misstrauen von eben war nun offenbar nebensächlich.

"Was verstehst du denn?", frage ich ehrfürchtig und beobachte, wie der Grauhaarige einige Dinge, die ich von meiner Position aus nicht erkennen kann, ins Feuer wirft.

"Irgendwas von Opfergaben und, dass die Götter sie annehmen und uns dafür ihren Schutz im nächsten Jahr garantieren sollen"

"Na, das passt ja super", diesen einen sarkastischen Kommentar kann ich mir dann doch nicht verkneifen. Linns fragenden Blick ignoriere ich einfach.

Will mich hier eigentlich irgendjemand auf den Arm nehmen? Zuerst das Mädchen, jetzt diese abstruse Opfergabe an die Götter. Was kommt als Nächstes? Ein Besuch von Zeus und Peter die sich schluchzend in die Arme fallen?

Im nächsten Moment geht ein Ruck durch den Körper des Mannes. Er erstarrt mitten in seiner Bewegung und wendet sich vom Feuer ab. Stattdessen gleitet sein starrer Blick durch die Menge bevor er an mir hängenbleibt. Nicht gut.

"Du", dieses eine Wort treibt mir den Schweiß auf die Stirn.

Augenblicklich wird mir die Aufmerksamkeit aller Anwesenden zuteil. Gar nicht gut.

"Komm her, mein Kind", auffordernd streckt mir der Alte seine Hand entgegen.

Hilfesuchend sehe ich zu Linn und Aiden, die jedoch nur mit den Schultern zucken und mich mit diesem was-kann-schon-schiefgehen-Blick bedenken. Also schön, wenn ich nicht weiterhin von allen auffordernd angestarrt werden will, muss ich wohl ran an den Speck. Seufzend erhebe ich mich und schreite dem Mann entgegen. Dabei fühle ich mich wie eine Hexe, die zum Tode durch den Scheiterhaufen verurteilt wurde. Mir bricht der kalte Schweiß aus, als ich neben dem Mann zum Stehen komme.

"Wir brauchen dich!", die Intensität des Blickes, mit dem mich der Alte bedenkt, treibt mir die Röte ins Gesicht.

"Wer?", natürlich habe ich bereits eine Vermutung, wer mit 'Sie' gemeint ist, aber das kann einfach nicht sein.

"Du darfst nicht vor deinem Schicksal davonlaufen. Das Feuer brennt stark in dir aber du darfst es nicht erlöschen lassen. Noch ist es nicht zu spät!"

Er macht einen weiteren Schritt auf mich zu und legt mir eine Hand an die Stelle, an der mein Herz schlägt. Erschrocken über die unerwartete Berührung zucke ich zusammen. Ein erstickter Laut kommt mir über die Lippen als ich an mir herabsehe. Erst jetzt bemerke ich, dass der Alte mich gar nicht berührt. Seine Hand schwebt knapp oberhalb meines Herzens. Doch was ist es dann, das ich fühle? Wärme breitet sich von meinem Brustkorb über die Arme bis hin in meinen Nacken aus.

Mit vor Schreck geweiteten Augen lasse ich meinen Blick durch die Menschenmenge zu meiner Linken wandern. Niemandem scheint seltsam vorzukommen, was hier gerade geschieht. Noch nicht einmal Aiden und Linn scheinen beunruhigt zu sein. Im Gegenteil. Ich erwische sie dabei, wie sie sich einen bedeutungsschweren Blick zuwerfen. Was hat das zu bedeuten? Doch mir fehlt die Zeit weiter darüber nachzudenken. Stattdessen reißt mich ein plötzlicher Schmerz beinahe von den Füßen. Es fühlt sich an, als würde es mir die Brust zerreißen.

Jaulend gehe ich in die Knie und schaffe es mit größter Anstrengung bei Bewusstsein zu bleiben. Spätestens jetzt muss doch jemand Verdacht schöpfen. Aber wieso kommt mir dann niemand zu Hilfe?

"Hör endlich auf, dich dagegen zu wehren. Du dummes Ding, ich versuche dir doch nur zu helfen!"

Benebelt versuche ich meinen Blick wieder zu schärfen, was mir jedoch mehr schlecht als recht gelingen will. Dennoch dringt die mir bekannte Stimme durch meinen mit Watte gefüllten Verstand.

"Alleine kommst du ja nicht auf die Idee, mich um Hilfe zu bitten. Typisch Frau! Nie bereit, den ersten Schritt zu machen! "

"Zeus?" Ich muss wohl doch in Ohnmacht gefallen sein.

Lautlos lacht der Göttervater in seinen Bart.

"Was soll das? Hast du nicht genug andere Probleme? Was machst du hier?", abwechselnd starre ich den Donnergott und die anwesenden Leute an. Denen scheint jedoch nach wie vor nichts Verdächtiges aufzufallen.

"Fragen über Fragen. Aber was soll ich sagen. Was man für die Verwandtschaft nicht alles macht. Aber Spaß beiseite, die Situation ist ernst"

Oh Mann, wenn selbst Zeus die Lage als ernst betrachtet, muss es echt übel um uns stehen.

"Die Leute sehen weiterhin den alten Mann der in Gälisch auf dich einredet, keine Sorge", dennoch starre ich weiterhin in die Menge.

"Und ich bin auch nicht wirklich hier. Ich benutze lediglich den Körper des Priesters um mit dir sprechen zu können. Wir können den Olymp nicht länger verlassen, da Peter mittlerweile alle existierenden Portale bewachen lässt", kurz scheint das Gesicht des Priesters durch, bevor Zeus wieder vor mir kniet.

Der Nebel, der bis eben noch durch meinen Kopf waberte, lichtet sich allmählich wieder. Peter kontrolliert alle Portale? Erst jetzt wird mir die Tragweite seiner Worte bewusst.

"A...Aber das heißt dann, dass Skya ebenfalls nicht mehr in der Lage ist, Portale zu nutzen!", wie von der Tarantel gestochen springe ich auf und ignoriere den aufkommenden Schwindel.

"Richtig, Sherlock! Deshalb wird es auch Zeit für dich, deine Zickereien bleiben zu lassen und dich endlich deinem Schicksal zu stellen. Dir ist wohl noch immer nicht ganz bewusst, zu was du alles fähig bist. Du bist unsere letzte Hoffnung Cleopha. Doch nur, weil du die Einzige bist, die uns retten kann, heißt das nicht, dass du alleine bist", mit diesen Worten ist Zeus verschwunden.

Und ich bleibe vollends verwirrt zurück.

Das Kind der Götter - OzeanblauWo Geschichten leben. Entdecke jetzt