Kapitel 15

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----- Isaac -----

Ich fühlte mich grandios. Mein Leben lang war ich umgeben von bettelarmen und einfältigen Menschen. Cimt eröffnete mir eine völlig Neue Seite auf das Leben und war von einem Tatendrang erfüllt, wie ich ihn in unserem Dorf nie erlebt hatte. Je mehr sie in ihrem Rucksack kramte, desto waghalsiger wurden ihre Erfindungen und desto schneller sprach sie. Unsere Reise führte uns durch kleine und große Städte, vorbei an Wiesen und durch dichte Wälder. Zwischen all den neuen Eindrücken zuckten meine Augen nur so zwischen ihren Skizzen und der Welt hinter dem kleinen Kutschenfenster hin und her. Mit Cimt verging die Zeit in der holprigen Kutsche wie im Flug und mir fiel nicht einmal auf, dass wir uns bereits auf königlichen Grund befanden. Erst als auch meine Mitreisende rief: "Guck, die Pferde!" und auf ein riesiges eingezäuntes Gelände mit unzähligen Pferden zeigte, schreckte ich hoch. Vor uns lag ein langer gepflasterter Weg, der in Richtung von meterhohen Mauern führte.

Die Aufregung packte mich plötzlich und mein Herz fing an wild zu schlagen. Mit jeder verstreichenden Sekunde kam ich dieser Welt näher, von der man vielleicht einmal als Kind aus Erzählungen gehört hatte.

Nach wenigen Minuten hielten wir also vor dem Tor zum Palast. Selbst Cimt war verstummt und krallte sich in den Samtbezug der Bänke.

"Warum halten wir denn an?", fragte ich und sah aus dem Fenster. Vor uns tummelte sich eine enorme Anzahl an Kutschen. Sie standen in 4 Reihen parallel zueinander und es schien, als hätte sich der Fluss gestaut.

Ich war begeistert von dem Getümmel. Die meisten Kutschen ähnelten dem Gefährt, in dem Cimt und angereist waren, manchmal wurden sie von anderen Pferden gezogen. Doch zwischendurch sah man immer wieder andere Farben und Formen. Manche waren noch um einiges größer, wurden aber auch von mehr Pferden gezogen, die sich aufgebracht mit anderen Tieren bissen. Andere Kutschen waren weniger pompös, kamen aber in Gruppen von 4 bis 8 Gefährten vor. Cimt und ich kamen aus dem Staunen nicht mehr heraus und zeigten jede Sekunde in eine andere Richtung. Für die Kutscher schien das Gemenge jedoch eine schwere Herausforderung darzustellen. Denn trotz knallender Peitschen ließen sich einige Pferde nicht bändigen.

"Wer kann es ihnen übel nehmen...", bemerkte Cimt mitfühlend. "Die armen Tiere."

Ich nickte nur stumm und sah weiter aus dem Fenster. Jedoch... Ich musste zugeben, dass die Situation durchaus etwas prunkvolles an sich hatte. Vergoldete Türen- und Fensterrahmen blendeten mich und ich konnte nicht umhin, zu grinsen. 'Jedes dieser Pferde ist wahrscheinlich mehr wert, als die Arbeit, die mein Vater sein ganzes Leben verrichtet hatte. Sollte ich auffliegen, nehme ich einfach eins oder zwei mit ins Dorf', dachte ich, verwarf den Einfall jedoch bei dem Gedanken an eine öffentliche Hinrichtung.

Kaum kamen wir ins Rollen und überquerten die Schwelle ertönten aus jeder Himmelsrichtung Trompeten und Fanfaren. Eine heitere Melodie spielte, als es goldene Papierschnipsel vom Himmel regnete und die Kutschen in einen Hauch königlichen Protz hüllte. Die Kutscher lenkten die Pferde in einem großen Halbkreis über den Palasthof, bis wir vor einer außerordentlich breiten Treppe hielten. An den Rändern standen Männer mit Fanfaren oder Bannern in den Händen und Zofen und Diener bildeten einen Gang nach oben. Der Reihe nach hielten die Kutschen und die Insassen stiegen aus. Mir fiel auf, dass nicht nur Frauen in meinem Alter, sondern auch ihre, wie ich vermutete, Familien sie begleiteten.

"Na wenn das nicht Margaret ist, ich trau meinen Augen kaum.", sagte Cimt matt und zeigte auf eine Frau mit einem sagenhaft riesigen Kleid, dass 3 Helfer brauchte, um aus dem Wagen gehievt zu werden.

"Du kennst sie?", fragte ich.

"Früher wohnte ihre Familie in dem gleichen Bezirk wie ich und wir hatten eine Zeitlang den gleichen Tutor. Ich rate dir, sie zu meiden, eine wahrlich schäbige Person. Pass auf, gleich sind wir dran", antwortete sie.

Unsere Kutsche rollte noch einige wenige Meter, bis auch unsere Tür von einem Wachmann geöffnet wurde. Mein Herz schlug mir bis zum Hals, doch glücklicherweise machte Cimt den ersten Schritt. Sie sprang aus der Kutsche, schüttelte dem Wachmann brüderlich die hand und bedankte sich für das Öffnen der Tür. Dieser blickte sie verdattert an, doch bevor er etwas erwidern konnte, hechtete sie die Treppe hoch.

"Cimt, dein Rucksack!", rief ich ihr hinterher, als mir auffiel, dass sie ihn vergessen hatte. Ich packte den Rucksack und war drauf und dran, ihr hinterher zu rennen. Jedoch vergaß ich, dass ich keine Hose, sondern ein teures, langes Kleid trug. Ich trat also auf den Saum und fiel, einen unmännlichen Schrei ausstoßend, dem Wachmann geradewegs in die Arme.

"Gnädiges Fräulein! Oh...?", reif er bestürzt. Erschrocken musste ich feststellen, dass seine Verwunderung meiner flachen Brust galt, auf der seine Hand lag. Ich erinnerte mich, dass ich hier den Wolf im Schafspelz spielte und stieß ihn grob von mir. Nicht nur wegen meines sagenhaften Schreis, sondern auch wegen der unangenehmen Situation für sowohl den Wachmann als auch mich, lagen nun alle Blicke auf mir. Selbst die Musiker waren verstummt.

"Verzeiht, mein Herr.", säuselte ich mit besonders hoher Stimme und suchte nach Cimt. Sie stand einige Stufen über mir und hielt sich den Bauch vor Lachen.

"Das ist alles nur deine Schuld! Hier, dein dämlicher Rucksack.", fauchte ich ihr entgegen, als es mir endlich gelang, zu ihr aufzuschließen.

"Verzeih, aber das war wirklich ein Bild für die Götter!", lachte sie. "So bist du sicherlich dem Prinzen aufgefallen!"

Grandios. Genau das Gegenteil von dem, was ich eigentlich erreichen wollte.

Wie im Gänsemarsch eilten unzählige junge Frauen und Mädchen die Treppe hoch. Es war eine regelrechte Augenweide an riesigen Perücken, Kleidern in allen Farben des Regenbogens, einige von solchem Ausmaße, dass jegliche Dienerschaft ausweichen musste, schillernden Schmuckes und gepuderten Gesichtern. Die mit Parfum geschwängerte Luft machte das Atmen schwer. Mit jeder Treppenstufe stiegen wir höher und konnten die spitzen Türme des Palasts sehen. In all meiner Aufregung fiel mir nicht auf, dass ich mich die ganze Zeit über in Cimts Bluse krallte.

Cimt und ich waren wie zwei bunte Hunde. Sie mit ihrer Hose und dem riesigen Rucksack, ich mit meinem äußerst schlichten und gleichzeitig blamablen Auftritt. Von allen Seiten spürte ich verurteilende Blicke aus geschminkten Augen und selbst die Zofen und Diener beäugten uns wie Tiere. Ich versuchte einfach nur noch, mich darauf zu konzentrieren, dass ich nicht noch einmal auf das Kleid trete. Jedoch war ich so sehr in meine Schritte vertieft, dass ich unsere Ankunft an der obersten Treppenstufe nicht bemerkte. Erst als mich Cimt am Arm zu sich zog, blickte ich erschrocken auf.

Und mir blieb die Luft weg: vor mir erstrahlte der Palast in einem hellen beige, mit zahlreichen Türmen, die untereinander durch Brücken verbunden waren, die Verkleidung der Fenster und Türen waren so golden und hell wie die Sonne selbst und wurden von haushohen Statuen bewacht. Ehe ich weiter über die Gestaltung des Hofes staunen konnte, blieb mein Blick an einem erhöhten Podest einige Meter vor der versammelten Menge hängen.

Dort stand er. Aufrecht wie eine Kerze und einem Lächeln, bei dem selbst die Brillanten der Frauen vor Neid erblassten. Prinz Rinnero.

The prince or the kingdom Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt