Teil 10

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In dem Apartment angekommen, merkte Zoe, dass es nicht viel zu regeln gab. Zwar lebte sie schon seit vier Jahren in dieser Wohnung, aber dank ihres Berufes war sie nie lange genug an einem Ort, um wirklich zu verweilen. Ihr zu Hause sollte eine Seele haben. Das hatten diese vier Wände definitiv nicht. Nichts verwies darauf, dass jemand nur eine Minute seiner Zeit an die Inneneinrichtung gedacht hatte. Die Wände waren noch immer weiß, der Boden weder gefliest, noch parkettiert, noch lag irgendein Teppich darin. Möbel waren nicht wirklich zu finden, sah man von dem Bett und der Kleiderstange ab, die die einzigen Gegenstände in der großen Leere zu sein schienen. Kurz gesagt, sah die Wohnung noch genauso kahl und trist aus, wie sie sie gekauft hatte.

Einzig Ashwini, ebenfalls Jägerin und Mitglied von Elenas Himmelsgarde und gleichzeitig noch einer ihrer engsten Freunde, hatte Zoes Kaufgrund ziemlich schnell herausgefunden. Denn die Außenwand ihres Heimes war durch Panzerglas ersetzt worden und so hatte man einen atemberaubenden Blick über die Stadt. Am Morgen konnte man den Sonnenaufgang und am Abend dessen Untergang mit ansehen ohne irgendetwas Störendes im Blickfeld zu haben. Oft stand sie abends minutenlang an der Scheibe und schaute hinaus in die Nacht, wartend auf den ersten Sonnenstrahl, der den Horizont küsste.

Umso trauriger war es, dass Zoe sich so wenig aus dem Apartment machte. Es war nämlich eines der ganzen teuren im 32sten Stock der Upper East Side. Einige hundert Menschen da draußen würden für dieses kleine Juwel sogar morden. Einzig und alleine ihre Stellung in der Gesellschaft dieses Volkes machte es ihr möglich hier zu leben, denn die Miete kostete so viel, wie es ein normal Sterblicher nie verdienen können würde.

Doch von den 100 m2 ihrer Wohnung nutzte sie aktiv gerade einmal zehn. Die Räume dienten ihr als warmen Unterschlupf und sicheres Versteck. Mehr sollten es auch nicht sein. Sie wollte hier drin nicht alt werden. Wenn es etwas für die Ewigkeit hätte werden sollen, hätte sie sich vielleicht auch ein kleines bisschen mehr Mühe gegeben, aber gerade jetzt erfreute sie sich an der Funktionalität. Ihre Eltern hätten nicht viel aufzuräumen, sollte sie nicht mehr zurückkommen. Und das wirkliche Herz der Wohnung, würde keiner finden, der nicht wusste, wonach er suchen sollte.

Mit einem ruhigen Gewissen ging Zoe Richtung Badezimmer, das genauso spartanisch eingerichtet war, wie der Rest der Wohnung. Das Nötigste zum Überleben hatte hier seinen Platz gefunden, mehr nicht. Aus der Armscheide glitt lautlos ein Messer in ihre Hand. Dann sah sie noch einmal in den Spiegel. Sie hatte schon immer schwarze Locken mit bronzefarbenen Strähnen gehabt, aber das Bronze hatte ihr immer besser gefallen als das Schwarz. Vielleicht war es aber auch einfach der Gedanke nicht ganz wie der personifizierte Tod herumzulaufen, wenn sie eine warme Haarfarbe beibehielt. Zwar war es immer schwerer gewesen, da ihre Haare immer mehr nachgedunkelt waren. Aber Färbemittel und ihre innere Stimme, die sie alle zwei Wochen auf's neue ermutigt hat, sie wieder zu färben, hatten es möglich gemacht. Nun war es an der Zeit ihrer natürliche Haarfarbe wirken zu lassen. Dunkelhaarig kannte sie so gut wie niemand, da sie schon früh mit dem Tönen und schließlich mit dem Färben angefangen hatte. Es müsste also ein leichtes sein, die Welt zu täuschen.

Im nächsten Augenblick rauschte das Wasser und dann begann der Akt der Wandlung. Dabei wurde ihr mit jedem Tropfen der goldenen Flüssigkeit, die aus ihrem Haar tropfte, bewusst, dass es die Worte „kein Zurück" nur für ihr Herz gab. Ihr Verstand würde sie ohne Zweifel vom Gegenteil überzeugen wollen. Aber ihr Herz nahm diesen Vorschlag nicht an. Das Leben verlor an Bedeutung, wenn sich das ganze Dasein nur noch um eine Person drehte. Wenn diese Person wichtiger wurde, als man selbst, dann siegte nun einmal das Herz.

Eine halbe Stunde später war Zoe fertig. Die Haare waren nun Kinn lang und wieder pechschwarz. Aus lauter Angst doch noch den Mut an ihrer Sache zu verlieren, hatte sie den Spiegel in ihrem Bad zerstört. Sie war nicht aber gläubig, aber trotzdem betete sie darum keine sieben Jahre Pech zu bekommen, denn gerade im Moment brauchte sie eigentlich genau das Gegenteil, nämlich Glück.

Und dann begann die Aufräumarbeit. Sie würden ihre Spur finden, dessen war sie sich bewusst. Schließlich hatte sie mitgeholfen, dass Sicherheitssystem ihrer Stadt zu verbessern und zu perfektionieren. Aber das hieß nicht, dass sie es ihnen einfach machen würde. Oh nein, sie sollten suchen. Je länger sie das taten, desto länger waren sie in Sicherheit. Denn Zoe wusste, dass diese Welt, in die sie heute Nacht gehen würde, in kleinster Weise gut sein würde. Sie würde in die Hölle auf Erden gehen.

Als erstes war das Badezimmer an der Reihe. Die wenigen Sachen, die dort standen, packte sie in einen Müllsack. Danach wurde alles desinfiziert. Genauso erging es der Küche und der Rest der Wohnung bis nur noch das Stahlgestell des Bettes und eine leere Kleiderstange übrig war. Einige Dinge verbrannte sie, andere spülte sie die Klospülung hinunter und dabei tat sie es so routiniert, als hätte sie es schon tausend Mal getan.

Fast wehmütig blickte sie auf die Stadt hinunter. Eine kleine Reisetasche stand parat an der Tür, ein Rotweinglas balancierte in ihrer rechten Hand. Sie liebte New York, liebte die Menschen und auch die Engel und ihre Vampire. Ihr ganzes Leben hatte sich um sie gedreht. Sie war mit ihnen aufgewachsen, hatte gelernt mit ihnen zu leben. New York hatte ihr so viel gegeben. Die meisten Leute, die zur Gilde kamen, hatten keine Familie mehr oder waren aus dieser verstoßen worden. Jäger hielten zusammen, weil sie alle wussten, was es hieß, verlassen zu werden. Zoe hatte das Glück gehabt in eine normale Familie hineingeboren zu werden. Ihre Kindheit war weder zerstört worden, noch hatte sie irgendein Trauma. Und wenn man sie jetzt sofort fragen würde, wer der glücklichste Mensch auf diesem Planten war, dann würde sie ohne zu zögern sich selbst nennen.

Es war an der Zeit, dass sie New York dafür dankte, dass sie der Stadt und den Menschen einen kleinen Teil davon zurückgab, was sie in all den Jahren für sie getan hatte. Denn so schwer das zu glauben war. Es war heutzutage ein Privileg glücklich zu sein.

 Es war heutzutage ein Privileg glücklich zu sein

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