Kapitel 2

37 20 7
                                    

Als Rose aus dem Bus ausstieg, sehnte sie sich danach, auch jetzt mit Luka zu reden. Er konnte gut zuhören und war bis jetzt die einzige Person, mit der sie überhaupt über ihre Gefühle für Thomas gesprochen hatte. Seufzend zog sie ihr Handy aus der Tasche und scrollte zu Lukas Chat.
'Brauch wen zum Reden. Um 5 an der Eiche?'  
Einen Moment zögerte Rose, dann sandte sie die Nachricht ab und schob das Handy zurück in die Tasche. Sie war in ihrer Straße angekommen, gleich würde sie ins Haus gehen und mit ihren Eltern reden müssen. Hoffentlich merkten sie ihr nicht an, dass sie geweint hatte. Ein Kreuzverhör ihrer Mutter, was denn bloß passiert sei, hätte sie im Moment einfach nicht ertragen. 
Noch einmal atmete Rose tief durch, während sie durch den Vorgarten zur Haustür lief. Dann steckte sie den Schlüssel ins Schloss und sperrte auf. Sobald sie den Hausflur betreten hatte, kickte sie eilig die Stiefel von den Füßen, schüttelte die Jacke ab und beeilte sich die Treppe rauf zu kommen, bevor ihre Mutter sie sah. 
"Bin zu Hause", rief sie, während sie ins Badezimmer schlüpfte und die Tür hinter sich abschloss. Als Rose ihrem Spiegelbild ins Gesicht sah, war sie froh, dass sie sich so beeilt hatte. Ihre Augen waren vom Weinen rot und geschwollen, die Wimperntusche verwischt. Schnell drehte Rose den Wasserhahn auf und spritzte sich ein wenig kaltes Wasser ins Gesicht. Dann trug sie neue Mascara und ein wenig Lipgloss auf und verließ das Bad, als sie auch schon ihre Mutter die Treppe hoch kommen hörte. "Na, wie war die Schule, Rose", fragte sie und lehnte sich gegen das Geländer. "Wie immer", murmelte Rose und versuchte an ihrer Mutter vorbei zu quetschen, doch diese fasste sie am Arm und hielt sie auf. "Alles in Ordnung, Rose?", sie musterte ihre Tochter aus zusammengekniffenen Augen. Ellen merkte schnell, wenn es jemandem nicht gut ging und in diesem Fall war es eindeutig. "Du hast doch geweint", stellte sie fest, während Rose versuchte sich aus ihrem Griff zu lösen. "Es ist alles okay", erwiderte sie und verdrehte genervt die Augen, "Kann ich jetzt endlich gehen?"
Seufzend ließ Ellen den Arm ihrer Tochter los, "Wenn du jemanden zum Reden brauchst Rose, ich bin unten." "Jaja", murmelte Rose und drängte sich an ihrer Mutter vorbei. Dann lief sie, ohne sich nochmal nach ihr umzuwenden, die Treppe zum Dachboden hoch und sah so auch nicht mehr den besorgten Blick, mit dem Ellen sie bedachte. 
Rose' Zimmer lag unter dem Dach, was zwar bedeutete, dass sie sich an den schrägen Wänden des öfteren den Kopf anstieß, aber auch dass sie hier oben weitestgehend ungestört blieb. Doch in Momenten wie diesen, fühlte sie sich auch hier nicht wohl. Sie wollte raus, weg von allem, von ihrer Mutter die Fragen stellte und vor allem weg von ihren Gedanken an Thomas. Schon wieder stiegen ihr die Tränen in die Augen, auch wenn sie wütend versuchte, sie zu unterdrücken. 

Eine bessere Ablenkung als das Summen ihres Handys konnte es in diesem Augenblick gar nicht geben. Sofort zog sie es aus der Tasche und las die neue Nachricht von Luka. 
'Klar, bin da.' 
Dankbar seufzend warf Rose einen Blick auf die Uhrzeit. 16:07. Eigentlich würde es vollkommen ausreichen, wenn sie in einer halben Stunde erst los ginge, aber sie konnte einfach nicht noch länger hier rumsitzen. Also stand sie auf, wickelte sich ihren Schal wieder um den Hals, und machte sich auf den Weg nach unten.
Als sie das Wohnzimmer betrat, blätterte ihre Mutter gerade in einer Zeitschrift, blickte jedoch sofort auf. Bestimmt denkt sie, ich will ihr jetzt doch von meinen Problemen erzählen, dachte Rose bitter. "Ich geh nochmal weg", erklärte sie kurz und tatsächlich konnte man einen leichten Anflug von Enttäuschung in Ellens Augen erkennen. Doch sie sagte nichts, sondern nickte nur und senkte ihren Blick wieder auf das Magazin. "Bis später", verabschiedete Rose sich und schloss die Tür. 
Ein tiefer Schmerz hatte sich in den letzten Minuten in ihr ausgebreitet und sie wollte nichts sehnlicher als raus. Sobald Rose aus der Haustür getreten war, fing sie an zu laufen. Sie lief solange, bis ihr die eiskalte Luft in der Kehle brannte und ihre Beine nicht mehr weiter wollten.
Es war Ende Februar und auch wenn man den Frühling langsam bemerkte, war es doch noch ziemlich kalt. Kalt wie mein Herz, dachte Rose und kickte wütend einen Stein vor sich her. Aber sie war nicht gefühlskalt, sonst würde sie nicht diesen Schmerz spüren, der sie, seit sie diesen Kuss gesehen hatte, nicht mehr verlassen hatte. Warum musste er sich auch ausgerechnet für diese Karla entscheiden? Warum nicht für sie? Was hatte die, was Rose nicht hatte? Natürlich war sie hübscher als Rose, aber kam es denn wirklich immer nur darauf an? Wahrscheinlich schon. Rose seufzte. Wusste Thomas überhaupt, was er ihr gerade antat? War ihm das egal? 
Jetzt war es Rose egal, dass sie wieder weinte, sie ließ es einfach zu. Manchmal musste das sein. Manchmal musste man seinen Gühlen freien Lauf lassen, auch wenn man es eigentlich nicht wollte. Am liebsten hätte sie gar nichts mehr gefühlt, einfach alles abgestellt.
Langsam ließ sich Rose zu Boden sinken. Sie wollte nicht mehr weiter gehen, nein sie konnte es auch nicht. Weit und breit war niemand zu sehen, sie saß irgendwo zwischen brach liegenden, schneebedeckten Feldern. Heiße Tränen liefen ihr übers Gesicht und tropften in den Schnee. Sie musste Thomas vergessen, das wusste Rose. Doch tief in ihrem Inneren wusste sie auch, dass sie das einfach nicht konnte, egal wie sehr sie es auch versuchte. 

BLINDWo Geschichten leben. Entdecke jetzt