Kapitel 5

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Müde blinzelnd schlug Luka die Decke weg und schwang die Beine über die Bettkante. Seufzend warf er einen Blick auf den Wecker, der auf seinem Nachtisch stand und musste feststellen, dass er bis weit nach Mittag geschlafen hatte. In letzter Zeit war das echt schlimm geworden bei ihm. Er blieb bis zum Morgengrauen wach, zockte oder machte irgendwas anderes an seinem PC. Manchmal zeichnete er sogar, was er eigentlich schon seit Jahren nicht mehr getan hatte. Oder er lag einfach nur unter seinem Fenster, hörte Musik und starrte in den Himmel.
Immer öfter war er einfach nur noch unzufrieden mit seiner Situation und konnte nicht einmal mehr schlafen, weil ihn quälende Gedanken wach hielten. Er hasste sich selbst dafür, dass er merkte wie er immer mehr Gefühle für jemanden entwickelte, den er nicht haben konnte - besser gesagt der ihn nicht haben wollte.
Immerhin stand Rose seit Jahren auf diesen Thomas, den Luka, obwohl er ihn noch nie gesehen hatte, kein bisschen ausstehen konnte.
 Wieso verdrehte ihr so ein Typ den Kopf so sehr, dass sie völlig  verblendet für alle anderen Menschen in ihrer Umgebung war?
Wieso kam sie nicht von ihm los, egal wie sehr er sich auch wie ein Arschloch benahm?
Und wieso kam er selbst nicht von Rose los, obwohl er das alles wusste?
Wieso musste Liebe auch immer so kompliziert und schmerzhaft sein? 
Bis jetzt hatte Luka sich immer über traurige Liebesschnulzen lustig gemacht und nie verstehen können, warum irgendjemand jemand anderem so lange nachheulte, bloß um am Ende trotzdem allein da zu stehen.
Doch nun führten seine Gedanken ihn selbst immer wieder zu Rose, auch wenn er sich dagegen wehrte. Ein Teil von ihm bildete sich ein, er hätte eine realistische Chance. Jetzt wo Rose vielleicht endlich eingesehen hatte, dass dieser Thomas ein egoistisches Arschloch war.
Der andere, größere Teil redete ihm ein, dass er sich keine Hoffnungen zu machen brauchte. Wenn Rose all die Jahre in denen sie sich kannten nichts an ihm gefunden hatte, warum sollte sie es jetzt auf einmal tun.
Er hatte sie schon immer irgendwie besonders gefunden. Und er musste sich eingestehen, er hatte schon öfter das Interesse eines anderen Mädchen an ihm ausgeschlagen, da es da immer noch diesen kleinen Funken Hoffnung in ihm gab, dass Rose ihre Meinung ändern und sich doch noch in ihn verlieben könnte. 
Vielleicht hatte er ja jetzt eine Chance? Jetzt wo ihre perfekte Illusion von Thomas endlich Risse bekommen hatte. Jetzt da sie sein wahres Ich erkannt hatte.
Luka war von Anfang an klar gewesen, dass er nichts für Rose war. Sie war zu sensibel, zu zerbrechlich. Er hätte sie nur noch mehr verletzt als er es ohnehin schon getan hatte.

Vielleicht sollte er einfach mal mit Rose reden.
Vielleicht war seine Situation ja gar nicht so aussichtslos, wie er dachte. 

Immer noch müde stand er auf. Sein Magen rebellierte schon vor Hunger, da es schon ziemlich lang her war, dass er zum letzten Mal etwas gegessen hatte. 
Während er langsam die Treppen runter und in die Küche tapste, fragte er sich, was wohl wäre, wenn er ihr seine Gefühle einfach offen legen würde.
Vielleicht würde sie ihm dann sagen, dass sie das selbe für ihn  empfand und alles würde noch besser werden, als er es sich je zu träumen gewagt hatte.
Oder sie würde vielleicht nach einiger Zeit anfangen Gefühle zu entwickeln, wenn sie es jetzt schon nicht tat. Vielleicht würde sie ja irgendwann über Thomas hinweg kommen und dann das bemerken, was ihr all die Zeit einfach nur nicht aufgefallen war. Das was so nahe lag.
Oder vielleicht würde er ihr damit auch einfach nur noch eine zusätzliche Bürde auferlegen und ihr das Leben noch schwerer machen und das wollte er auf keinen Fall.

Andererseits könnte er auch einfach mal ganz egoistisch sein und nur an seine Gefühle denken. Was hatte er schon zu verlieren? Entweder sie kämen zusammen, oder alles blieb wie zuvor. 

Aber würde es das? Hätte ihre Freundschaft dann überhaupt noch eine Chance?

"Luka!" Eine Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Leicht verwirrt drehte er sich um und sah seinen älteren Bruder im Türrahmen lehnen.
"Was is?", murmelte er und wandte sich wieder dem Kühlschrank zu.
"Ich rede mit dir."
"Ja das merk ich. Also was gibts, Finn?"
"Nein anscheinend merkst dus nicht. Oder erinnerst du dich noch dran, was ich gerade gesagt  habe?"
Luka seufzte blinzelnd. Hatte er wirklich überhaupt nicht mitbekommen, dass Finn etwas zu ihm gesagt hatte?  Er brauchte wirklich mehr Schlaf...
"Okay, ich gebs ja zu, ich hab keine Ahnung mehr, was du gerade gesagt hast."
Luka wusste genau, dass sein Bruder genervt die Augen verdrehte, obwohl er nicht einmal hinsah. 
"Ich hab dich gefragt, ob du dich Samstag Abend mal verpissen kannst."
Jetzt drehte sich Luka allerdings doch um und zog fragend eine Augenbraue hoch. 
"Wieso sollte ich das tun Bruderherz? Du weißt doch wie ungern ich eigentlich das Haus verlasse..." 
Finn seufzte, "Ähm... du weißt doch, unsere Eltern sind am Samstag nicht da."
"Jaa und? Genau deshalb will ich doch erst recht zuhause bleiben, kiffen, den Kühlschrank leer fressen, so laut Musik hören, wie ich will..." 
Luka konnte sich schon denken worauf sein Bruder hinaus wollte und eigentlich machte es ihm auch nicht sonderlich viel aus, Samstag Abend mal das Feld zu räumen, aber er wollte Finn noch ein wenig zappeln lassen. Das gelang ihm auch ziemlich gut, da man förmlich zusehen konnte, wie der Gesichtsausdruck seines Bruders immer gequälter wurde. 
"Also gut... am Samstag kommt eine Freundin von mir und wir hätten ganz gern... ähm... unsere Ruhe... ja..." 
Luka grinste wissend und nickte dann schließlich theatralisch bedrückt.
"Aha du willst mich also los haben, Bruderherz."
"Komm schon Luka, du kriegst auch was von meinem Gras ab", startete Finn einen letzten Versuch und sah ihn flehend an.
"Naa schön, dann verzieh ich mich eben am Samstag. Viel Spaß mit deiner Freundin."
Und mit diesen Worten schnappte Luka sich einen Apfel und quetschte sich an Finn vorbei aus der Küche.

Irgendwas musste er jetzt wohl mit seinem Samstag anfangen. Er könnte Rose fragen, ob sie Lust hätte, etwas mit ihm zu machen. 
Vielleicht würde er sich ja dann endlich mal ein Herz nehmen und ihr sagen, was sich in den letzten Monaten mehr und mehr in ihm angestaut hatte. 
Manchmal musste man seinem Glück eben ein bisschen nachhelfen.

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