Kapitel 3

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Er sah sie schon von Weitem. Ihre zierliche Gestalt, auf der Bank sitzend, unter der alten Eiche, deren schwere, alte Äste sich noch kahl in den grauen Winterhimmel reckten. Luka fand es immer wieder faszinierend, wie Pflanzen innerhalb eines Jahres ihr Erscheinungsbild so gänzlich ändern konnten, während sich bei den Menschen im Laufe der Zeit höchstens die Anzeichen des Alters breit machten.
Langsam kam er der Bank näher, doch Rose schien ihn immer noch nicht bemerkt zu haben. Sie saß zusammengesunken da, den Blick auf den Boden gerichtet. Es schien ihr wirklich schlecht zu gehen. Luka seufzte, er konnte sich schon denken, mit wem das zu tun hatte. Seit sie ihm vor etwas mehr als einem halben Jahr von diesem Thomas erzählt hatte, hatte sie immer öfter von ihm geschwärmt. Und jetzt hatte es wohl die große Enttäuschung gegeben.
Luka war nun nur noch wenige Meter von Rose entfernt und endlich blickte sie auf. "Hallo", sagte sie leise und setzte ein schwaches Lächeln auf. "Hey." Er blieb vor ihr stehen und musterte sie. "Danke, dass du gekommen bist." "Kein Problem. Du weißt, dass du mir jederzeit schreiben kannst, wenn du Hilfe brauchst." Rose Lächeln wurde etwas breiter, "Danke Luka. Du bist ein echter Freund." Er wusste, sie meinte das ernst und ein warmes Gefühl breitete sich in ihm aus.
"Also erzähl, was ist passiert?"
Rose schwieg einen Moment und senkte den Blick auf ihre im Schoß verschränkten Finger. Luka konnte sehen, wie angespannt sie war, die Knöchel traten weiß hervor. "Kannst du es dir nicht eigentlich eh schon denken?", fragte Rose mit einem bitteren Unterton in der Stimme. Luka seufzte, "Es ist wegen diesem Thomas, hab ich recht?" Sie nickte und schlang die Arme fröstelnd um den Körper. Ihre langen dunkelbraunen Haare, umspielten sanft, vom Wind bewegt, ihre Schultern und Luka fragte sich plötzlich, wie es wohl wäre sie zu berühren. Rose sah zu ihm auf, "Tut mir leid, dass ich dich damit nerve." Eine Welle von Mitleid erfasste ihn, als er da so auf sie herunter blickte. Ihr ganzer Körper strahlte Trauer und Schmerz aus. Sogar ihre sonst so strahlend grünen Augen wirkten blass und ausgeblichen. Am liebsten hätte Luka sie in diesem Moment in den Arm genommen und ihr gesagt, dass alles wieder gut werden würde und sie schon irgendwann den Richtigen finden würde. Stattdessen ließ er sich neben sie auf die Bank fallen, zog eine Schachtel Zigaretten aus der Tasche und bot sie ihr an. Schniefend zog sie eine aus der Packung und ließ sie sich von Luka anzünden. "Ich dachte du hättest die vielleicht nötig", meinte er und nahm sich selbst eine. Eigentlich rauchte er nicht oft, aber in Momenten wie diesen, beruhigte es einfach und vielleicht würde es Rose so leichter fallen, ihm alles zu erzählen.

Ihre Lippe bebte, als sie einen Zug nahm und sie biss sich darauf, um es zu stoppen. Langsam ließ sie den Rauch wieder aus ihren Lungen strömen, zog dann die Knie an den Körper und schlang die Arme darum. "Alles hat damit angefangen, dass Samy nach der Schule noch in dieses blöde Cafe gehen wollte. Du weißt schon, das gegenüber der Schule, wo die halbe Oberstufe nach dem Unterricht hingeht. Eigentlich hatte ich gar kein Lust dazu, aber dann hab ich mich doch überreden lassen." "Und dann war Thomas auch dort?" Rose nickte und zog erneut an ihrer Zigarette. Kurz schloss sie die Augen und blies den Rauch wieder aus. "Ja, mit diesem Mädchen. Karla." "Aber das heißt doch noch gar nichts", antwortete Lukas und versuchte möglichst optimistisch zu wirken. Rose schnaubte, bevor sie mit Grabesstimme erwiderte, "Sie haben sich geküsst." Luka schluckte. "Oh, das ist dann natürlich was anderes." "Mhm."
Schweigen breitet sich aus, während Rose grimmig in die Ferne schaute und Luka nicht wusste, was er sagen sollte. Irgendwie war er erleichtert, dass sie endlich eingesehen hatte, dass dieser Thomas nichts für sie war. Aber das konnte er ihr natürlich nicht sagen. Rose war so überzeugt davon gewesen, dass er der Richtige war.
Schließlich warf Luka seinen Zigarettenstummel in den Schnee und sah zu Rose. "Irgendwann wirst du schon jemanden finden, der zu dir passt und das Gleiche für dich fühlt wie du für ihn." Resigniert legte Rose ihre Stirn auf die Knie, "Ich war mir so sicher, dass er das tut", murmelte sie leise. Luka seufzte, "Vielleicht hast du dich da einfach in was verrannt." Sie nickte und schwieg wieder. "Jedenfalls weißt du jetzt, dass du dir keine unnötigen Hoffnungen mehr zu machen brauchst. Rose erwiderte nichts und er sah ihr an, dass sie mit den Tränen zu kämpfen hatte. Anscheinend ging ihr dass alles noch näher, als er zuerst geglaubt hatte. Schon wieder hätte er sie am liebsten in den Arm genommen. Doch er hielt sich zurück, sonst missverstand sie am Ende nur irgendwas und das würde dann ihre Freundschaft ruinieren. Er wusste ja, dass sie Thomas liebte und er wollte sich keine unnötigen Hoffnungen machen, auch wenn sie für ihn schon immer irgendwie mehr gewesen war, als nur eine Freundin.

Seine Gedanken wurden abrupt vom Klingeln eines Handys unterbrochen, das durch die Stille schnitt wie ein Messer. "War das deins?", fragte er und Rose nickte, während sie lustlos in ihrer Jackentasche nach dem Handy griff. Doch als sie auf das Display sah, änderte sich ihr Blick schlagartig. Ihre Augen weiteten sich und sie kniff die Lippen zusammen. "Thomas hat mir geschrieben", erklärte sie leise und schluckte. Luka schüttelte verwirrt den Kopf, "Er schreibt dir noch? Obwohl er jetzt eine andere hat und dir das Herz gebrochen hat?" Rose kniff die Augen zusammen, als würde sie eine schmerzliche Erinnerung aus ihrem Kopf vertreiben wollen. "Das weiß er natürlich nicht." "Was?" "Na, das er mir das Herz gebrochen hat", erwiderte Rose und strich sich mit der Hand das Haar aus dem Gesicht. Luka war noch nie aufgefallen, wie schlank ihre Finger eigentlich waren und wie schmal ihr Handgelenk. "Du hast ihm nie gesagt, dass du ihn magst?", fragte Luka ungläubig. Rose schüttelte den Kopf und biss sich auf die Lippe, "Nein, ich hatte viel zu viel Angst, er könnte mir sagen, dass er nicht das selbe für mich empfindet."
Einerseits konnte er sie ja verstehen. Sie hatte einen Schutzwall um sich errichtet um nicht verletzt zu werden. Aber war es wirklich besser, jahrelang aussichtslosen Hoffnungen nachzuhängen, als einmal seinen Mut zusammen zu nehmen, um dann wenigstens zu wissen, woran man war?
"Na ja, im Endeffekt hat sich das ja jetzt auch als wahr herausgestellt", fuhr Rose achselzuckend fort. Sie lächelte traurig, "Wär ja auch zu schön gewesen. Wenigstens hab ich daraus gelernt, dass ich mir so schnell bei keinem Jungen mehr Hoffnungen mache."
Luka nickte zustimmend und ließ den Blick in die Ferne schweifen.

Und gleichzeitig hasste er sich innerlich dafür, dass er sich jetzt selbst wieder Hoffnungen machte.

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