eins
____________________________„Seven hours, are you sure?" Die Dame hinter dem Schalter sieht mich nur verständnislos an. „Seven, sieben, sept, eptá?" Ungeschickt versuche ich, mit meinen sieben hochgestreckten Fingern, der Frau irgendwie bewusst zu machen, was ich von ihr will. Leider scheint kein Mensch an diesem ganzen Bahnhof, etwas Anderes, als serbisch zu sprechen und so sieht sie mich nur weiterhin unbeschwert lächelnd an. „Na gut, vergessen Sie's." Murmle ich, hebe meinen Rucksack vom Boden vor mir auf und hieve ihn auf meine Schulter. Auch wenn ich weder serbisch spreche, noch irgendetwas lesen kann, bin ich mir ziemlich sicher, dass auf der großen Anzeigetafel der Zug von Bahnsteig sieben nach Budapest mit einer sieben stündigen Verspätung angezeigt wird.
„Großartig." Nuschle ich, mehr zu mir selbst, als zu irgendjemand anders – als würde mich irgendjemand verstehen. Mit verdrossener Miene mache ich mich mit meinem Rucksack auf dem Rücken und meiner Jacke um den Arm auf den Weg zu Bahnsteig 7. Die Fotos in meinen Händen stopfe ich schnell in meine Hosentasche. Jetzt bleibt mir wohl nichts Anderes übrig, als die sieben Stunden zu warten.
Bahnsteig sieben wird von einer hell leuchtende sieben kennzeichnet, die so aussieht als würde sie mich gleichzeitig an die sieben stündige Verspätung erinnern wollen. Doch das ist nicht das einzige Problem. Als ich nämlich am Bahnsteig ankomme, sehe ich, dass ich nicht die einzige bin, die auf den Zug wartet. Keine einzige Bank ist mehr frei, überall sitzen Menschen mit Rucksäcken so wie ich, aber auch hübsch gekleidete Frauen in Kleidern oder Männer mit Anzug und Aktentasche. Jeder wartet auf den Zug nach Budapest. Nur leider wird der nicht kommen. Zumindest nicht in den nächsten sieben Stunden. Jedenfalls soweit ich das beurteilen kann.
Seufzend lasse ich meinen Rucksack an einer Mauer zu Boden und breite meine Jacke daneben am Boden aus. Als ich mich hinsetze ertönt eine männliche Stimme aus den Lautsprechern am Bahnsteig. Natürlich auf Serbisch. Auch wenn ich keinen blassen Schimmer habe, was der Mann durchsagt, sehe ich wie einige der Leute am Bahnsteig sich verzweifelt durch die Haare fahren oder ihr Handy zücken. Tja, vermutlich hat er ihnen gerade die frohe Botschaft verkündet. Nämlich, dass sie die nächsten sieben Stunden hier warten dürfen. Genau wie ich.
„Ach, halt doch die Klappe." Murmle ich, als die Stimme erneut aus den Lautsprechern dringt. Ich lehne meinen Kopf zurück an die kalte Steinmauer und schließe die Augen. Vielleicht kann ich wenigstens etwas schlafen. Ich bin nicht besonders gut darin, in Zügen oder anderen öffentlichen Verkehrsmitteln zu schlafen, darum wäre es vielleicht nicht schlecht, die sieben Stunden dafür zu nutzen. Denn meine Reise ist in Budapest noch lange nicht zu Ende.
Doch von Ruhe kann nicht die Rede sein. Denn kaum fünf Minuten später werde ich äußerst unsanft dazu gezwungen, meine Augen wieder zu öffnen.
Vor meinen Füßen liegt ein blonder Junge. Sein Gitarrenkoffer ist bei seinem Sturz auf seinem Rücken gelandet, seine Arme, die über seinem Kopf ausgestreckt sind, halten einen kleinen braunen Koffer. Zuerst bewegt er sich nicht und ich hoffe schon, dass er sich nicht verletzt hat. Aber dann kommt ein Stöhnen aus seiner Richtung und ich atme erleichtert auf. Er lebt.
Im nächsten Moment dreht er sich in meine Richtung und sieht mich an. Als er mich sieht, reißt er seine Augen erstaunt auf und schnappt nach Luft.
„Es tut mir so leid. Ich hab' dich total übersehen. Entschuldige vielmals." Stottert er und rappelt sich auf die Knie.
Ach du liebe Zeit. Er spricht meine Sprache. Das heißt, er versteht mich auch.
„Nichts passiert." Versichere ich ihm schnell, immer noch überrascht, dass hier wirklich jemand etwas Anderes als serbisch quasselt.
„Oh, du verstehst mich?" Fragt er auch überrascht und sieht auf. Er war gerade dabei seinen Gitarrenkoffer auf irgendwelche Schäden zu inspizieren, aber scheint ihn für unversehrt zu halten, da er ihn sich nun wieder auf den Rücken schwingt. Danach hebt er seinen grünen Koffer vom Boden auf und inspiziert auch ihn sorgfältig.
„Ja, und du mich anscheinend auch. Hast du dir wehgetan?"
„Nein, keine Sorge. Alles in Ordnung." Er steht auf und putzt seinen Koffer ab. „Weißt du wann der Zug nach Budapest kommt? Ich kann leider kein Wort auf diesen Anzeigetafeln lesen und anscheinend versteht mich auch kein Mensch hier." Er kratzt sich verlegen lächelnd am Hinterkopf und sieht mich abwartend an.
„Tja, ich muss dich leider enttäuschen, aber der Zug hat eine sieben stündige Verspätung. Zumindest glaube ich, dass das auf den Schildern steht." Antworte ich ihm halb-scherzend, halb-gequält klingend.
„Sieben Stunden?" Der Junge sieht mich ungläubig an. „Oh verdammt."
„Ja, ziemlicher Mist, ich weiß."
„Das kannst du wohl laut sagen." Erstaunt und ungläubig dreinblickend lässt sich der Junge neben mir an der Wand hinunterrutschen, bis er neben mir sitzt. Halb auf meiner Jacke, halb auf dem kalten Steinfußboden.
Alles klar, ich bin zwar nicht gerade zimperlich was solche Dinge angeht, aber etwas Privatraum wird doch wohl nicht zu viel verlangt sein, oder? Vor allem von Menschen, die man gerade mal zwei Minuten kennt. Aber den Jungen scheint nicht zu stören, dass er beinahe Schulter an Schulter mit mir sitzt. Er starrt bloß weiter ungläubig auf das Bahngleiß und man kann ihm seine Verzweiflung geradezu an den Augen ablesen. Tja, dadurch wird der Zug auch kaum schneller kommen.
„Und was machen wir solange?" Fragt er dann plötzlich.
Wir? Ich konnte mich nicht daran erinnern, ihn eingeladen zu haben, mit mir zu warten.
„Ich bin übrigens Theo. Theo Reagan. Zur Zeit noch Einzelhandelskaufmann bei Target, aber ganz bald schon veröffentlichter Autor." Er streckt mir seine Hand entgegen und ich schüttle sie, etwas verwundert, über seine komische Begrüßung.
„Äh. Ich bin Maisie. Maisie Jones." Kurz überlege ich, dann füge ich hinzu. „Zur Zeit noch Schülerin, aber ganz bald schon Absolventin und Weltenbummlerin."
„Nett dich kennenzulernen, Maisie." Theo lächelt mich aufrichtig an, bevor er in seine Jackentasche greift und einen kleinen, roten Karton hervorholt. „Was hältst du von einer Partie UNO?"
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A/N: Da ich Stranger (hoffentlich) diese Woche (oder spätestens nächste) abschließen werden kann, hier erstmal das erste Kapitel von 'Platform 7'. xx Liza
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