Mitten in der Nacht klingelt mein Telefon. Es ist Lucy. Ich gehe dran aber lasse die Augen vor Müdigkeit zu.
Schluchzen von der anderen Seite.
„Lucy, was ist passiert?"
„Ich ... ich habe ... ich habe es... ", stammelt sie.
„Lucy soll ich vorbeikommen?"
Keine Antwort. Ob sie überhaupt will, dass ich vorbeikomme?
„Hayden sie ... Theo ...wieder."
Höre ich aus dem Schluchzen heraus.
„Lucy ich komme vorbei, ich ziehe mich jetzt an. Soll ich dranbleiben?"
„Ne ... ich ... warte auf dich."
„Ok, bis gleich."
Ich lege hastig auf und mache mich bereit.
Als sich die Tür öffnet, zeigt sich mir eine zierliche Person, dünn, zu dünn. Ihre Haare schimmern orange im Licht des Flurs. Sie sieht ok aus dafür, wie sie noch vor zehn Minuten mit mir gesprochen hat. Ihre geröteten Augen und die Augenringe lassen noch ein wenig darauf schließen.
Ich blicke sie mitleidig an und sage zu ihr: „Na komm mal her!", und nehme sie fest in den Arm. Länger als üblich, als hätte ich das Gefühl mit dieser Umarmung den Kummer in ihr verfliegen lassen zu können. Ob ich das jemals schaffen werden? Zu dem Zeitpunkt glaub ich es noch.
Ich schließe die Eingangstür und wir laufen gemeinsam zum Bad. Ich erschrecke mich bei dem Anblick. Mein Blick wandert zügig zur Rasierklinge dann zu Lucys Oberschenkel und Unterarmen. Sie hat alles mit Klamotten verdeckt, aber ich kann mir vorstellen, dass sie an den Wunden kleben.
„Was hast du gemacht?", schießt es mir hervor.
„Es ist aber nicht so schlimm."
Blut klebt an ihren Händen und in ihrem Gesicht. Es muss gespritzt haben. Mir schauderts.
„Warum Lucy, warum?" Frage ich, denn ich will es wirklich verstehen, vielleicht um mehr Empathie zeigen zu können, etwas entgegenwirken zu können.
„Weißt du, ich will nicht drüber reden."
Autsch, das tat weh. Warum ruft sie mich dann mitten in der Nacht an? Warum ruft sie nach mir, wenn sie mich nicht braucht.
Nachdem ich eine Weile bei Lucy geblieben bin, geht es ihr ein wenig besser. Zumindest schließe ich das aus ihrem Verhalten. Sie hat sich selbst ihre Wunden verbunden und steht am Fenster mit einer Zigarette. Ihre Haare schimmern in dem Licht. Die Färbung ging diesmal wohl etwas zu stark in die Orangerichtung. Normalerweise nahm sie immer braunrot. Ihre blauen Augen stechen als Kontrast gegen das Orange.
Ich setze mich aufs Sofa, da ich nicht weiß, was ich sonst tun soll. Raucherin bin ich nicht.
Ich rieche und merke, dass es sich wohl um einen Joint handelt. Ich runzle die Stirn und entsinne mich, dass es nicht lang her ist, dass Lucy auf Entzug in der Klinik war.
„Willst du einen Zug?", fragt sie und blickt mich mit ihren klaren blauen Augen an, etwas glasig sehen sie aus. Aber verdammt hübsch.
Ich überlege. Soll ich einen nehmen? Vielleicht aus Solidarität. Lucy merkt, dass ich am Zögern bin, sie weiß auch warum.
„Mit Freunden ist das ok", meint sie.
„Ok", antworte ich, weil ich ihr eine Freundin sein will. Wobei? Bin ich eine Freundin, wenn ich mitrauche oder eher eine, wenn ich nicht mitrauche. Sollte ich ihr als gute Freundin das nicht verbieten. Sind wir gute Freunde?
Ich nehme einen Zug.
„Ey habe ich dir übrigens erzählt, dass ich bei Theo war?"
Ich schaue sie komisch an. Weil sie mir vor einer Woche genau gegenteiliges erzählt hatte.
„Ich dachte mit Theo ist Schluss, weil er sich mehrfach an dir vergriffen hat.
„Nö."
Darauf weiß ich nichts zu antworten, weil sie letztes Mal etwas anderes gesagt hat.
„Wir haben auch miteinander geschlafen."
Mir fallen die Augen aus dem Kopf.
Wie kann sie jetzt wieder so sein?
Am nächsten Morgen gehe ich. Lucy hatte keinen weiteren Mucks von sich verlauten lassen zu dem Anruf oder dem, was davor vorgefallen ist. Wir hatten am Abend noch sehr viel getrunken und in der Situation habe ich sie nochmal gefragt, aber es war nichts auf ihr rauszubekommen. Unwissend, wie ich gekommen war, bin ich also wieder gegangen. Aber wir sind wieder verabredet, am Wochenende. Wenn ich für sie da bin, wird es ihr sicherlich besser gehen, sie braucht mich jetzt einfach.
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Herzen aus Glas
RomanceIn den Tiefen des Herzens liegt die Liebe, ein Gefühl, das uns erfüllt und manchmal den Verstand raubt. Doch kann dieses Gefühl auch dunkle Seiten offenbaren? Stell dir vor, du begegnest jemandem, der dein Herz einnimmt. Dich auf Wolke 7 schweben lä...