Zu den Sternen fliegen

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Bildquelle: pinterest

-Hallo Leseratten!
Es geht weiter. Die letzten Tage hatten wir Besuch aus Riga bei uns, deshalb kam ich zu nicht viel, aber nun bin ich wieder da!;) Viel Spaß beim Lesen!

Euer readerbunny01-

„Liest du mir jetzt was vor?“ Lukas machte so große Augen, dass ich fast nicht widerstehen konnte.
„Tut mir leid, mein Schatz, ich muss noch einkaufen. Aber Papi kommt gleich nach Hause.“ Ich strich dem kleinen Kerl durch das lockige Haar. „Anna?“, rief ich laut in den Flur, bekam jedoch keine Antwort. Aber das war ich gewöhnt. Sie wusste genau, was nun kam. „Kannst du ein Auge auf Lukas werfen, bis Papa kommt?“
Ich spitzte meine Ohren und hörte sie leise seufzen. Also hatte sie mich verstanden. Das war das Problem, wenn man in einem Haus voll Vampire lebte. Cole hatte da wirklich den Schwarzen Peter gezogen.
„Tut mir wirklich leid, Luk. Aber Mama muss auch was essen.“ Ein letztes Mal strich ich Lukas über den Kopf, bevor ich mir meine Autoschlüssel schnappte und das Haus verließ.

„Ich kann deine Geschichte riechen. Du kennst mich und ich kenne dich. Ist es nicht so?“
Peter und ich saßen in der Cafeteria. Heute war er in guter Verfassung, auch wenn er zwischendurch von Dingen sprach, die ich nicht verstand. Ich nickte. Die Bedienung hatte uns schon mehrmals etwas zu essen oder zu trinken angeboten. Peter hatte oft gewirkt, als wolle er etwas bestellen, aber ich hatte sie schnell wieder abgewimmelt.
„Aber ich weiß nicht woher. Ich kenne deine Bilder nicht“, fuhr er mit rauer Stimme fort. „Blauer Himmel und Sonnenschein. Es regnet, ist es nicht so?“
Ein Blick nach draußen sagte mir, dass zwar ein paar Wölkchen am Himmel standen, das Wetter aber trotzdem gut war. Ich war mir nicht sicher, ob ich etwas falsch verstanden hatte, also erwiderte ich nichts.
„Nein, seien Sie ruhig ehrlich. Es regnet und es stürmt nur in meinem Kopf, ist es nicht so? Ist es nicht so?“ Gegen Ende wurde er immer lauter. Er verlangte eine Antwort.
„Ich denke, dass bei keinem das Wetter perfekt ist, nie. Es gibt immer Schattenseiten.“
„Ja, Schattenseiten. Viele Schattenseiten. Dunkle Schatten. Aber du hast Sonne. Ich hab's gesehen. Bei dir ist viel Sonne, viel Licht. Ist es nicht so?“
Ich zuckte mit den Schultern. „Kann sein. In meinem Leben gibt es viele schöne Dinge. Ich habe Familie. Und mein Bruder ist gestern wieder nach Hause gekommen.“
„Ja, Familie. Ich hatte nie Familie. Meine Familie war keine. Ich hatte nur Richard seit zweihundertfünfzig Jahren oder mehr, ich hab's vergessen. So schnell vergessen. Nur Vergessen in meinem Kopf. Schatten, Löcher.“
Mich überlief ein Schaudern, dass er über zweihundert Jahre lang gequält worden war, bis wir ihn gerettet hatten.
„Aber ich hab auch kleine Wolken gesehen, bei Ihnen. Sie müssen die Wolken wegpusten. Ein Mal kräftig blasen, damit sie nicht wieder zu Ihnen zurückkehren. Ist es nicht so? Doch so ist es. Sie müssen die Wolken vertreiben, bevor es zu spät ist. Bevor das Licht erlischt, müssen Sie es genießen wie die Spätsommersonne vor dem Winter. Ja, ja, das müssen Sie.“
„Sie auch, Peter.“ Jedes Mal, wenn ich seinen Namen nannte, zuckte er zusammen. Dennoch war ich der festen Überzeugung, dass es ihm gut tat, um wieder zu sich selbst zu finden. Mein Blick glitt aus dem Fenster, als sich das Licht verdunkelte. Eine Wolke hatte sich vor die Sonne geschoben. Peter antwortete nicht mehr. Sein Bewusstsein hatte sich verabschiedet und er starrte nur noch nach draußen, ohne zu reagieren. Seufzend nahm ich meine Tasche und stand auf. Mit einem Lächeln verabschiedete ich mich von seiner Pflegerin, die ihn wieder zurück auf sein Zimmer bringen würde.

Nachdem ich noch ein paar Lebensmittel eingekauft hatte, fuhr ich nach Hause. Coles Wagen stand bereits vor dem Haus. Als ich die Tür öffnete und in den Flur trat, war alles ruhig. Ich brachte die Einkäufe in die Küche und räumte alles weg. Cole saß im Wohnzimmer und las.
„Wo sind die Kinder?“, fragte ich leise. „Die werden ja noch nicht schlafen, oder?“
„In Annas Zimmer“, antwortete er ebenso leise.
Während ich ihrer Zimmertür immer näher kam, wurde auch ihre Stimme langsam lauter.
„Das sagte der König: Wenn du das Wildschwein für mich fängst, sollst du die Hälfte meines Königreiches bekommen. Alle hielten die Luft an und warteten gespannt, was nun passieren würde. Doch das Schneiderlein sprach mit fester Stimme: Das werde ich. Und so machte er sich auf den Weg...“
Leise öffnete ich die Tür. Anna und Lukas lagen beide im Bett, sein Kopf auf ihrem Bauch und er hatte die Augen geschlossen, während Anna aus unserem Märchenbuch vorlas. Lächelnd schloss ich die Tür wieder so leise, dass keiner von beiden etwas merkte.
„Sie sind ja schon irgendwie süß“, meinte ich, als ich zu Cole zurück ins Wohnzimmer kam.
„Hm?“ Cole sah auf, aber da nahm ich ihm bereits das Buch aus den Händen und legte es auf den Tisch. Anschließend setzte ich mich rittlings auf seinen Schoß. Cole sah lächelnd zu mir auf und legte seine Hände auf meine Hüften.
„Sie sind ja auch deine Kinder“, bemerkte er.
„Und deine“, ergänzte ich, bevor ich ihn küsste. Ich hatte beschlossen, meine Zeit mit ihm zu nutzen, mir ein Beispiel an Jace' Worten zu nehmen.
Seine Hände wanderten immer höher. Ich erinnerte mich an das erste Mal, als wäre es erst gestern gewesen, genauso wie an den Kampf zuvor. Doch als ich sein Blut nicht mehr über alles gewollt hatte, hatte auf einmal auch das Gestaltenwandlergen Ruhe gegeben. Als hätte das eine das andere jedes Mal ausgelöst.
Es war eine magische Nacht gewesen. Die Sterne hatten klar am Himmel gestanden. Cole hatte mich ins Bett getragen und dann war alles wie von selbst gegangen. Es hatte kein Uns gegeben. Unsere Seelen waren befreit gewesen, vollkommen losgelöst. Es hatte einzig und allein die Liebe zwischen uns existiert, die so vieles umfasste. Und das wäre mit Jace niemals möglich. Niemals könnte ich mich in seiner Gegenwart von Sorgen und Dunkelheit befreien, um mich von der Welt zu lösen. Niemals könnte ich mit ihm bis in die Sterne fliegen. Doch mit Cole hatte ich es gekonnt und mit ihm hatte ich es getan. Wieder und wieder. Und ich würde es wieder tun. Nicht heute, denn Anna und Lukas waren da. Aber wir würden erneut fliegen, höher und weiter als jemals zuvor.

Tränen von ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt