Brief

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Liebe Mama, lieber Papa,
Ihr braucht keine Angst haben und euch keine Sorgen machen. Ich bin bei Finn und der hat schließlich Erfahrung. Ihr fragt euch sicher, warum. Nun, bei euch herrscht nicht die Freiheit, die ich mir für mein Leben wünsche. Ich möchte tun und lassen, was ich will und selbst entscheiden. Finn meinte, dass das unter eurer Aufsicht nicht möglich wäre und ich denke so wie er. Verzeiht mir und macht euch keine Sorgen, ich bin ja nicht für immer weg.
Lieber Luki,
Du denkst sicher, ich hätte dich im Stich gelassen, aber wenn du so alt bist wie ich, wirst du es vielleicht verstehen. Bis dahin: Bleib tapfer. Ich denke jede Minute an dich.

In Liebe
Anna

Immer wieder wendete ich das Stück Papier in meinen Händen, hin und her und her und hin, starrte darauf, während sich meine Gedanken im Kreis drehten, hin und her und her und hin. Vielleicht stand ja irgendwo War nur ein Scherz oder Ich komme morgen wieder. Nein, natürlich stand das nirgendwo.
„Was meint sie damit, bei uns könnte sie nicht in Freiheit leben? Haben wir sie je eingeengt? Wir machen uns doch nur Sorgen, dass ihr Vampir in der ungünstigsten Situation erwacht. Ich wollte doch nur verhindern, dass sie unglücklich sein muss.“ Stattdessen war ich nun die, die sich unglückliche Gedanken machte.
„Finn liebt Anna.“
Ich starrte Jace an. „Was?“
Er seufzte. „Er hat... na ja, er hat mir davon erzählt und ich habe ihm gesagt, dass das nicht möglich ist. Immerhin sind sie verwandt. Ich nehme an, dass er deswegen zu dem Schluss gekommen ist, abhauen zu müssen.“
Eine Zeit lang sagte niemand ein Wort. Ich wendete den Brief in meinen Händen, her und hin und hin her, während sich meine Gedanken im Kreis drehten. Her. Hin. Hin. Her.
Dann sprang ich auf und ging unruhig auf und ab. Hätte ich es erkennen müssen? War ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt und hatte meine Pflichten als Mutter vernachlässigt? Ich stöhnte auf. Schuld war ein absolutes abscheuliches Gefühl.
„Das ist gerade, glaube ich, das geringste Problem“, stieß ich schließlich hervor.
„Du hast recht“, stimmte Cole mir zu. „Zunächst einmal gilt es, sie zu finden.“
„Ja, aber da ist noch was. Ich war bei Max letzte Nacht.“ Es schien Ewigkeiten her zu sein. „Und er hatte eine Vision. Er hat Finn in den Fängen des Bösen gesehen. Es schlummert in ihm. Noch. Aber es wird erwachen und ich glaube nicht, dass er darauf vorbereitet ist, es zu kontrollieren. Das war das, was ich dir sagen wollte, aber du wolltest nicht auf mich hören.“ Nun schaute ich Jace fest an, direkt in die Augen.
„Die Prophezeiung“, flüsterte er und in seinem Blick spiegelte sich Erkenntnis.
„Welche Prophezeiung?“, fragte Cole.
Jace schluckte und rang mit seinen Händen. „Ich habe... wohl vergessen, euch davon zu erzählen.“
Ich verengte die Augen.
„Aber es gibt eine Prophezeiung über Finn. Uralt. Darin heißt es, es würde ein Junge geboren, der mit den Wurzeln im Licht stünde und an dem aber die Schatten beständig reißen würden. Oh, wie konnte ich nur so blind sein.“ Er sprang auf und raufte sich die Haare. „Verdammt.“ Dann stürmte er aus dem Zimmer.
Cole und ich wechselten einen weiteren Blick.
„Ich fahre zu Max. Vielleicht kann er uns noch mal helfen“, sagte ich und stürmte aus dem Haus.

Tränen von ZeitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt