Kapitel 8

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„Ich bin wieder da!", rief Henry, als er mit seinem Fuß geschickt die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ und seine Schuhe abstreifte. Noch immer mit vollen Händen ging er durch das Wohnzimmer Richtung Küche und legte dort die Einkäufe auf den Tisch.

„Du bist ein Schatz!", bedankte sich Lina überschwänglich für die Zutaten, die ihr noch fehlten.

Mit einem Lächeln begrüßte Henry auch Noah, der Lina beim Kochen helfen wollte. Dieser schenkte ihm jenes strahlende Lächeln, welches Henry in der kurzen Zeit in der er Noah nun kannte schon so vertraut vorkam, als wäre es sein eigenes.

Noah war nun schon den zweiten Tag bei ihnen in der WG, doch seine Erinnerung war noch immer nicht zurückgekommen. Er hätte zwar jederzeit zu seinen Eltern zurückgehen können, doch Noah hatte es vorgezogen ihnen eine Nachricht zu schicken, dass er bei Freunden war. Henry hatte sich in den letzten Tagen öfters gefragt, ob Noah glaubte, dass er bei langjährigen Freunden war an die er sich nur nicht erinnern konnte. Er wirkte auf jeden Fall so als würde er sich in der Anwesenheit der fünf Studenten pudelwohl fühlen.

„Noah, kannst du schon mal die Paprika dort drüber aufschneiden?", gab Lina erste Anweisungen. „Und Henry mach dich doch mal nützlich und hol das Fleisch aus dem Kühlschrank. Ich komme gleich wieder, ich muss nur noch schnell das Kochbuch suchen gehen." Mit diesen Worten verschwand Lina aus der Tür.

Henry fing an Noah von der verrückten Kassiererin zu erzählen, bei der er vor ein paar Minuten bezahlte hatte. Als von Noah keine Reaktion kam, sah Henry von der Küchenarbeitsfläche auf und musterte Noah.

Dieser hatte einen mehr als seltsamen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Seine Augen waren wie hypnotisiert auf das Messer in seiner Hand gerichtet.

Reflexartig griff Henry nach dem Messer und entwand es Noahs Griff. Er wollte etwas sagen, doch als Noahs Augen seine kreuzten, verging ihm jedes Wort. Es lagen so viele Emotionen in seinem Ausdruck, dass Henrys Herz vor Sorge schneller schlug.

„Wieso habt ihr mich aufgehalten?", kam es von Noah und Henry schluckte schwer, als er erkannte, dass Noahs Erinnerung wohl zurückgekehrt sein musste.

„Noah, wir wollten dich nur vor dir selbst schützen...", fing Henry an und wollte nach Noahs Hand greifen. Dieser zog seine Hand jedoch blitzschnell zurück und Henry biss die Zähne zusammen.

„Ich habe mir das alles gut überlegt, ich war kurz davor und ihr...", flüsterte Noah ungläubig.

„Ich konnte nicht zulassen, dass dir etwas zustößt, verstehst du das denn nicht?", meinte Henry verzweifelt.

„Wer bist du?", kam es von Noah, in seiner Stimme lag unendliches Misstrauen, doch was Henry noch viel mehr schmerzte: gnadenlose Kälte.

„Ich bin dein Tagebuch." Noahs Augen weiteten sich und er stolperte einen Schritt zurück.

„Was?"

„Ich weiß auch nicht, wieso, aber ich höre schon seit Jahren deine Einträge. Ich...", Henry wusste nicht was er sagen sollte, wie er Noah alles erklären sollte. „Ich bin Henry."

„Wie kann das sein? Das ist unmöglich... das glaub ich dir nicht!" Noahs Stimme war lauter geworden und er klammerte sich mit beiden Händen an das Regal hinter ihm. Seine Knöchel traten weiß hervor.

„Ich weiß es ist schwierig zu verstehen, aber ich kann genauso wenig dafür, wie du. Ich habe mir nicht ausgesucht alles über dich zu erfahren, über Fabian, der große Streit mit deinen Eltern als du 14 warst, deine Liebe zu deiner Handballtrainerin... aber es ist nun mal so geschehen und ich kann daran nichts ändern. Du musst mir glauben, Noah!" Henrys Stimme war an der Grenze zur Verzweiflung, er sah Noah an, wie sehr ihn alles verwirrte, aber er wusste nicht was er tun konnte, damit dieser sich wieder besser fühlen würde.

Dear Henry (BoyxBoy)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt