Die erste Nacht

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Ich drehte den schwarzen Haargummi zwischen den Fingern.

Die Zeiger der Uhr an der Wand tickten leise und stetig. Es war kurz vor acht.

Gleich würde sie kommen.

Die Klaviermusik aus meiner Stereoanlage stellte ich per Fernbedienung etwas runter.

Ich stand vom Ledersofa auf und ging langsam in die Küche.

Im Flur blieb ich vor dem Spiegel stehen.

Sah ich aus wie vierunddreißig aus? Ich strich mir über den Dreitagebart, richtete den Kragen des schwarzen Hemdes und schob die Hände dann in die Hosentaschen der dunkelgrauen Jeans.

Ein Klopfen an der Tür ließ mich mein Spiegelbild vergessen.

Mit zwei Schritten war ich an der Tür und öffnete sie.

"Hallo."

Ihr Anblick war atemberaubend. Dabei trug sie nicht mal etwas Ausgefallenes. Im Gegenteil, ihr Aufzug war schlicht.

Sie trug Schleifenballerinas, eine blickdichte Feinstrumpfhose und einen kurzen schwarzen Rock. Eine weiße Bluse und ein Blazer über dem Arm komplettierten ihr Outfit.

Sie hätte in einem Autohaus stehen können, in einer Bank oder im Rektorat einer Universität sitzen können. Die zeitlose Schlichtheit an ihr machte sie so wandelbar.

Stumm bat ich sie herein, nahm ihre Tasche ab und führte sie in die Küche.

Sie blieb in der Tür stehen und nahm den Raum in Augenschein. Ich stand hinter ihr und versuchte die Atmosphäre aus ihrer Sicht wahrzunehmen.

Der Tisch war mit weißem Porzellan gedeckt, eine schlanke Kerze stand in der Mitte und in einer Kristallschale schwammen Blütenblätter.

"Wolltest du mich beeindrucken?", fragte sie gerade heraus und drehte sich zu mir um.

"Ja", gab ich zu, "es ist zu viel, nicht wahr?"

"Ein bisschen", räumte sie ein und legte die rechte Hand auf meine Brust direkt über mein Herz, "aber beeindruckt bin ich. Hast du gekocht?"

"Ja."

Ich antwortete mit Absicht so einsilbig. Ich wollte, dass sie sprach...und am besten nie wieder aufhörte.

Statt zu fragen, was ich gekocht hatte, ging sie zum Ofen, öffnete die Klappe, griff nach den Topflappen und stellte unser Abendessen auf den Tisch.

"Hühnchen in Wermut-Sahnesoße?", riet sie.

"Woher weißt du das?", fragte ich ehrlich überrascht.

"Ich habe es gerochen. Ein...Freund hat das mal für mich gekocht."

Augenblicklich presste ich die Lippen zusammen. Wer kochte denn alles so für sie?

"Was ist?"

Sie stand zwei Meter entfernt und war doch zu weit weg.

"Sprich mit mir", bat sie und kam näher.

Ich atmete tief ein und spürte gleich darauf wieder ihre Hand auf meinem Brustkorb.

"Warum hast du gezögert, also du den Koch als Freund bezeichnet hast?"

Überrascht sah sie zu mir auf.

"Weil er eigentlich ein Verwandter ist. Aber Freund passt besser als Bezeichnung", erklärte sie schließlich.

Ohne zu wissen, woher die nächste Frage kam, hatte ich sie schon gestellt. "Hast du mich vermisst?"

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