Was definiert "anders"?

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Ich war angepisst. Der Geschichtsunterricht zog sich mal wieder wie ein alter Kaugummi und ich hatte Mühe nicht einzuschlafen. Liegt es an mir oder sind die Geschichtsstunden immer die Langweiligsten am Tag ?

Ich lehnte meinen Kopf gegen die angenehm kühle Fensterscheibe und starrte hinaus. Die ganze Landschaft war in kräftige Farben getaucht. Der Himmel strahlte so blau, dass es einen beinahe blendete und die Sonne projizierte goldene Lichtkegel auf die tristen, weißen Wände des geräumigen Klassebraumes. Es war fast komplett still. Ab und zu konnte man ein Räuspern hören, oder wie jemand eine Seite im Buch weiterblätterte. Diese Stille drückte mir auf die Ohren und legte sich wie ein schweres Gewicht auf meine Seele.

Schlagartig kam mir eine Idee. Ich wollte die Langeweile killen. Und zwar langsam, schmerzvoll, scheibchenweise. Ich durchwühlte das hinterste Fach meines Rucksacks und zog schließlich ein dünnes, schwarzes Notizbuch heraus. Viele lose, ausgerissene Blätter und Zeitschriftenausschnitte lagen darin. Ich schlug es auf und suchte nach einer freien Seite. Nachdem ich eine gefunden hatte, griff ich mir meinen Bleistift und begann zu skizzieren.

Jap. ich zeichne. Zeichnen ist meine Passion, die Identifizierung meiner Selbst und meine Rettung vor dieser realen, leider völlig verkorksten Welt. Und wenn man so ein absoluter sozialer Totalausfall ist, wie ich es bin, ist es verdammt wichtig sich einen Ausgleich zu schaffen.

Ich sag zu, wie sich nach und nach ein Bild entwickelte. Überall setzte ich noch mal einen Strich. Der Stift bewegte sich beinahe von allein über das Blatt. Mit dem Endresultat war ich sehr zufrieden. Es war zwar mehr oder weniger nur eine Skizze. Aber dennoch.
Die Zeichnung stellte ein Mädchen dar, welches mit dem Gesicht zum Betrachter steht. Ich achtete vor allem auf die Augen. Denn ich wollte, dass man den Augen des Mädchens ansieht, welche Geschichte sie erzählen.

Grade, als ich dabei war das Buch zu schließen, traf mich etwas Leichtes am Hinterkopf, bevor es vor mir auf meinen Tisch landete. Ich faltete das Papierknäuel auseinander und drehte es um. Darauf stand: warum bist du so verdammt anders?! Sowas braucht keiner ! Die Worte schnitten mir ins Herz wie Messer und hinterließen tiefe, blutende Furchen. Aber ich zwang mich die Tränen zurückzudrängen. Ich wollte nicht weinen. Denn es würde nichts helfen.

Auf dem Weg nach Hause las ich den Zettel immer wieder. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand von hinten ein Messer in den Rücken gerammt. Heimtückisch, verräterisch und verdammt schmerzhaft.

Aber wer oder was definiert eigentlich was "anders" ist? Und warum ist das was Schlechtes?

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