Kapitel 5.

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5.

AnaPOV

Das Geschäft mit den Schwarzbarschen war lukrativ, und die Bedingungen sind schwierig, doch kein Vergleich zum Sturm und zu der Eiseskälte, denen ich und meine Crew ausgesetzt sind, jetzt als wir Schneekrabben jagen. 3 Jahre riskieren wir schon dafür unser Leben. Jedoch verdanken wir denn Krustentieren unseren Reichtum.

Die "Time Bandit" eines meiner Babys, ist ein Kutter von 38 Meter Länge, mit 6 Mann Besatzung,und ich die kleine graue Maus Ana, die ich einst mal war, habe das Kommando. Kaum vorstellbar...

Die Nacht ist rabenschwarz. Himmel und Ozean verbünden sich gegen das Schiff, das es wagt, mitten im Winter in sie einzudringen. Die orangefarbenen und roten Umrisse meiner Crew bewegen sich in einem flutlichtbeschienenen, wirbelnden Lichthof aus Schnee und eisiger Gischt. Das Tosen der Elemente wird nur noch übertönt von der auf volle Lautstärke gedrehten Musik an Deck.

Auch drinnen auf der Kommandobrücke hämmert ein Lautsprecher den immer gleichen Rhythmus von Rapper Eminem aus. Ich, die am Funkgerät steht, um mit meiner Crew zu reden, stört die Beschallung nicht. "Ich mag Rock oder Alternative lieber, aber für die Mannschaft ist es gut. Mit der Musik arbeiten sie besser und länger", denke ich, ohne die sechs Burschen dabei aus den Augen zu verlieren, die sich gerade darauf vorbereiten, die erste Reuse in dieser Saison hochzuholen. Insgesamt hundert Reusen müssen geleert werden.

Ich lasse es mir überhaupt nicht anmerken, dass jetzt, vier Tage nach dem Auslaufen in Dutch Harbor auf Unalaska, und dem kleinen Zwischenfall,-wobei ich seid dem nur noch an die Schönheit denken kann,- für mich ein entscheidender Moment gekommen ist. Denn ich habe hoch gepokert. Statt in dem Gebiet zu fischen, das ich in- und auswendig kenne, habe ich mich entschieden, viel höher in den Norden zu fahren, bis in die Nähe des 60. Breitengrads, in eine Gegend, die normalerweise vereist ist. In diesem Jahr aber ist es möglich, dorthin zu gelangen. Angeblich wimmelt es da nur so von Schneekrabben.

Nun die Stunde der Wahrheit. Endlich werde ich wissen, ob meine Strategie aufgegangen ist, ob die mächtigen Eisenkäfige, die wir in der Nacht zuvor hinabgelassen haben, tatsächlich prall mit den wertvollen Arktischen Seespinnen, Chinoecetes, die die Fischer "opies" oder eben Schneekrabben nennen und deren Beine die Japaner so lieben gefüllt sind. 70 Prozent des Fangs gehen nach Japan; dort wird viel Geld für das Krustentier ausgegeben.

Nicht nur in Fernost, überall in der Welt gilt das süßlich schmeckende Schneekrabbenfleisch als eine Delikatesse. Serviert wird es mit Wasabi oder Früchten, mit Salsa oder Mango-Curry-Sauce, warm oder kalt. Die rohe Schneekrabbe ist zudem bei Sushi-Liebhabern besonders begehrt. Das zarte Fleisch sei vielseitig einsetzbar, schwärmen Köche, und so sind Schneekrabben immer häufiger auf den Speisekarten der Spitzenrestaurants zu finden.

Ein Trend, der meinen Männern gefallen dürfte. Läuft die Fangsaison gut, können die Seeleute darauf hoffen, dass jeder von ihnen einige Tausende von Dollar bekommt. Ein Vermögen, das sie alle längst in ihren Träumen ausgegeben haben.

Ich drücke auf einen Knopf, eine Glocke an Deck scheppert. Signal an die Besatzung. Schon sind zwei mit einem Tau verbundene Bojen auf Backbord zu sehen. Unten, 60 Meter tief, wartet die ersten Reusen. Sofort greift Freddie Mangat, 29, ein kräftiger gut aussehender Samoaner, der eigentlich Bordmechaniker ist, zu einem Haken, legt das Stahlseil ein und macht sich daran, den Fang an Bord zu hieven. Tim Williams, 24 Jahre und von irisch-japanischer Herkunft, steht an der Winde bereit. Auf den gischtenden Brecher, der ihn vollkommen durchnässt, achtet er nicht. Jeder Handgriff sitzt. Alles geht sehr schnell. Muss es auch. Die Devise ist: möglichst viele Krabben in möglichst kurzer Zeit.

Es ist ein gnadenloser Wettlauf gegen die anderen 192 Boote, die gerade in der Beringsee unterwegs sind. Schuld ist das System, das "derby style" genannt wird. Das Prinzip: Die konkurrierenden Boote haben ein enges Zeitfenster, in dem sie die Schneekrabben fischen dürfen. Die Saison beginnt am 15. Januar und endet, sobald 12.000 Tonnen gefangen sind. Das kann vier Wochen oder auch 12 Wochen dauern. Es kann auch schneller gehen. Wer weiß das schon?

Maximaler Einsatz wird der Mannschaft abverlangt. Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit und gegen die Konkurrenz.

Nur eins ist klar: Die Seeleute müssen pausenlos arbeiten und alle Risiken in Kauf nehmen. Zwölf Meter hohe Wellen, arktische Winde und 300 Kilogramm schwere Fangkörbe, die gegen das Schiffsdeck donnern, machen den Job zu einem der gefährlichsten der Welt. Wer hier einen ordentlichen Lohn herausholen will, muss maximalen Einsatz bringen, auch wenn er tödlich enden kann.

Percy Mangat, 19, zeigt zu wenig Einsatz findet jedenfalls sein älterer Bruder Freddie. Auf Samoanisch treibt er ihn an: Er soll einen Haken an der großen Reuse befestigen, die sich gerade an der Breitseite des Schiffes befindet. Diesmal muckt Percy nicht und macht seinen Job, damit Mike Maybe, 29, der Schiffskoch, die Falle mit der Winde aus dem Wasser ziehen kann. Geschafft.....

Einen kurzen Moment schwankt die stählerne Reuse, als versuche sie, Percy ins dunkle, eisige Wasser zu stoßen oder ihn auf Deck zu zerquetschen. Mit einem Satz ist Turi Mangat, mit 18 Jahren der jüngste der drei samoanischen Brüder, bei ihm. Gemeinsam bringen die beiden Männer den Fangkorb zum Stillstand und kippen ihn auf die Seite. Der Inhalt wird sofort auf einen großen Sortiertisch an Deck ausgeleert.

"Shit!" Normalerweise fluche ich nicht. Dass ich es jetzt tue, hat seinen Grund: Ich muss feststellen, dass mein Instinkt mich verlassen hat. Die Crew hat nur wenige Schneekrabben gefangen; sie verschwinden durch ein Luk im Inneren des Kutters. Viele aber sind zu klein, nicht zu gebrauchen. Von dem Fang kann ich nicht mehr als 30 Prozent verkaufen. Eine Katastrophe. "Wenn ich in Hochform bin, kann ich fühlen, was die Krabben vorhaben, ich kann denken wie sie", fluche ich. Aber ich bin einfach nicht in Hochform.

Enttäuscht und verärgert fälle ich einen Entschluss: "Wir versuchen es woanders." Turi Mangat wollte gerade in die Reuse schlüpfen und neue Köder anbringen. Doch so lässt er es bleiben, jetzt, da ich seine Chefin es sich anders überlegt hat. Stattdessen wirft Freddie das zentnerschwere Tauwerk und die beiden Bojen hinein. Mit den Schultern bugsieren die beiden den Fangkorb in eine Ecke, wo Percy ihn vertaut. Kaum sind die Männer damit fertig, scheppert erneut die Signalglocke. Die nächste Reuse ist in Sicht, es geht sofort weiter.

Von der Kommandobrücke aus erkennt man die Positionslichter von drei oder vier anderen Schiffen. Rivalen. Offenbar wollen sie in dieser Gegend bleiben. "Ich könnte es genauso wie sie machen", kommentiere ich, "dann wäre zumindest ein durchschnittlich guter Fang gesichert." Aber ich ticke anders. "Wer wenig riskiert, gewinnt auch wenig", töne ich. Längst habe ich entschieden, alles auf eine Karte zu setzen. Ich will etwa 20 Grad weiter nach Süden fahren, in Gewässer, von denen man hört, es gelängen dort traumhafte Fänge.

Das wird Zeit kosten. Zeit, die ich nicht habe. Die Konkurrenz, die gerade Hunderte Meilen entfernt unterwegs ist, holt tonnenweise Schneekrabben aus dem Meer heraus. So viele und so schnell, dass die Fangsaison diesmal nach nur elf Tagen zu Ende sein wird.

Love or Job-Für was wird Ana sich entscheiden? Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt