Five

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Nach einer ereignislosen Woche, in der wir eigentlich nichts außerschulisches mehr gemacht hatten, da alle Lehrer noch die Arbeiten vor den Ferien durchprügeln wollten, stand mir eine Reise nach Nordengland bevor.
Meinen Vater besuchte ich immer am ersten Freitag des neuen Monats plus Wochenende.
Unser Verhältnis zueinander war mehr oder weniger neutral. Es war nicht innig, nicht vertraut, sondern einfach normal.

Ich hätte beschlossen mit dem, was vor drei Jahren passiert ist, abzuschließen. Meine Mutter brauchte noch ein wenig, was ich ihr ja wohl kaum verübeln konnte.
Mein Dad ist wohlhabend, reich, um genau zu sein, doch das beeinträchtigt mein Leben nicht. Ich nehme nichts an, was er mir geben wollte und mit der Zeit hatte er das auch verstanden. Im Zug stöpselte ich meine Kopfhörer ein und bereitete mich auf eine entspannte Fahrt vor.
Doch meine Gedanken rasten unerbittlich.
Und dabei blitzte immer wieder dieses unverwechselbare Blau auf. Ich versuchte immer wieder eine Definition für diese Farbe zu finden, doch es gelang mir nicht.

In der letzten Woche war Niall sehr in unsere Gruppe hineingewachsen. Er passte einfach perfekt zu uns mit seiner verrückten und herzhaften Art. Mit ihm waren wir vollständig. Wir waren jetzt nicht mehr zu fünft. Wir waren keine ungerade Zahl mehr. Jetzt, mit ihm, waren wir ganz.

Wir sind ein Ganzes. Er hat uns vervollständigt, dachte ich und musste lächeln, ohne den Grund dafür zu kennen. Dabei fiel mir auf, dass ich ständig lächelte, wenn mich meine Gedanken zu ihm führten.
Er kam mir ohnehin schon viel zu oft in den Sinn. Das war langsam wirklich etwas gruselig. Immerhin ging es hier um jemanden, den ich erst seit einer guten Woche kannte. Er zwar schon ein Freund geworden...aber trotzdem.

Zwischen all diesen Überlegungen schlief ich schließlich ein.

Ein mächtiger Ruck und die daraufhin laut quietschenden Bremsen rissen mich aus meinen Träumen und schnell schaute ich auf die leuchtende Anzeige über mir, um mich zu vergewissern, dass ich die Haltestelle nicht verpasst hatte.
Doch das Glück war diesmal auf meiner Seite, denn erst die nächste Station war mein Ziel.

Ich wechselte mein Lied und schaute auf WhatsApp, ob mir jemand eine Nachricht geschrieben hatte. Tatsächlich zeigte mir mein Handy zwei Nachrichten an, die ich sofort öffnete.
Die Erste kam von meinem Vater, der wissen wollte, wann ich da war. Ich schrieb ihm schnell eine kurze Antwort und widmete mich der zweiten. Sie stammte von Niall.
Dieses dümmliche Grinsen schlich sich auf meine Lippen, während ich las:

Hey Marisa
Hast du zufällig mein Mathebuch eingepackt? Ich finde es nicht mehr und die Sprössel köpft mich, wenn sie mich und meine nichtgemachten Hausaufgarben nochmal erwischt!
Bitte hilf mich ich habe Todesangst😅
LG Niall

Ich lachte leise in mich hinein. Niall hätte wirklich ein Kopf wie ein Sieb. Das war uns allen klar geworden, als er zum dritten Mal in Folge aus der Jungenumkleide kam, weil er vergessen hatte, was er vergessen hatte. Ich konnte mich vor lachen kaum auf den Beinen halten und den anderen erging es nicht anders.
Ich schrieb ihm noch schnell, dass ich am erst Sonntag nachsehen werde, da ich das Wochenende über weg war und dann musste ich auch schon aussteigen.

Mein Vater empfing mich und zusammen stiegen wir in sein Auto.
"Na Schätzch- Marisa, wie ist es dir in den letzten Wochen ergangen? Erzähl doch mal", begann er auch sogleich krampfhaft ein Gespräch zu beginnen. Es war die einfachste Art von Konversation, die wir führen könnten. Ich redete - er hörte einfach nur zu. Doch es war okay für mich, denn so musste ich keine unangenehmen Fragen beantworten und er konnte sich nicht wieder in irgendwelche Schwierigkeiten reinreden.

Als wir an seinem "Haus" ankamen, bemerkte ich sofort das unbekannte Auto in der Einfahrt, doch ich erwähnte es nicht. Wieso auch? Er hatte immer mal ein neues Auto oder einer seine Kollegen war zu Besuch.
Als ich jedoch Anstalten machte aus dem Wagen zu steigen, würde mein Dad ganz hibbelig und berührte mich sachte an der Schulter, um mich aufzuhalten.
"Marisa wir sind nicht allein dieses Wochende", fing er an und ich schloss die Augen. Ich hatte es geahnt. Sie war hier.
"Ich habe jemanden kennengelernt und sie möchte dich unbedingt treffen."
Nein, das darf doch nicht wahr sein!
"Ist es...Dad ist sie...", bevor ich meine Frage beenden konnte, machte er große Augen und schüttelte den Kopf.
"Gott, nein,Marisa, das mit Veronika war ein Ausrutscher. Ich würde nie-", "Nenne NIE wieder ihren Namen!", schrie ich dazwischen und war im nächsten Augenblick geschockt von mir selbst.
Aber entschuldigen werde ich mich dafür garantiert nicht.
Mein Vater legte mir eine Hand auf den Arm und ich seufzte nur. "Nein das würde ich nie tun. Sie heißt Brianna und ist wirklich sehr nett. Ich würde mich freuen, wenn du ihr eine Chance-", noch während er sprach hätte ich die Tür aufgemacht und war ausgestiegen. Es störte mich tierisch, dass mein Dad jetzt eine Neue hatte, obwohl ER alles versaut hatte.
Meine Mutter lag bis vor einem Jahr noch fast jeden Abend weinend im Bett und auch ich war nur schwer damit klargekommen, was er getan hatte. Inzwischen habe ich mich damit abgefunden. Er war immerhin mein Dad und ich liebte ihn trotzdem.

In der Eingangshalle roch es nach Essen und mir drehte sich der Magen um. Spargel. Ihgitt!
Ich verzog das Gesicht und mein Blick fiel auf zwei Paar fremde Frauenschuhe.

"Schaatz, bist du wieder daa?", ich war wirklich kurz davor mir die Ohren zuzuhalten. Wie konnte ein Mensch nur so eine schrille Stimme haben??

Eine Frau mit brünetten Locken kam in die Halle gestöckelt und warf sich meinem Vater theatralisch an den Hals.
Ich verdrehte die Augen.
Gott gib mir Kraft...
Sie begutachtete mich naserümpfend und zog dann eine Augenbraue hoch und wandte sich ab, um meinen Vater zu küssen.
Angewidert drehte ich mich zur Seite und schaute in zwei blattgrüne Augen, die mich musterten.
Ein Mädchen,das ungefähr in meinem Alter sein musste, streckte mir die Hand entgegen. "Hi, ich bin Courdney", stellte sie sich höflich vor, doch ich konnte sie nur anstarren.
Eine Tochter. Wirklich?!
"Marisa", nuschelte ich und flüchtete aus der Halle ins Wohnzimmer, wo ich hin und hertigerte.
Ich kochte vor Wut! Dabei wusste ich noch nichtmal worauf ich so sauer war.
Die herblassende Art, mit der mich diese Brianna gemustert hatte?
Die Tatsache, dass Dad wieder eine Neue hatte?
Oder einfach dass es in diesem verdammten Haus überall nach Spargel roch?!

Seufzend ließ ich mich auf die samtweiche, cremefarbene Ledercouch fallen.
Keine fünf Sekunden später kam mein Vater mit seiner unausstehlichen Flamme und ihrer Tochter herein und im Vorbeigehen warf Dad mir einen flehenden Blick zu.

Na toll. Jetzt musste ich wieder den ersten Schritt machen.  Aber so leicht mach ich es dir nicht Dad!

Prompt stand ich auf, reichte Brianna die Hand und setzte ein übertrieben strahlendes Lächeln auf, bevor ich mit viel zu hoher Stimme sagte: " Heey, ich bin Marisa! Willkommen in der Familie Robinson. Ich wünsche Ihnen einen wunderschönen Aufenthalt, der hoffentlich von nicht allzu langer Dauer sein wird!", damit drehte ich mich um und stürmte grinsend auf mein Zimmer.

Louis wäre stolz auf mich!

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jun 12, 2017 ⏰

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